Nana. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.
sprechen wollen, senkte die Augen.
»Man möchte reich sein, wenn solche Anlässe sich bieten«, fügte Nana hinzu. »Zuletzt tut eben jeder, soviel er kann. Glauben Sie, meine Herren, wenn ich gewußt hätte … «
Sie war eben im Zuge, in ihrer gerührten Stimmung eine arge Dummheit zu sagen. Aber sie vollendete den Satz nicht. Einen Moment lang blieb sie verlegen sitzen, sie wußte nicht mehr, wohin sie die fünfzig Franken gesteckt hatte, als sie ihr Kleid auszog. Aber sie besann sich, sie mußten in der Ecke der Frisiertoilette unter einer umgestülpten Pomadenbüchse sein. Als sie sich erhob, ertönte die elektrische Glocke wieder mit einem langhingezogenen Schrillen. Gut, wieder einer! Das schien ja gar kein Ende zu nehmen. Der Graf und der Marquis waren zu gleicher Zeit aufgestanden, und die Ohren des Marquis hatten, nach der Tür hinspitzend, leicht gezittert; ohne Zweifel kannte er diese Art des Läutens. Muffat schaute ihn an; dann wandten sie die Augen ab. Sie fühlten sich geniert und nahmen wieder ihre reservierte Haltung an; der eine, vierschrötig und bieder, strich über das stark gescheitelte Haar, der andere reckte seine mageren Schultern hoch, auf die ein Kranz spärlicher weißer Haare niederfiel.
»Meiner Treu!« rief Nana, brachte die zehn großen Silberstücke herbei und begann zu lachen. »Ich darf Sie doch damit beladen, meine Herren? Das hier ist für die Armen!«
Das kleine, liebenswürdige Grübchen im Kinn lächelte in vollendeter Anmut. Sie hatte jetzt wieder ihr gutmütiges Gesichtchen, jede Ziererei war aus ihrem Wesen geschwunden, und mit naiver Gebärde bot sie den beiden Herren den kleinen Stoß von Silberstücken, den sie in ihrer offenen Hand hielt, als wenn sie hätte sagen wollen: »Na, bitt' schön, wer will denn nun zugreifen?« Der Graf war der behendere, er nahm die fünfzig Franken, aber ein Stück blieb liegen, und er mußte es von der lauen, weichen Haut des jungen Frauenzimmers fortnehmen, was ihm ein heftiges Beben verursachte. Nana aber lachte in einem fort.
»So, das ist alles, was ich kann, meine Herren«, meinte sie, »ein andermal wird's hoffentlich mehr sein.«
Sie hatten keinen Vorwand mehr zu längerem Bleiben, verneigten sich und schritten nach der Tür. Aber in dem Augenblick, da sie gehen wollten, ertönte abermals der Klang der Glocke. Der Marquis konnte ein flüchtiges Lächeln nicht unterdrücken, während der Graf noch ernster wurde. Nana hielt sie ein paar Sekunden zurück, um Zoé zu ermöglichen, noch ein Plätzchen aufzufinden. Sie hatte es nicht gern, wenn sich die Herrschaften bei ihr begegneten. Doch diesmal mußte ja alles förmlich vollgestopft sein. Sie fühlte sich darum wirklich erleichtert, als sie den Salon leer sah; Zoé hatte sie wohl in die Wandschränke gesteckt?
»Auf Wiedersehen, meine Herren«, sagte sie, während sie auf der Schwelle des Salons stehenblieb.
Sie bezauberte sie mit ihrem Lächeln und ihrem klaren Blick.
Der Graf Muffat verneigte sich trotz seiner Weltgewandtheit nicht ohne Verwirrung; er fühlte das Bedürfnis nach frischer Luft. Er nahm ein Gefühl der Beklommenheit mit aus diesem Ankleidezimmer, einen Blumen- und Frauengeruch, der ihn erstickte. Und hinter ihm wagte der Marquis de Chouard, der sicher war, nicht gesehen zu werden, Nana mit den Augen zuzuzwinkern, während sein Angesicht mit einem Mal die Fassung verlor und die Zunge zwischen den Lippen sichtbar wurde.
Als Nana in das Kabinett zurücktrat, wo Zoé mit einem ganzen Stoß von Briefen und Visitenkarten ihrer harrte, rief sie, noch stärker lachend, der Zofe entgegen:
»Das waren die richtigen Gauner … Nun bin ich meine fünfzig Franken doch wieder los!«
Sie hatte sich nicht im geringsten darüber geärgert; es schien ihr im Gegenteil spaßig, daß ihr die Männer Geld abgenommen hatten. Immerhin aber waren es Halunken, denn sie hatte jetzt keinen Sou mehr. Der Anblick der Karten und Briefe brachte ihr die schlechte Laune wieder. Mit ihnen mochte es noch angehen, sie kamen von Herren, die jetzt Erklärungen machten, nachdem sie ihr gestern Beifall geklatscht hatten. Aber Besucher, oh, die konnten hurtig wieder den Weg die Treppe hinab suchen!
