Nana. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.
nahm überhaupt kein Ende! Ich hätte was drum gegeben, euch dort zu sehen! Ich habe gekocht, ich hätte am liebsten Ohrfeigen ausgeteilt … Und keine Droschke für die Rückfahrt zu kriegen. Zum Glück ist's nicht weit. Macht aber nichts, ich bin fürchterlich gerannt.«
»Du hast doch Geld?« fragte die Tante.
»Na, welche Frage!« versetzte Nana.
Sie hatte sich auf einen Sessel gesetzt, und ohne Atem zu schöpfen, zog sie aus ihrem Leibchen ein Kuvert, darin vier Hundertfrankennoten steckten. Man sah sie durch einen weiten Spalt, den sie mißtrauisch mit dem Finger gerissen hatte, um sich der Richtigkeit des Inhalts zu versichern. Die drei Frauen um sie her schauten starr auf das Papier, das sie in ihren kleinen behandschuhten Fingern hielt. Es sei zu spät geworden, hieß es, Madame Lerat werde erst am folgenden Tag nach Rambouillet fahren können. Nana erging sich in weitläufigen Auseinandersetzungen.
»Madame, es sind Leute drinnen, die schon lange warten«, wiederholte die Zofe.
Aber Nana vertiefte sich neuerdings in das Gespräch mit Madame Lerat. Die Leute konnten ja warten. Sie wollte ja kommen, gleich, sobald sie nichts mehr zu tun hatte; und als ihre Tante die Hand nach dem Geld ausstreckte, wehrte sie ihr mit den Worten:
»Ach, nicht doch, meine Liebe! Dreihundert Franken bekommt die Amme, fünfzig Franken für dich für die Reise und sonstige Auslagen, das macht dreihundertfünfzig … Fünfzig Franken behalte ich für mich!«
Die Hauptschwierigkeit war nun, Kleingeld zu bekommen. Es waren keine zehn Franken im Hause. An Madame Maloir, die ohne Interesse zuhörte, brauchte man sich gar nicht erst zu wenden, man wußte, daß sie nie mehr bei sich zu haben pflegte als die zehn Sou für den Omnibus. Endlich mischte sich Zoé in das Gespräch, indem sie meinte, sie wolle in ihrem Koffer nachsehen, und nach wenigen Augenblicken brachte sie die hundert Franken in Hundertsoustücken herbei. Man zählte sie auf einer Ecke des Tisches auf. Madame Lerat ging sogleich fort, nachdem sie versprochen hatte, den kleinen Louis am nächsten Tage herzubringen.
»Du sagst, es sind Leute drinnen?« fragte Nana endlich, die noch immer auf ihrem Stuhl saß und sich ausruhte.
»Ja, Madame, drei Herren.«
Zuerst nannte sie den Bankier. Nana verzog das Gesicht. Ob dieser Steiner glaubte, daß sie sich langweilen lassen wolle, weil er ihr gestern ein Bukett verehrt hatte!
«Übrigens«, erklärte sie, »hab' ich jetzt genug davon! Ich mag keinen mehr sehen. Geh, sag ihnen, daß sie auf mich nicht mehr warten sollen.«
»Madame wird sich's wohl noch überlegen und den Herrn Steiner nicht abweisen«, meinte Zoé leise mit ernster Miene, ohne sich vom Platz zu rühren, ärgerlich darüber, daß sie ihre Herrin bereit sah, noch eine zweite Torheit zu begehen.
Dann sprach sie von dem Walachen, dem allmählich wohl die Zeit in dem Schlafzimmer lang werden mußte. Jetzt weigerte sich Nana wütend, noch hartnäckiger als vorher. Niemanden, niemanden wollte sie sehen! Wer hatte ihr denn ein solches Heftpflaster von Mann auf den Hals gehetzt!
»Wirf sie samt und sonders hinaus! Ich will mit der Maloir jetzt eine Partie Bésigue spielen. Das ist mir zehnmal lieber.«
Das Erklingen der elektrischen Glocke schnitt ihr das Wort ab. Das fehlte noch. Nun noch ein solcher langweiliger Michel mehr! Sie verbot Zoé, zu öffnen. Diese aber, ohne auf ihre Herrin zu hören, war längst aus der Küche gehuscht. Als sie wiederkam, sagte sie in ihrer bestimmten Art, indem sie zwei Karten auf den Tisch legte:
»Ich habe geantwortet, daß Madame heute empfängt. Die Herren warten im Salon.«
Nana war wütend aufgesprungen. Aber die Namen des Marquis de Chouard und des Grafen Muffat de Beuville, die sie auf den Visitenkarten las, stimmten sie ruhig. Einen Augenblick blieb sie schweigend stehen.
