Jochen Klepper: Der Vater Roman eines Königs. Jochen KlepperЧитать онлайн книгу.
suchten ihre Grämlichkeit gar nicht erst zu verbergen. Aber durften sie dem Neffen etwas sagen? Konnte er nicht schon morgen ihr Brotherr sein? Die Feigheit und Verlegenheit reizten den Prinzen. Sein Brokatrock fuhr als Zugwind über die Kerzen und in die Flammen. Der Kamin vermochte die Fülle der Röcke nicht zu fassen, die nun nachgeworfen werden mussten. Das Feuer sank zusammen, der Raum verdunkelte sich; alle Herren bemühten sich um einen Vorwand, diesen Schreckenswinkel verlassen zu dürfen. Zum Glück hatte jeder in Sänfte oder Wagen seinen Umhang oder Mantel.
Grumbkow bot auch seine Weste zum Verfeuern an.
„Nur so sind Königliche Hoheit auf dem rechten Wege. Alle brauchen sie hier handgreifliche Beispiele.“
Die Antwort überraschte Friedrich Wilhelm. Er entschuldigte sich, in Grumbkows Hause ein gar so lebhaftes Exempel statuiert zu haben. Aber der Hausherr belachte es ohne Befangenheit und Verstellung. Auch der Kronprinz und der Fürst mussten lächeln über die verstörte Flucht aller Gäste und wie sie selbst hier voreinander standen ohne Perücken, ohne Spitzenjabots, ohne Röcke, nur in Hose, Hemd und Weste, zerrauft und verrußt. Sie waren so lustig und aufgeräumt, dass sie sich gar nicht erst in Ordnung brachten, sondern so, wie sie waren, am Kamin sitzen blieben, während die Lakaien in unbeirrbarer Gemessenheit Weine, Pasteten, eine ganze kalte Küche auftrugen.
In allen Äußerungen Grumbkows lag eine Billigung dessen, was der Kronprinz getan hatte; dabei hielt er sich von Schmeicheleien weit entfernt. Auch schien er deutlich die tieferen Gründe zu erkennen, aus denen alle Heftigkeit des jungen Herrn hervorgebrochen war. Jedenfalls nahm das Gespräch sehr rasch die Wendung zum Ernste, und zwar – von Grumbkow so geführt – gerade zu den Dingen, die den Sinn des Prinzen so ungestüm bewegten. Plötzlich war der Hausherr in alle geheimen Gedanken des Gastes eingeschaltet. Ein ausgezeichnetes Beobachtungsvermögen hatte ihn genau dieselben Wahrnehmungen machen lassen, die den Thronfolger derart erschütterten. Auch war nun die Zurückhaltung, die Grumbkow sich Gaëtano gegenüber aufgelegt hatte, mit einem Male bedeutsam.
Der große, dunkle Grumbkow, der verhaltene und ernste Mann mit dem genießerischen, satten Mund hätte noch zu schweigen gewusst, wenn er nicht vom nahen Zusammenbruch der Wittgenstein, Wartenberg und Wartensleben so felsenfest überzeugt gewesen wäre. Das Land war am Ende. Grumbkow hatte die Augen offengehalten und den Weg erkannt, auf dem das Unglück kommen musste. Grumbkow hatte auch wirklich gearbeitet. Das gab ihm jetzt die Übermacht über die drei Minister, die nicht mehr in der Lage waren, das Feld ihrer Zerstörung zu überblicken und das Gewirr der Fäden in der Hand zu halten, das sie um den König gar zu kunstvoll spannen. Es war kein Gold mehr da. Da sackten Intrigen, Rankünen und alle Diplomatie einfach in sich zusammen.
Fraglos überschätzte der Kronprinz in dieser wunderlichen Nacht am Kamin Grumbkows innere Größe. Er fand einen, der alles wusste. Er begegnete einem, der im geheimen auf das Bündnis mit ihm hingearbeitet hatte. Unter Müßiggängern, Verschwendern und Verschwörern traf er auf einen Strebsamen, der sich in den Staatsaffären einen Überblick angeeignet hatte, weit über den eigenen Amtsbezirk hinaus.
Aber was bei dem Königssohn in der Stunde dieser Bundesschließung die Aufwallung eines großen Herzens war, blieb bei dem Obermundschenk der mühsam vorbereitete Schlussakt einer schwierigen diplomatischen Unternehmung.
Ein anspruchsvoller, ehrgeiziger, genusssüchtiger junger Herr aus gutem Hause, war er ziemlich mittellos in die Staatslaufbahn und die Hofämter gekommen, die seinen Vätern alles bedeuteten: Brot und Glanz. Die entscheidende Stunde des Aufstiegs und des Einflusses schien ihm genaht, als dem Großen Kurfürsten der schwache Sohn gefolgt war, im Banne nur der einen Sehnsucht, ein König zu sein, um welchen Preis und mit welchem Sinn oder Unsinn es auch sei. Sobald nun Grumbkow sah, was zwischen dem ersten „König von Preußen“ und seinem Volk gespielt wurde, hielt er sich eng an die allmächtigen drei Minister. Aber ihr Bund war so fest und vorsichtig geschlossen, dass kein vierter Raum darin finden konnte. Kreatur zu sein – dazu war Grumbkow zu hochmütig und herrschsüchtig. Der König schien ihm zu schwach, als dass er allein gemeinsam mit ihm gegen die Minister hätte stehen können. So blieb dem Hofmann nichts, als auf das Heranwachsen des Thronfolgers zu warten. Fremder konnten ein älterer und ein jüngerer Mann einander nicht sein. Aber Grumbkow spürte die gewaltige Energie, die vielleicht schon in kurzem alle preußischen Staatsaffären durcheinanderschütteln, der keiner sich entziehen können würde und auf die im wankenden Preußen allein noch zu bauen war.
