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Von Zwanzig bis Dreißig. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.

Von Zwanzig bis Dreißig - Theodor Fontane


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geboren. Auf den ersten Blick eine ziemlich prosaische Gegend. Und doch ist es dieselbe, der wir auch unsren Gottfried Schadow verdanken. Einen gleichen Ruhm einzuheimsen, ist nun freilich unsrem Egbert Hanisch versagt geblieben, aber an Klugheit, Gesundheit, Selbstbewußtsein und eiserner Willenskraft war er dem berühmten Schneiderssohn aus Saalow durchaus ebenbürtig. Sein Vater war ein kleiner Buchbindermeister, handelte mit Fibeln und Schreibheften und hatte nebenher auch eine Leihbibliothek. Auf diese stürzte sich Egbert von frühester Jugend an. Er war aber auch, was sich selten mit solcher Lesewut vereinigt, ein glänzender Schüler, ebenso fleißig wie von raschester Auffassung, und so kam es denn, daß er, nachdem er irgendwo das Gymnasium besucht hatte, mit kaum achtzehn auf die Berliner Universität rückte. Hier sah er sich durch Hengstenberg ausgezeichnet und hatte, nach aller Zeugnis, die Gewißheit einer glänzenden Laufbahn vor sich, als ihn plötzlich ein Wirbelwind ergriff und auf den steinigen Boden des Unglaubens niedersetzte. Jedenfalls war in seinem Gemüt alles ins Schwanken gekommen, und diese Zweifel hatten ihn nicht bloß aus seinem theologischen Studium heraus-, sondern auch in die weite Welt hineingeführt, niemand wußte recht, von wem geleitet. In den Sitzungen war oft die Rede von ihm gewesen; jetzt mit einem Male hieß es: »Er hat geschrieben; er kommt.«

      Und wirklich, er kam. Die lebhafteste Freude zeigte sich, denn er war nicht bloß der Stolz, sondern auch der Liebling aller. Er begrüßte mich als neu aufgenommenes Mitglied durchaus freundlich, aber doch mit einem starken Beisatz von Herablassung und setzte sich dann auf seinen Ehrenplatz, um über seine Reise zu berichten. Von Ziel und Zweck derselben aber sprach er nicht, immer nur von kleinen Erlebnissen, unter denen er die komischen bevorzugte.

      Wie jeder, so war auch ich ganz Ohr, noch mehr aber war ich Auge. Denn viel, viel mehr noch als das, was ich hörte, interessierte mich das, was ich sah. Seine Erscheinung hatte was ungemein Fesselndes. Er war mittelgroß, schlank, beinah mager, was einem dadurch besonders auffiel, daß auf seinen Schultern ein unverhältnismäßig großer Kopf saß. Gesundeste Farbe, leuchtende Augen, dazu wolliges, halb mohrenhaftes Haar – all das wäre genug gewesen, um Aufmerksamkeit zu wecken. Aber mehr noch wirkte sein Kostüm! Er trug Nankingbeinkleider, einen zeisiggrünen Frack mit altem Sammetkragen und eine Rose im Knopfloch. Wäsche sehr sauber.

      Allmählich lebten wir uns ein und wurden gute Freunde. Was er sagte, war immer kurz und apart, mitunter mehr als nötig, denn von der Eitelkeit, immer etwas Bedeutendes sagen zu wollen, war er nicht freizusprechen. Aber da das Überlegene seiner Natur und seines Wissens klar zutage lag, so ließ man sich dies allerseits gern gefallen und ich nun schon ganz gewiß. Er war zu dem Ton, den er anschlug, nach aller Meinung voll berechtigt. In der Ironie war er ein Meister, so sehr, daß ich auch daran nicht Anstoß nahm, wiewohl mir – wie schon an andrer Stelle hervorgehoben – diese hochmütige Gesprächsform von Jugend auf zuwider war. Er hörte meine Gedichte ruhig mit an, und ich meinerseits lauschte mit einer Art Andacht dem Vortrag der seinigen. Sie konnten für sehr gut oder doch wenigstens für sehr talentvoll gelten, und was Maron im Lenau-Klub war, war Hanisch im Platen-Klub. Wir hielten beide viel von weiten Spaziergängen, und in der Regel kam er zu mir, um seinerseits mich abzuholen. Dies schien er vorzuziehen. Einmal aber drang ich doch bis in seine Wohnung vor, weil ich nicht ahnte, daß ihn das genieren könne. Große Geister haben auch ihre Schwächen. Er hatte sich im Seitenflügel eines alten Hauses bei einer armen Waschfrau eingemietet und bewohnte von den zwei Zimmern, aus denen die Gesamtwohnung bestand, das vordere, hart an der Hintertreppe gelegen, dessen eines Fenster, mit einem kleinen Blumenkasten davor, auf den etwas schmuddligen Berliner Hof hinuntersah. Dicht am Fenster befand sich ein als Arbeitstisch dienendes Klappbrett; ein Binsenstuhl stand davor, und auf einem alten Koffer von Seehundsfell lagen etliche Bücher, aber nicht mehr als ein halbes Dutzend. Was er von Büchern brauchte, fand er auf der Bibliothek, wo er meistens die Vormittage zubrachte. Zwei gegenübergelegene Türen, von denen die eine nach dem Flur hinaus-, die andere zur Waschfrau hineinführte, teilten, wenn man durch die Mitte hin eine Querlinie zog, den kleinen Raum in eine Vorder- und Hinterhälfte. In dieser Hinterhälfte stand das Bett, dem ein am Fußende aufgerichteter ovaler Waschzuber als Bettschirm diente. »Etwas primitiv«, sagte er, mit erzwungener guter Laune darauf hinweisend, und ich setzte hinzu: »Ja, aber doch eigentlich mein Ideal.«

      Trotz dieser Versicherung hatte die ganz ungewöhnliche Wohnungsschlichtheit einen etwas betrüblichen Eindruck auf mich gemacht, und als ich bald darauf Werner Hahn traf, fragte ich diesen, wie das alles zusammenhänge. Ich sei wohl auch für Einfachheit und fände leicht einen Reiz und einen Vorzug darin; aber das ginge mir doch beinahe zu weit.