»Was sind denn das für Käuze?« fragte sie dann. »Kennst du sie?«
»Ich kenne den alten Herrn«, versetzte Zoé, indem sie auf eine diskrete Art den Mund verzog. Und als sie den fragenden Blick ihrer Herrin noch immer auf sich gerichtet sah, setzte sie hinzu:
»Ich habe ihn schon irgendwo einmal gesehen.«
Dieses Wort schien das junge Frauenzimmer zu bestimmen; sie verließ ungern die Küche, diesen lauwarmen Winkel, in welchem man in dem Duft des auf dem halbausgebrannten Feuer warmstehenden Kaffees behaglich plaudern konnte. Hinter ihrem Rücken setzte sich die Maloir zurecht und legte nun die Karten; sie hatte den Hut noch immer nicht abgenommen, nur, um es sich ein bißchen bequemer zu machen, die Bänder gelöst und sie auf die Schultern zurückgeschlagen.
In dem Ankleidezimmer, wo Zoé ihrer Herrin eifrig in ein Hauskleid half, rächte sich Nana für die Widerwärtigkeiten, die man ihr bereitete, dadurch, daß sie die Männerwelt mit den verschiedensten Schimpfworten belegte. Die groben Ausdrücke bekümmerten die Zofe; sie wagte sogar die Bitte an ihre Herrin, daß sie sich doch beruhigen möge.
»Ach was, Quark!« gab Nana zur Antwort. »Da braucht's kein Blatt vor den Mund! Die Patrone wollen es nicht besser!« Bei diesen Worten nahm sie die stolze Haltung einer Fürstin an. Zoé hatte sie in dem Augenblick, als sie sich nach dem Saal begeben wollte, zurückgehalten und führte jetzt den Marquis de Chouard und den Grafen Muffat in das Ankleidezimmer. Das sei weit besser, meinte sie.
»Meine Herren«, empfing hier das junge Weib die beiden mit ausgesuchter Höflichkeit, »ich bedaure unendlich, daß ich Sie habe warten lassen.«
Die Herren verbeugten sich und nahmen Platz. Ein gestickter Tüllvorhang ließ ein mattes Halblicht in das Kabinett treten. Es war das eleganteste Zimmer der Wohnung mit hellen Vorhängen, einer großen Marmortoilette, einem mit buntem Holz eingelegten drehbaren Stehspiegel, einer Chaiselongue und blauatlassenen Fauteuils. Auf der Ankleidetoilette standen Buketts, Rosen, Holunder, Hyazinthen, die einen durchdringenden Duft verbreiteten, während die schale, muffige Luft, die aus Waschbecken und Eimer aufstieg, zuweilen von einem schärferen Geruch durchzogen wurde, der von ein paar Körnchen trockenen, auf dem Boden einer Schale kleingestoßenen Patschulis herrührte. Nana, die zusammengekauert dasaß und ihren lose zugeknöpften Hausrock enger um die Taille zog, sah ganz so aus, als ob sie bei der Toilette überrascht worden wäre.
»Madame«, begann der Graf Muffat, »wir bitten Sie um Entschuldigung, daß wir darauf bestanden haben, von Ihnen empfangen zu werden … Wir kommen mit einem Ansuchen … Der Herr Marquis und ich sind Mitglieder des Wohltätigkeitsausschusses des Arrondissements.«
Der Marquis de Chouard beeilte sich, mit einer galanten Gebärde hinzuzufügen:
»Da wir in Erfahrung gebracht haben, daß eine große Künstlerin in diesem Hause wohnt, haben wir uns erlaubt, ihr unsere Armen ganz besonders ans Herz zu legen … Talent ist ja ohne Mitgefühl nicht denkbar.«
Nana spielte die Bescheidene. Sie antwortete mit leichtem Kopfnicken, während sie rasch dabei überlegte. Der Alte mußte es sein, der den anderen hergeführt hatte; der Ausdruck seiner Augen war zu durchtrieben. Indessen durfte man auch dem andern nicht trauen, dessen Schläfen sich eigentümlich dehnten.
»Ganz gewiß, meine Herren«, versetzte sie voll Anmut, »Sie haben recht getan, sich heraufzubemühen.«
Aber die elektrische Glocke ließ sich vernehmen. Noch ein Besuch mehr, und diese abscheuliche Zoé, die immerfort öffnete! Sie fuhr fort: »Man fühlt sich ja überglücklich, geben zu können.«
Im Grunde ihres Herzens fühlte sie sich auch wirklich geschmeichelt.
»Ach, Madame«, erwiderte der Marquis, »wenn Sie all das Elend kennen würden! Unser Bezirk zählt mehr als dreitausend Arme und ist noch einer der reichsten. Sie können sich einen solchen Jammer gar nicht vorstellen: Kinder, die kein Brot haben, kranke, jeder Hilfe beraubte, halb erfrierende Frauen … «
»Die armen Menschen!« rief Nana gerührt aus.
Ihr Mitleid war so lebhaft, daß Tränen ihre schönen Augen füllten. Mit einer leichten Bewegung hatte sie, aus ihrer wohlüberlegten Rolle fallend, sich vorgebeugt: das offenstehende Gewand ließ ihre Brust