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Kurt Aram: Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen. Kurt AramЧитать онлайн книгу.

Kurt Aram: Nach Sibirien mit hunderttausend Deutschen - Kurt Aram


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die der Firma Siemens gehört, tätig zu sein. Zu diesen Deutschen kamen nun meine Frau und ich.

      An Europäern gab es dann noch zwei Engländer und einen amerikanischen Missionar, der mit seiner Tochter gerade aus Persien angekommen war. Zwei Tage später gesellte sich zu uns noch ein junges holländisches Ehepaar, das im Kaukasus Hochtouren machen wollte.

      Alle übrigen Hotelgäste waren russische Offiziere, unter denen sich zahlreiche Balten befanden, die bei den Tifliser Dragonern standen.

      Natürlich war auch hier der österreichisch-serbische Konflikt das Tagesgespräch. Bei den Deutschen, bei den Russen, bei den Engländern. Aber auch der schwärzeste Pessimist ahnte nicht, was schon am Montag Wirklichkeit sein sollte.

      Sonnabend, den 1. August, ging ich auf das deutsche Konsulat. Leider war der deutsche Konsul überhaupt nicht in Tiflis, sondern schon seit Wochen auf Heimatsurlaub in Deutschland. An seiner Stelle führte die Geschäfte ein Herr Lortz, Sekretär des Konsulats, unter tätiger Unterstützung des österreichischen Konsuls Dr. Corossacz, eines geborenen Ungarn. Der deutsche Sekretär erwies sich als so überarbeitet und aufgeregt, dass ich ihn nicht weiter stören wollte und zum österreichischen Konsulat ging. Der österreichische Konsul war sehr liebenswürdig und sehr zugeknöpft, also das, was man gemeinhin einen Diplomaten nennt.

      Als ich wieder auf der Straße stand, traf ich zufällig einen mir von Konstantinopel her bekannten Syrier, der mich ganz entsetzt anstarrte und flüsterte: „Machen Sie, dass Sie fortkommen, es gibt Krieg!“ Ich lächelte ungläubig, aber er machte jedenfalls, dass er schleunigst weiter kam.

      Am nächsten Tag gegen Mittag, es war Sonntag, wir saßen gerade beim Frühstück, erschien ein Balte im Restaurant, ein Baron Drachenfels, tuschelte geheimnisvoll nach rechts und links mit ihm bekannten Deutschen aus der Stadt, die am Sonntag hier ebenfalls frühstückten. Er schien sehr erregt zu sein, bat einige Deutsche, die er kannte, darunter auch den bayrischen Ingenieur und seine junge Frau, die Wienerin, zu sich an den Tisch und bestellte Sekt, weil er Kater habe und ihn wegschwemmen wolle.

      Meine Frau und ich saßen nicht an dem Tisch, da wir damals noch niemanden von der Tafelrunde persönlich kannten. Der Sekt löste die Zungen, und da eine junge Frau am Tische saß, der man eifrig den Hof machte, ging es bald sehr lebhaft zu.

      Wir fanden, diese Deutschen benähmen sich denn doch etwas zu laut in dieser immerhin kritischen Zeit. Wir sahen auch, wie ein Tisch mit russischen Offizieren immer unruhiger wurde über die vergnügten Deutschen. Nach allem, was sie taten und sagten, wusste ich, dass ihr Zusammensein rein zufällig und ganz harmlos gemeint sei. Aber ich kannte ja Russland und wusste, wie leicht man dort jemandem auch aus der größten Harmlosigkeit einen Strick dreht, wenn man will und einen Vorwand findet.

      Wir verließen das Restaurant, zumal ich bemerke, wie auch der jüngere Sohn des Hauses immer unruhiger wurde über die fröhlich Sekt trinkende Gesellschaft. Ich hatte kein Recht, die Leute zu warnen, also entfernte ich mich lieber. Dass dies durchaus harmlos gemeinte Sektfrühstück noch so schwere Folgen haben würde, das hätte ich an jenem Sonntag noch nicht für möglich gehalten.

      * * *

      Die Kriegserklärung

       Die Kriegserklärung

      Als am Montag früh, den 3. August, meine Pässe noch nicht im Hotel waren und die Polizei auf telefonischen Anruf erklärte, es werde damit wohl noch bis morgen dauern, ging ich mit dem jüngeren Sohn unserer Hotelbesitzerin ein wenig spazieren, mir wieder einmal die schöne Stadt Tiflis anzusehen.

Grafik 50

      Tiflis um 1910

      Wir schlenderten durch den schattigen Alexandergarten, denn es war sehr heiß, und gelangten zum Golowinskij-Prospekt, der breiten Hauptstraße, an der die massige Garnisonskirche, der Statthalterpalast, die Kommandantur, die öffentliche Bibliothek und das Kaukasische Museum liegen.