      »Ja, lieber Freund«, sagte Hahn, »er lebt eben, wie er leben kann. Und schon dies geht eigentlich über seine Mittel. Er hat gar nichts.«

      »Aber so klug, wie er ist, müßt' es ihm doch ein leichtes sein...«

      »...Stunden zu geben«, unterbrach mich Hahn, »zu schulmeistern und so sich durchzuschlagen. Gewiß. Aber das mag er nicht, und ich kann's ihm kaum übelnehmen. Ein elendes Dasein blieb' es doch. Und da ist diese Lebensform vielleicht besser. Er bleibt bei Kraft, vertut sich nicht und vor allem gähnt er sich nicht selber an, wie so viele leider tun müssen. Er hat eine hohe Meinung von sich, andre, wie Sie wohl gesehen haben, bestärken ihn darin, und so darf er sich's schließlich erlauben. Er lebt eigentlich von den Freunden, und sie sind stolz und glücklich, daß er sich ihre Guttat gefallen läßt.«

      »Ich wußte nichts von dem, was Sie da sagen. Wie wird denn das eingerichtet? Da müßte man doch auch eigentlich mit dabeisein.«

      »Ist nicht nötig... Und dann, Sie sind nicht Student und gehören überhaupt nicht mit dazu. Pardon. Aber es ist so. Hanisch braucht nicht für sich selbst zu sorgen, andre sorgen für ihn. Allmonatlich schicken wir ihm dreißig Speisemarken, und wenn Sie mittags zu Rosch gehen, so sind Sie sicher, ihn da zu finden. Das andre berechnen wir mit seiner Wirtin; immer bloß ein Minimum. Er lebt zu Hause von Wasser und Weißbrot, aber gut muß beides sein. Denn so wenig verwöhnt seine Zunge ist, so fein ist sie doch auch wieder, vielleicht, weil sie so wenig verwöhnt ist.«

      Ich hörte dem allen wie beschämt zu.

      Bald nachdem ich dies Gespräch mit Werner Hahn geführt hatte, brach Freund Hanisch wieder auf. Wohin, erfuhr ich nicht. Ich war in der angenehmen Lage, dem Scheidenden ein kleines Abschiedsfest geben zu können, dasselbe, das ich, mit einigen Details, in einem früheren Kapitel beschrieben habe.

      Das war Spätsommer 40. Ich war dann jahrelang von Berlin fern und hörte nur aus Briefen, daß Hanisch sein Wanderleben in Genf und Paris fortsetze. Was dies alles bedeutete, hab' ich nicht erfahren können. Ich glaube, daß er irgendeinem mit einer »Einheit« sich beschäftigenden Volksbund angehörte, wobei mir nur zweifelhaft bleibt, ob es nationale Einheit oder Zoll- und Handelseinheit oder Religionseinheit war. Oder vielleicht war es auch alles drei. Sehr schlimm indessen kann es mit all diesen »Verschwörungen« nicht gewesen sein, sonst hätten ihm die fast sämtlich zu Hengstenberg haltenden Theologen des Kreises nicht ihre Liebe und Treue bewahrt. Ich glaube, sie sahen alle diese befremdlichen Dinge wie Blasen an, die aus einem Geist, der beständig gärte, mit Notwendigkeit aufsteigen mußten, hielten sich aber überzeugt, daß alles Durchgangsphase sei, der über kurz oder lang Rückkehr zum Glauben und damit Klärung und Friede folgen werde.

      So kam es denn auch. Er kehrte ganz zu den alten Göttern zurück. Mitteilungen in diesem Sinne vernahm ich durch viele Jahre hindurch nur gerüchtweise, bis der Sommer 90 mir die Bestätigung brachte. Dies war ein acht Seiten langer, in wundervoll klarer und fester Handschrift geschriebener Brief aus einem weit westlich der Elbe gelegenen Pfarrdorfe, worin mir Hanisch, in lapidarem Stil, die zweite Hälfte seines Lebens abschilderte, Schilderungen, denen er gleichzeitig eine kleine Zahl seiner aus neuerer Zeit stammenden Gedichte beigefügt hatte. Das Ganze freute mich, und ich sah mal wieder in ganz wunderbare Fügungen. Meine mit Herzlichkeit geschriebene Antwort gab dem, so hoff' ich, auch Ausdruck, aber sosehr mich alles gefreut und gerührt hatte, so hatte der Brief des alten Freundes doch auch wieder etwas Erkältendes gehabt. »Fanchon bleibt sich immer gleich«, und wie der Mensch in die Wiege gelegt wird, so ins Grab. Er war nun wohl gegen Mitte Siebzig und doch ganz unverändert der alte: dieselbe Superiorität, derselbe Glaube an sich, dieselbe Unfehlbarkeit und, schrecklich zu sagen, auch dieselbe Ironie. Was aus mir geworden war, war ihm trotz des Lebenszeichens, das


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