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Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur. Herbert George WellsЧитать онлайн книгу.

Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur - Herbert George Wells


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indem ich fragte, warum der Instinkt die Zugvögel nicht davor behüte, sich an Leuchttürmen die Köpfe einzustoßen, oder die Motten daran hindere, in Gas- oder Kerzenflammen zu fliegen. Es war nämlich sehr unangenehm, an einem Sommerabend in dem Zimmer über dem Laden zu lesen, denn es fielen einem immer wieder halb verbrannte Schnaken und Nachtfalter auf das Buch. ›Wahrscheinlich soll ihnen eine Lehre gegeben werden‹, sagte Vater schließlich. ›Aber was für eine, weiß ich eigentlich nicht recht, Harry.‹

      Manchmal erklärte er mir an Beispielen, daß unrecht Gut nicht gedeihe. Oder er erzählte mir von Mordtaten – es geschahen damals noch ziemlich viele Morde auf der Welt – und wie sie immer entdeckt würden, so schlau der Mörder auch zu Werke gehe. Und immer wieder wies er mit bewunderndem Ernst auf die Güte, die Weisheit, die Umsicht und den Scharfsinn der Vorsehung hin.

      Mit solchen Gesprächen verkürzten wir unsere langen und mühseligen Märsche zwischen Cherry Gardens und Chessing Hanger. Aus den Worten meines Vaters klang dabei stets so viel Begeisterung, daß ich mir nur mit wahrem Entsetzen schließlich eingestand, was wir eigentlich jeden Sonntagabend taten: Wir stahlen oder empfingen gestohlenes Gut aus den Gärten des Lord Bramble. Ich wüßte wahrhaftig nicht, wie wir ohne diesen allwöchentlichen Beutezug uns hätten durchschlagen sollen. Die Familie lebte hauptsächlich von dem Anteil meines Vaters am Gewinn aus diesen Geschäften. Wenn die Waren für Cherry Gardens zu gut oder zu teuer waren, brachte er sie nach Cliffstone und verkaufte sie dort einem Freund, der ein feineres Geschäft hatte.«

      Sarnac machte eine Pause.

      »Fahr' fort«, sagte Beryll. »Wir beginnen deine Geschichte zu glauben. Sie klingt immer mehr so, als hättest du sie wirklich erlebt. Sie ist eine so eingehende Schilderung. Wer war dieser Lord Bramble? Seit langem möchte ich mehr über die ehemaligen Lords erfahren.«

      »Ihr müßt mich meine Geschichte auf meine Weise erzählen lassen«, sagte Sarnac. »Wenn ich auf eure Fragen eingehe, so verliere ich den Faden. Jeder von euch möchte hundert Fragen an mich stellen, über Dinge, die ich erwähnt habe, und Einzelheiten, die mir vertraut, euch aber unverständlich sind, weil unsere Welt sie vergessen hat. Wenn ich euch nachgebe, so werdet ihr mich immer weiter weglocken von meinem Vater und meinem Onkel Julip, und wir werden dann bei einem Gespräch über Sitten und Gebräuche und über Philosophie und historische Ereignisse enden. Ich aber will euch meine Geschichte erzählen.«

      »Fahr' fort mit deiner Geschichte«, sagte Heliane.

      »Dieser Onkel John Julip, der Bruder meiner Mutter, war ein zynischer und eigensinniger Mann. Er war recht klein und dicker, als Gärtner damals zu sein pflegten. Er hatte ein glattes, weißes Gesicht und ein erfahrenes, selbstzufriedenes Lächeln. Anfänglich sah ich ihn nur an Sonntagen, er war dann gewöhnlich in Hemdärmeln und trug einen großen Strohhut. So oft ich zu ihm kam, machte er herabsetzende Bemerkungen über meine Körperbeschaffenheit und über die Luft von Cherry Gardens. Seine Frau hatte irgendeiner Sekte angehört und war nur widerwillig der englischen Staatskirche beigetreten. Auch sie war blaß, und ihr Gesundheitszustand war nicht der beste, sie klagte stets über Schmerzen. Der Onkel aber verlachte sie und sagte, dort, wo sie Schmerzen zu haben vorgebe, könne man gar keine haben. Es gebe Magendrücken, Schmerzen im Rücken, Sodbrennen und Leibschmerzen, weiter nichts. Ihre Schmerzen seien nur Einbildung und könnten daher kein Mitleid erwecken.

      Als ich etwa dreizehn Jahre alt war, faßten Vater und Onkel den Plan, daß ich nach Chessing Hanger übersiedeln und dort Gärtnergehilfe werden sollte. Mir mißfiel dieser Gedanke durchaus; nicht nur, daß ich den Onkel nicht gern hatte, ich fand auch Graben und Jäten und alle Gartenarbeit außerordentlich ermüdend und langweilig. Ich las sehr gerne und liebte Sprachen, hatte wohl auch etwas von der Redseligkeit meines Vaters geerbt, und ein kleiner Aufsatz hatte mir kurz vorher in der Schule besonderes Lob eingetragen. Dies hatte eine ehrgeizige Hoffnung in mir erweckt – ich wollte schreiben, Zeitungsartikel, wenn möglich sogar Bücher. In Cliffstone gab es eine sogenannte Leihbibliothek, die Einwohner des Ortes konnten dort lesen oder auch Bücher entlehnen – ich holte mir in der Ferienzeit fast jeden Tag ein neues Buch –; in Chessing Hanger gab es nichts dergleichen. Meine Schwester Fanny ermutigte mich, viel zu lesen; auch sie verschlang Bücher, namentlich Romane, und sie teilte meine Abneigung gegen den Plan, daß ich Gärtner werden sollte.