Zoé hatte sie überall untergebracht, und sie erlaubte sich die Bemerkung, daß die Wohnung überaus praktisch sei, da von jedem Raum aus eine Tür nach dem Korridor führe. Es sei nicht wie bei Madame Blanche, wo man immer erst durch den Salon müsse. Madame Blanche habe übrigens auch immer viel Ärger gehabt.
»Geh, schick' die ganze Sippschaft einen nach dem andern weg«, meinte Nana wieder, die den einmal gefaßten Gedanken hartnäckig verfolgte. »Fang' mit dem Mulatten an!«
»Oh, der ist schon seit geraumer Zeit gegangen, Madame«, erwiderte Zoé mit einem feinen Lächeln. »Der wollte weiter nichts als Ihnen sagen, daß er heute abend verhindert sei zu kommen.«
Nun war die Freude groß. Nana klatschte in die Hände. Er kam nicht, welch ein Glück! Sie war also heute einmal frei! Und sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ob man sie von der abscheulichsten Leibesstrafe befreit hätte. Ihr erster Gedanke gehörte Daguenet. Der arme Wicht! Daß sie ihm auch gerade erst hatte schreiben müssen, bis zum Donnerstag zu warten! Halt, die Maloir sollte ihm flugs ein zweites Briefchen schreiben! Aber Zoé sagte, daß die Alte wie gewöhnlich verschwunden sei, ohne daß man es bemerkt habe.
Dann überlegte Nana wieder, obwohl sie eben noch davon gesprochen hatte, jemanden zu ihm zu schicken. Sie war heute wirklich recht müde. Und wie gut würde ihr das tun, eine ganze Nacht einmal ruhig zu schlafen! Der Gedanke an diesen Genuß erhielt endlich das Obergewicht: einmal durfte sie sich das schon gut und gern gestatten.
»Ich werde mich zu Bett legen, wenn ich aus dem Theater komme«, sagte sie und freute sich schon im voraus, »und vor Mittag, Zoé, sollst du mich nicht wecken!«
Dann rief sie mit erhobener Stimme:
»Hopp, hopp, nun treibe mir die anderen auf die Straße!«
Zoé machte keine Anstalten.
»Den Herrn Steiner auch?« fragte sie nach einer Pause mit scharfer Betonung.
»Ganz gewiß», antwortete Nana, »den zuerst vor allen anderen!«
Das Mädchen wartete noch immer, um Madame Zeit zur Überlegung zu lassen. Setze denn Madame gar keinen Stolz darein, Rose Mignon, ihrer Rivalin, einen so reichen Herrn wegzukapern, der in allen Theatern bekannt sei!
»Mach geschwind, meine Liebe, und sag ihm, daß er mir lästig ist«, rief Nana, die sehr wohl wußte, was sie wollte; aber plötzlich besann sie sich, morgen könne sie doch am Ende Lust haben, ihn zu sehen, und lachend, mit den Augen zwinkernd, rief sie mit einer ungezogenen Geste:
«Übrigens, wenn ich ihn wirklich festhalten will, so ist es das beste Mittel, ich werfe ihn zur Treppe hinunter!«
Das schien Zoé einzuleuchten. Sie betrachtete Madame, von einer plötzlichen Bewunderung ergriffen, dann eilte sie, ohne sich noch länger zu besinnen, aus dem Zimmer, um dem Bankier die Tür zu weisen.
Nana wartete ein paar Minuten geduldig, um Zoé Zeit zu lassen »auszufegen«, wie sie sich ausdrückte. Was sollte man von einem solchen Überfall denken! Sie steckte den Kopf in den Salon; er war leer. Das Eßzimmer war gleichfalls leer. Aber als sie jetzt, beruhigt, niemanden mehr vorzufinden, ihre Durchsuchung fortsetzte, stieß sie plötzlich, als sie die Tür zu einem Kabinett öffnete, auf einen kleinen, jungen Menschen, der sich auf einen Koffer gesetzt hatte und ruhig, in sehr artiger Haltung, ein ungeheures Bukett auf den Knien, der kommenden Dinge harrte.
»Ach du lieber Gott!« rief Nana aus. »Da ist ja doch noch einer drin!«
Der kleine junge Mann war, als er sie erblickte, rot wie eine Klatschrose aufgesprungen. Er wußte nicht, was er mit seinem Bukett anfangen sollte, das er vor Aufregung von einer Hand in die andere schob. Seine Jugend, seine Verlegenheit, der drollige Anblick, den er mit seinen Blumen gewährte, brachten Nana in gute Laune, so daß sie in helles Gelächter ausbrach. Das war zu stark! Wurden denn schon die Kinder nach ihr verrückt? Kamen denn die Männer jetzt schon in kurzen Höschen zu ihr? Sie zeigte sich vertraulich, mütterlich, schlug sich auf die Schenkel und fragte aus Ulk:
»Willst wohl, daß man dir die Nase putzt, Bübchen?«
»Ach ja«,