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Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von GoetheЧитать онлайн книгу.

Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen - Johann Wolfgang von Goethe


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nach deiner Gegenwart.

      Musik, wie oben. Der Verschleierte steht auf und bleibt vor dem Sessel stehen.

      MARQUIS. Erlaube, daß wir uns dir nahen, daß wir den Saum deines Rockes küssen. Die Wünsche, die so lange in unsern Herzen schliefen, sind jetzt aufgewacht; in deiner Gegenwart werden sie unerträglich unruhig.

      Musik, wie oben. Der Verschleierte tritt sachte die Stufen herunter.

      NICHTE leise. Mir zittern alle Glieder!

      DOMHERR. Versage uns nicht länger den Glanz deines Angesichts!

      ALLE. Großer Kophta, wir bitten!

      Musik, wenige rasche Töne.

      Der Schleier fällt.

      ALLE indem sie auf einmal aufstehen und weiter vortreten. Der Graf!

      Die Jünglinge stehen auf.

      GRAF der hervortritt. Ja, der Graf! Der Mann, den ihr bisher mit einem Namen nanntet, unter dem ihn die Welt in dem gegenwärtigen Augenblicke kennt. O ihr Blinden! Ihr Hartherzigen! Fast ein Jahr gehe ich mit euch um, ich unterrichte eure Unwissenheit, ich belebe euren toten Sinn, ich deute euch auf den Großkophta, ich gebe euch die entscheidendsten Winke; und es geht euch kein Licht auf, daß ihr denselben Mann, den ihr sucht, beständig vor euch habt, daß ihr die Güter, nach denen ihr euch sehnt, täglich von seinen Händen empfangt, daß ihr mehr Ursache habt, zu danken als zu bitten. Doch ich habe Mitleiden mit eurem irdischen Sinn, ich lasse mich zu eurer Schwäche herab. Seht mich denn in meiner Herrlichkeit; mögen eure Augen mich erkennen, wenn euer Herz mich verkannt hat! Und wenn die Gewalt, die ich über eure Gemüter ausübte, euren Glauben schwach ließ, so glaubt nun an die Wunder, die ich außer euch, aber in eurer Gegenwart vollende!

      DOMHERR beiseite. Ich erstaune!

      RITTER beiseite. Ich verstumme!

      MARQUISE beiseite. Seine Unverschämtheit übertrifft meine Erwartung.

      MARQUIS beiseite. Ich bin neugierig, zu sehen, wo das hinauswill.

      GRAF. Ihr steht bestürzt? Ihr seht vor euch nieder? Ihr getraut euch kaum, mich von der Seite anzublicken? Wendet euer Gesicht zu mir, seht mir freudig und zutraulich in die Augen, werft alle Furcht weg und erhebt euer Herz! – Ja, ihr seht den Mann vor euch, der, so alt als die ägyptischen Priester, so erhaben als die indischen Weisen, sich in dem Umgange der größten Männer gebildet hat, die ihr seit Jahrhunderten bewundert; der über allen Rang erhaben ist, keiner Güter bedarf, in der Stille das Gute wirkt, das die Welt bald dieser, bald jener Ursache zuschreibt; der in einer geheimen, durch die ganze Welt ausgebreiteten Gesellschaft von Männern lebt, die mehr oder weniger einander gleich sind, sich selten persönlich, öfters aber durch ihre Werke offenbaren.

      DOMHERR. Ist es möglich, daß es noch mehrere deinesgleichen gebe?

      GRAF in die Höhe deutend. Alles findet seinesgleichen, außer ein Einziger!

      RITTER. Welch ein erhabener Gedanke!

      MARQUISE beiseite. Welch ein Schelm! Das Heiligste in seine Lüge zu verweben!

      GRAF. Ja, seht her. Diesem Haupte kann die brennende Sonne, der beizende Schnee nichts anhaben. Mit diesem unbewehrten vorgestreckten Arm habe ich in den libyschen Wüsten einen brüllenden hungrigen Löwen aufgehalten, mit dieser Stimme, die zu euch spricht, ihm gedroht, bis er mir zu meinen Füßen schmeichelte. Er erkannte seinen Herrn, und ich konnte ihn nachher auf die Jagd ausschicken; nicht für mich, der ich blutige Speise nicht genieße, ja kaum einer irdischen Speise bedarf, sondern für meine Schüler, für das Volk, das sich oft in der Wüste um mich versammelte. Diesen Löwen habe ich in Alexandrien gelassen; ich werde bei meiner Rückkunft einen treuen Gefährten an ihm finden.

      DOMHERR. Haben die übrigen Meister deiner Gesellschaft auch so große Fähigkeiten als du?

      GRAF. Die Gaben sind verschieden ausgeteilt; keiner von uns darf sagen: er sei der größte.