      Hier begegneten wir gegen halb zwölf Uhr einem uns bekannten russischen Stabsoffizier. Wir grüßten. Er eilte hastig an uns vorüber, stutzte, kam auf uns zu, gab uns die Hand und sagte mit einem etwas hämischen Lächeln: „Haben Sie schon gehört? Deutschland hat uns den Krieg erklärt!“

      Einen Augenblick standen wir wie vom Schlag getroffen. Dann aber lachte mein Begleiter dem Offizier ins Gesicht. So ein Unsinn!

      Der Offizier eilte weiter.

      Wir gingen stumm nebeneinander her, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt ... Unsinn! Warum sollte gerade Deutschland Russland den Krieg erklären?

      Wir gelangten zum Eriwan-Platz, auf dem immer mehr Menschen zusammenkamen. Erregt, neugierig. Irgendetwas war im Gange.

      Wir sahen, wie aus dem Rathaus ein Tisch auf den Platz getragen wurde. Ein weißes Tuch wurde darüber gedeckt und darauf ein großes goldenes Kreuz gestellt. Über dem Tisch wurde ein prunkvoller Baldachin errichtet. Einige Popen erschienen in goldüberladenen Gewändern.

      „Irgendeine Seelenmesse wird gelesen, das kommt hier öfter vor“, sagte mein Begleiter, und wir gingen eilig weiter. Rein mechanisch wählten wir den Weg zur Ssergijewska, in der das österreichische Konsulat liegt.

      Kaum waren wir in die Straße eingebogen, raste uns ein Zeitungsjunge mit einem Stoß Extrablättern entgegen. Wir entrissen ihm ein Blatt, auf dem nichts weiter stand als das lakonische Telegramm der Petersburger Telegraphenagentur, dass Deutschland Russland den Krieg erklärt habe. Trotzdem kam uns das allen beiden noch so unglaubhaft und ungeheuerlich vor, dass wir das Telegramm immer noch nicht ernst nahmen.

      Der österreichische Konsul wusste nicht mehr als wir. Wir brachten ihm sogar durch unser Extrablatt die erste Kriegsnachricht ins Haus. Er schien geradeso wenig daran zu glauben wie wir. Er schien auch wirklich nichts Genaueres zu wissen, denn er erklärte, er erhalte von seiner Regierung seit Tagen keine Nachricht mehr. Trotz dringender Telegramme, die er aufgegeben habe.

      „Aber in dem Petersburger Telegramm steht doch nur etwas von einem Krieg zwischen Deutschland und Russland. Kein Wort über einen Krieg zwischen Österreich und Russland. Warum sollte man Ihnen dann keine Telegramme aushändigen?“

      Dr. Corossacz zuckte vielsagend die Achseln.

      Der Sekretär des deutschen Konsulats telefonierte. Wir gingen mit dem österreichischen Konsul zum deutschen Konsulat.

      Der Sekretär war höchst aufgeregt. Er glaubte sofort an den Krieg. Er bereitete alles vor, um das Konsulat zu schließen.

      Wir beeilten uns, nach Hause zu kommen. Auf dem Eriwan-Platz wurde die erste Kriegsmesse unter freiem Himmel gelesen. Zum ersten Mal erflehten hier russische Popen den Sieg für die russischen Waffen und Untergang und Verderben für Deutschland. Zum ersten Mal scholl vom Eriwan-Platz hinter uns drein die russische Nationalhymne mit ihrer inbrünstigen, choralartigen Weise.

      An den Ladentüren der deutschen Geschäfte auf dem Golowinskij-Prospekt standen die Inhaber und Angestellten mit bleichen Gesichtern. Aber keiner von allen glaubte an den Ernst der Lage. Sie alle waren unserer Ansicht: Stimmungsmache gegen die Deutschen.

      Es war Mittag und der Golowinskij-Prospekt wimmelte von Menschen. Sie hielten das Telegramm in Händen oder warfen es schon, spöttisch lächelnd, von sich. Ernst wurde hier die Sache auch nicht genommen.

      Dieselbe Stimmung herrschte im Hotel. Tragisch nahm man das Telegramm auch hier nicht. Weder die russischen Offiziere noch die ausländischen Zivilisten.

      Die Offiziere unterhielten sich mit uns, wir mit den beiden Engländern. In dem ersten Hotel von Tiflis trieb an diesem Tag die erste Nachricht von dem nahenden Unheil die Gäste der verschiedenen Nationalitäten nicht voneinander fort, sondern zueinander.

      Die beiden Engländer sahen zuweilen mit gespanntem Ernst in die Ferne wie auf ein ungeheuerliches Geschäft, das ihnen erst in flüchtigen Umrissen vor den Augen stand, und erwogen als kaltblütige Kaufleute die Chancen dieses Geschäftes.

      Wir


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