      In jenen Zeiten, müßt ihr wissen, machte man keinerlei Versuch, die natürlichen Fähigkeiten eines Kindes abzuschätzen. Man erwartete von jedem menschlichen Wesen, daß es für eine beliebige Gelegenheit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dankbar sei. Die Eltern zwangen ihre Kinder zu dieser oder jener Beschäftigung, die sich aus äußeren Umständen ergab, und infolgedessen hatten die meisten Menschen einen Beruf, der ihnen nicht taugte, ihren natürlichen Gaben keine Entfaltungsmöglichkeit bot und sie in der Regel zu verkrampften und unharmonischen Geschöpfen machte. Schon dies allein verbreitete eine latente Mißzufriedenheit über die ganze Welt. Die Mehrzahl der Menschen litt unter einem Zwang, der ihnen jede Möglichkeit positiven Glücks raubte. Die meisten jungen Menschen, Mädchen sowohl als auch Knaben, erfuhren, indem sie heranwuchsen, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine schmerzliche Verkürzung ihrer Freiheit; sie sahen sich plötzlich ohne eigene Wahl zu irgendeiner Berufsarbeit gezwungen, aus der sie nur schwer wieder herauskonnten. In meinem Leben kam ein Sommer-Ferientag, an dem ich meine bisherigen Freuden, meine Spiele und die beglückende Beschäftigung des Lesens in Cliffstone aufgeben und über die Hügel zu Onkel John Julip wandern mußte, um bei ihm zu bleiben und zu sehen, ob er mich brauchen könne. Ich kann heute noch den bitteren Widerwillen nachempfinden, das Gefühl, geopfert zu werden, das mich erfüllte, während ich mein kleines Köfferchen über die Downs nach Chessing Hanger schleppte.

      Lord Bramble war einer jener Grundbesitzer, Beryll, die unter den hannoveranischen Königen bis zur Regierungszeit der Königin Victoria eine so große Rolle spielten. Weite Gebiete Englands gehörten ihnen als Privatbesitz; sie konnten damit tun, was ihnen beliebte. In den Tagen Victorias der Guten und ihrer unmittelbaren Vorgänger führten diese Grundbesitzer, die als Mitglieder des Oberhauses des englischen Parlaments das Reich regiert hatten, einen aussichtslosen Kampf um die Vorherrschaft gegen die neue Klasse der Industriellen. Diese Industriellen beschäftigten um ihres persönlichen Gewinnes willen die große Masse des Volkes in der Eisen- und Stahl-, Woll- und Baumwoll-Industrie sowie in der Bierbrauerei und der Schiffahrt. Sie wichen schließlich einem anders gearteten Spekulantentypus, der das Annoncenwesen, die politische und finanzielle Ausbeutung der Zeitungen und neue Finanzmethoden entwickelte. Die alten Grundbesitzerfamilien mußten sich den neuen Mächten anpassen oder wurden beiseite geschoben. Lord Bramble war einer der Beiseitegeschobenen, ein verbitterter, altmodischer, verarmter Gutsbesitzer, der tief in Schulden steckte. Sein Besitz, der viele Quadratkilometer umfaßte, bestand aus Bauerngehöften nebst den dazugehörigen Äckern und Wiesen, aus Wäldern, einem großen, unbequemen Wohnhause, das für seine zusammengeschrumpften Mittel viel zu weitläufig war, und aus einem Park von einigen Quadratkilometern. Der Park war arg vernachlässigt; viele der alten Bäume waren vom Holzschwamm zerfressen und faulten, es wimmelte darin von Kaninchen und Maulwürfen, und große Teile waren von Disteln und Nesseln überwuchert. Junge Bäume gab es überhaupt nicht. Die Umfriedungen und Tore waren übel zusammengeflickt, da und dort zogen sich schlecht gepflegte Straßen hin. Dafür waren aber zahlreiche Tafeln angebracht, auf denen drohende Warnungen an Unbefugte, insbesondere immer wieder die Aufschrift » Verbotener Durchgang« zu lesen stand. Denn die Bewegungsfreiheit des gewöhnlichen Mannes einschränken zu können, war das Vorrecht des britischen Grundbesitzers, an dem sein Herz am meisten hing, und Lord Bramble behütete seine Wüstenei mit Inbrunst. Weite Gebiete guten Grunds und Bodens in England befanden sich damals in einem ähnlichen Zustand der Abgeschlossenheit und des malerischen Verfalles.«

      »In diesen Gebieten wurde gejagt«, sagte Beryll.

      »Woher weißt du das?«

      »Ich habe einmal ein Bild gesehen, das Jäger der damaligen Zeit darstellte. Sie standen in einer Reihe längs des Waldsaumes, die herbstliche Färbung der Bäume auf dem Bilde ließ einen leisen Fäulnisgeruch und einen Hauch von Feuchtigkeit in der Luft vermuten. Ich glaube, man schoß mit Bleikügelchen auf Vögel.«

      »Ganz


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