Der Dessauer stand sorgenvoll bei dem jungen Fürsten und dem Hofmann. Es war zu wenig Einsatz für den Bund, dass Grumbkow gar nichts in ihn einbrachte als die Verbitterung über die Allmacht des Dreifachen Wehs. Aber eben um jener gemeinsamen Gegnerschaft willen musste der Fürst dem Höfling gegenüber jedes eigene Bedenken zurückstellen und den Thronfolger an das Bündnis zwischen ihnen dreien glauben lassen; denn Klugheit, wie die eines Grumbkow, war ein rares Ding im Lande und bei Hofe.
Als die drei Männer in Weste und Hemd am verflackernden Feuer im spärlichen Anbruch erster Helligkeit über dem Tisch mit den geleerten Bechern einander die Hände zum Abschied hinhielten, schien es eine jener seltenen Stunden neuer Freundschaft zu sein, aus denen gemeinsames Werk wird. Und allein die Erinnerung an diese Nacht ließ den Kronprinzen geduldig bei den weiteren Vermählungsfeierlichkeiten ausharren.
Der königliche Bräutigam selbst war von nun an viel bedrückter, dass niemand etwas von der Schwangerschaft der Schwiegertochter gemerkt haben sollte; dass man ihn in die neue Ehe gehetzt hatte; dass so entgegengesetzte Männer wie der Fürst von Anhalt-Dessau und Herr von Grumbkow – die beiden fähigsten und unbequemsten – plötzlich zueinander fanden, dies alles machte ihn betroffen. Er fühlte sich verraten und verkauft, ohne zu wissen, an wen, von wem und für welchen Preis. Immer wieder wurde ihm der Kronprinz als der Stein des Anstoßes und Grund allen Ärgernisses genannt. Hass setzte sich in ihm fest. Weil er sich nicht mehr hindurchfand durch die Wirren, Lügen und Gefahren, hielt er sich an die einzige Erklärung, die man ihm gab: Der Sohn war schuld, der Sohn, der Sohn, der Sohn.
Der Kronprinz begann sich bei den neuen Gefährten bitter zu beklagen: „Ich habe es nicht verdient, wie um der Ungnade des Königs willen alle diese Canailles hier mit mir verfahren. Sie müssen wissen, dass ich wenig und bald gar nichts mehr zu sagen haben werde. Der König glaubt, ich wäre ein Verräter. Meine Freunde dürfen nicht von mir sprechen, wenn sie sich nicht beim König in Verdacht bringen wollen. Wenn ich nur nicht hier wäre und müsste alle die Schelmereien mit ansehen, wie sie unseren guten König betrügen, so wäre ich zufrieden. Hier kann nur Gott noch alles gutmachen!“
Aber der König und die Seinen taten übel.
Und dennoch ließ der König den Kronprinzen seinen Unwillen noch nicht in den letzten Folgerungen auskosten. Wenn nun sein drittes Kind, auch noch so unerwünscht, geboren werden würde und gar ein Knabe wäre, so sollte ihm alle gebührende Ehre erwiesen werden. Denn Preußens erster König ehrte ja sich selbst und sein Werk, wenn er dem Thronfolger und des Thronfolgers Sohn huldigen ließ. Ach, Glanz und Unsterblichkeit über seinem jungen, noch von aller Welt verachteten Königshaus! Friedrich I. atmete tief. Er söhnte sich aus mit dem Gedanken, es möchte nun doch wieder ein Knabe sein.
* * *
Es war ein Knabe.
Am Abend seines eigenen Geburtstages war der Kronprinz allein zurückgeblieben. Eine lange Sommernacht hatte er auf den Schrei des neuen Menschen und das Licht des neuen Tages geharrt. Als es hell war, sank er in Schlaf – unentkleidet, ungewaschen sogar gegen seine selbstverständliche Gewohnheit.
Und nun beglückwünschten sie ihn, wie sie ihn gestern kaum mit Gratulationen bedacht hatten.
Ein Sohn sei es, ein schöner Sohn.
Natürlich, das mussten sie sagen. Friedrich Wilhelm lachte.
Aber beim Anblick des Kindes verlor sich das Lächeln; kaum dass er auf die junge Mutter achtete. Dort lag noch einmal sein erster Sohn. Es strömte ihm glühend über das Herz: Gott konnte alles wiedergeben, was er nahm. Der Sohn war wiedergekommen! Er blieb tief über ihn gebeugt. Nein, es war doch ein anderer, ein ganz anderer – die Augen waren noch dunkler zwischen Schwarz und Blau und waren klarer, der Mund schien kräftiger geschwungen, Stirn- und Backenknochen