Deutsches Märchenbuch + Neues Deutsches Märchenbuch. Ludwig BechsteinЧитать онлайн книгу.
herbeikam,
hörte er ein Getrappel, es kam näher und
näher, machte sich in den Hirsesamen und da hörte
Johannes ein recht fleißiges Abraufen. Halt, dachte er,
da hab ich dich! und er zog einen Strick aus der Tasche,
schob leise die Dornen zurück und schlich dem
Dieb vorsichtig näher. Als er hinzukam – wer hätte
sich das vermutet? – war der Dieb – ein allerliebstes
kleines Pferdchen. Johannes war innerlich erfreut;
hatte auch mit dem Einfangen gar keine Mühe; das
Tierchen folgte ihm willig zum Stall, den Johannes
fest verschloß. Und nun konnte er noch ganz gemach
in seinem Bette ausschlafen. Früh, als seine Brüder
aufstiegen und hinunter in den Garten gehen wollten,
sahen sie mit Staunen, daß Johannes in seinem Bette
lag und schlief. Da weckten sie ihn, und höhnten ihn
mit allerlei Neckreden, daß er der beste Wächter sei,
da er sogar nicht einmal die Nacht ausgehalten habe
auf seiner Wache. Aber Johannes sagte: »Seid ihr nur
ganz stille, ich will euch den Hirsedieb schon zeigen.
« Und sein Vater und seine Brüder mußten ihm
zum Stalle folgen, wo das wunderseltsame Pferdlein
stand, von dem niemand zu sagen wußte, woher es gekommen
und wem es zugehöre. Es war allerliebst anzusehen,
von zartem und schlankem Bau, und dazu
ganz silberweiß. Da hatte der Kaufmann eine große
Freude und schenkte seinem wackern Johannes das
Pferdchen als Belohnung, der nahm es freudig an und
nannte es Hirsedieb.
Bald vernahmen die Brüder, daß eine schöne Prinzessin
verzaubert wäre im Schloß, das auf dem gläsernen
Berge stehe, zu welchem niemand wegen der großen
Glätte emporklimmen könne. Wer aber glücklich
hinauf und dreimal um das Schloß herumreite, der erlöse
die schöne Prinzessin, und bekomme sie zur Gemahlin.
Gar unendlich viele hätten schon den Bergritt
probiert, wären aber alle wieder herabgestürzt und
lägen tot umher.
Diese Wundermär erscholl durchs ganze Land, und
auch die drei Brüder bekamen Lust, ihr Glück zu versuchen,
nach dem gläsernen Berg zu reiten, und – wo
möglich die schöne Prinzessin zu gewinnen. Michel
und Georg kauften sich junge, starke Pferde, deren
Hufeisen sie tüchtig schärfen ließen, und Johannes
sattelte seinen kleinen Hirsedieb, und so ging es aus
zum Glücksritt. Bald erreichten sie den gläsernen
Berg, der Älteste ritt zuerst, aber ach – sein Roß glitt
aus, stürzte mit ihm nieder und beide, Roß und Mann,
vergaßen das Wiederaufstehen. Der zweite ritt, aber
ach – sein Roß glitt aus, stürzte mit ihm nieder, und
beide, Mann und Roß, vergaßen auch das Aufstehen.
Nun ritt Johannes, und es ging trapp trapp trapp trapp
trapp – droben waren sie, und wieder trapp trapp
trapp trapp trapp und sie waren dreimal ums Schloß
herum, als wenn Hirsedieb schon hundertmal diesen
gefährlichen Weg gelaufen wäre. Nun standen sie vor
der Schloßtüre; diese ging auf, und es trat die reizendschöne
Prinzessin heraus; sie war ganz in Seide und
Gold gekleidet, und breitete freudig die Arme gegen
Johannes aus. Und derselbe stieg schnell vom Pferdlein
und eilte die holde Prinzessin, und somit sein
ganzes überaus großes Glück zu umfangen.
Und die Prinzessin wandte sich zum Pferdlein,
liebkosete dasselbe und sprach: »Ei, du kleiner
Schelm, warum warst du mir denn entlaufen, daß ich
nicht mehr die einzige Nachtstunde, die mir vergönnet
war, unten auf der grünen Erde zu weilen, genießen
konnte, da du mich nicht mehr den gläsernen Berg
hinunter- und wieder herauftrugst? Nun darfst du uns
nimmermehr verlassen.« – Und da ward Johannes gewahr,
daß sein Hirsediebchen das Zauberpferdlein
seiner himmelschönen Prinzessin war. Seine Brüder
kamen wieder auf von ihrem Fall, Johannes aber
sahen sie nicht wieder, denn der lebte glücklich und
allen Erdensorgen entrückt, mit seinem Engel im Zauberschloß
auf dem gläsernen Berge, aber auch zu diesem
Berge fand kein Menschenkind mehr den Weg,
weil der Zauber gelöst und die Prinzessin von ihrem
Bann befreit worden war, durch ihr kluges Rößlein,
das den rechten Befreier und Gemahl ihr zugetragen.
Der goldne Rehbock
Es waren einmal zwei arme Geschwister, ein Knabe
und ein Mädchen, das Mädchen hieß Margarete, der
Knabe hieß Hans. Ihre Eltern waren gestorben, hatten
ihnen auch gar kein Eigentum hinterlassen, daher sie
ausgehen mußten, um durch Betteln sich fortzubringen.
Zur Arbeit waren beide noch zu schwach und
klein; denn Hänschen zählte erst zwölf Jahre und
Gretchen war noch jünger. Des Abends gingen sie
vors erste beste Haus, klopften an und baten um ein
Nachtquartier, und vielmal waren sie schon von guten
mildtätigen Menschen aufgenommen, gespeiset und
getränket worden; auch hatte mancher und manche
Barmherzige ihnen ein Kleidungsstückchen zugeworfen.
So kamen sie einmal des Abends vor ein Häuschen,
welches einzeln stand; da klopften sie ans Fenster,
und als gleich darauf eine alte Frau heraussah, fragten
sie diese, ob sie hier nicht über Nacht bleiben dürften?
Die Antwort war: »Meinetwegen, kommt nur
herein!« Aber wie sie eintraten, sprach die Frau: »Ich
will euch wohl über Nacht behalten, aber wenn es
mein Mann gewahr wird, so seid ihr verloren; denn er
isset gern einen jungen Menschenbraten, daher er alle
Kinder schlachtet, die ihm vor die Hand kommen!«
Da wurde den Kindern sehr angst; doch konnten sie
nunmehr nicht weiter, es war schon ganz