      RITTER. Ist denn der Zirkel dieser großen Männer geschlossen, oder ist es möglich, darin aufgenommen zu werden?

      GRAF. Vielen wäre es möglich; wenigen gelingt es. Die Hindernisse sind zu groß.

      DOMHERR. Wenn uns deine Erscheinung nicht unglücklicher machen soll, als wir bisher waren, so gib uns wenigstens einen Wink, wohin wir unsere Aufmerksamkeit, unser Bestreben richten sollen?

      GRAF. Das ist mein Vorsatz. – Nach allen Prüfungen, die ihr ausgestanden habt, ist es billig, daß ich euch einen Schritt weiter führe, daß ich euch gleichsam eine Magnetnadel in die Hand gebe, die euch zeige, wohin ihr eure Fahrt zu richten habt. Vernehmt! –

      DOMHERR. Ich bin ganz Ohr!

      RITTER. Meine Aufmerksamkeit kann nicht höher gespannt werden!

      MARQUIS beiseite. Ich bin äußerst neugierig!

      MARQUISE beiseite. Was wird er vorbringen?

      GRAF. Wenn der Mensch, mit seinen natürlichen Kräften nicht zufrieden, etwas Besseres ahnet, etwas Höheres begehrt; wenn er sich eine unverwüstliche Gesundheit, ein dauerhaftes Leben, einen unerschöpflichen Reichtum, die Neigung der Menschen, den Gehorsam der Tiere, ja sogar Gewalt über Elemente und Geister stufenweise zu verschaffen denkt: so kann es nicht ohne tiefe Kenntnis der Natur geschehen. Hierzu eröffne ich euch die Pforte. – – Die größten Geheimnisse, Kräfte und Wirkungen liegen verborgen – – in verbis, herbis et lapidibus.

      ALLE. Wie?

      GRAF. In Worten, Kräutern und Steinen.

      Pause.

      MARQUISE für sich. In Steinen? Wenn er die meint, die ich in der Tasche habe, so hat er vollkommen recht.

      MARQUIS. In Kräutern? Man sagt, es sei kein Kraut gewachsen, das unser bestimmtes Lebensziel verlängern könne; und doch muß Ihnen ein solches Kraut bekannt sein, da Sie Ihr Leben nicht allein hoch gebracht, sondern auch Ihre Kräfte, Ihr äußeres Ansehen so lange erhalten haben.

      GRAF. Die Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache.

      DOMHERR. In Worten? Hier ahne ich das meiste, erhabner Lehrer. Gewiß habt Ihr eine Sprache, eine Schrift, wodurch ganz andere Dinge bezeichnet werden als mit unsern armseligen Lauten, wodurch wir nur die gemeinsten Dinge auszudrücken imstande sind. Gewiß besitzest du die geheimnisvollen Zeichen, mit denen Salomon die Geister bezwang?

      GRAF. Alle diese, ja die sonderbarsten Charaktere, die man jemals gesehen hat, Worte, die eine menschliche Lippe kaum auszusprechen vermag.

      RITTER. O lehre sie uns nach und nach buchstabieren.

      GRAF. Vor allen Dingen müßt ihr erkennen, daß es nicht auf die Lippen ankommt, nicht auf die Silben, die ausgesprochen werden, sondern auf das Herz, das diese Worte nach den Lippen sendet. Ihr sollt erfahren, was eine unschuldige Seele für Gewalt über die Geister hat.

      NICHTE für sich. Ach Gott! Nun wird er mich vorrufen; ich zittre und bebe! Wie schlecht werde ich meine Rolle spielen! Ich wollte, ich wäre weit von hier, ich hätte diesen Menschen niemals gesehen.

      GRAF. Tritt herbei, schönes unschuldiges Kind! Ohne Furcht, ohne Sorge, tritt näher, mit einer holden Freude, daß du zu dem Glück auserlesen bist, wornach so viele sich sehnen.

      DOMHERR. Was soll das geben?

      RITTER. Was haben Sie vor?

      GRAF. Wartet und merket auf!

      Musik. Der Graf gibt ein Zeichen. Ein Dreifuß steigt aus dem Boden, auf welchem eine erleuchtete Kugel befestigt ist. Der Graf winkt der Nichte und hängt ihr den Schleier über, der ihn vorher bedeckt hat, doch so, daß ihr Gesicht frei bleibt; sie tritt hinter den Dreifuß. Bei dieser Pantomime legt der Graf sein gebieterisches Wesen ab; er zeigt sich sehr artig und gefällig, gewissermaßen ehrerbietig gegen sie. Die Kinder mit den Rauchfässern treten neben den Dreifuß. Der Graf steht zunächst der Nichte, die übrigen gruppieren sich mit


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