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... der kann nicht mein Jünger sein. Ralph ArdnassakЧитать онлайн книгу.

... der kann nicht mein Jünger sein - Ralph Ardnassak


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war, lebte er allein in jener modernen Stadt, die er geplant und entworfen hatte, für all die Menschen und ihre Familien. Für all die Ingenieure und die Techniker, die ihr Auskommen in dem nahen Kraftwerk fanden.

      Das Kraftwerk hatte er jedoch nicht geplant und entworfen. Das war Industriebau. Also etwas für die ganz wenigen Spezialisten. Er hingegen plante lediglich Häuser, in denen die Menschen lebten oder die ihrer Zerstreuung dienten.

      Er lebte allein, denn es war ihnen nicht vergönnt gewesen, Kinder zu bekommen.

      Oft hatte er darüber nachgedacht, sich einen Gefährten zuzulegen, ein Haustier vielleicht, mit dem er hätte reden können. Allein, er scheute die Verantwortung. Die Verantwortung für ein anderes Geschöpf nahm er stets sehr ernst. Daher bat er auch die Pioniere stets hinein und bewirtete sie mit Tee oder mit kalten Getränken, wenn sie ihn gelegentlich im Auftrage des Komsomol in seiner Wohnung besuchten. Er nahm die Verantwortung für ein anderes Geschöpf so ernst, dass er sich schließlich scheute, ein Haustier anzuschaffen. Aber die Sorge darum, was aus diesem Haustier werden könnte, wenn er einmal unvermittelt stürbe, wog schwerer als selbst seine Einsamkeit.

      So war der alte Mann mit dem weißen Bart und dem langen grauen Haar, das niemand mehr schnitt und das ihm das Aussehen und die Würde eines Tolstoi verlieh, allein geblieben mit seiner Einsamkeit und all den Ritualen, die er im Verlaufe der vielen Jahre entwickelt hatte, um nicht wahnsinnig zu werden, allein in seiner kleinen Einraumwohnung hoch über der modernen Stadt, die er geplant und entworfen hatte.

      Sein Leben hatte jedoch noch einmal eine erfreuliche und unvorhersehbare Bereicherung erfahren, als die greise Sinaida Maximowa Petrjunok, die mit ihrem Gatten im gleichen Treppenaufgang wohnte, wie er selbst, unvermittelt eines Morgens an seiner Tür geklingelt hatte, um ihm ein Paar Katzengeschwister aus dem letzten Wurf der Katze ihrer Enkeltochter zu überreichen.

      Erst hatte er sich geradezu vehement gesträubt und mit beiden Händen kräftig abgewehrt, bis die Nachbarin schließlich sein Herz erweichen konnte mit dem einfachen Satz: „Nun nehmen Sie diese beiden Katzenkinder schon, Sergej Antonowitsch Mentow! Das sind schließlich keine Ungeheuer, sondern niedliche und liebenswerte Katzenkinder, die jetzt Ihrer Fürsorge bedürfen! Und Sie, Sie bedürfen jetzt der Fürsorge dieser Katzen! Sie vereinsamen ja sonst in ihren vier Wänden, wie ein alter grauer Wolf und werden noch zum Feind aller Menschen!“

      So hatte der alte Mann schließlich in tiefer Dankbarkeit den kleinen Pappkarton mit den beiden Katzenkindern angenommen, die fortan den Mittelpunkt seines Lebens bildeten. Zunächst hatte er sie, der Einfachheit halber und weil er von Hause aus ein Naturwissenschaftler war, lediglich Koschka 1 und Koschka 2 nennen wollen. Aber die greise Nachbarin hatte opponiert.

      „Das kommt gar nicht in Frage, Sergej Antonowitsch Mentow! Das sind Lebewesen und jedes Lebewesen hat ein Recht auf einen anständigen und wohlklingenden Namen, bei dem es gerufen wird und an den es sich gern erinnert! Und ich habe auch schon Namen für diese Beiden! Nuntius heißt der kleine Kater, weil er als der Bote der Liebe und Fürsorge in Ihre Obhut gekommen ist! Und Emma heißt die kleine graue Katze, nach der Cousine meiner Enkeltochter, die in Deutschland lebt!“

      Von nun an bereicherte sich das Leben des alten Mannes, der sogleich seinen Balkon mit Netzen sicherte, damit die geliebten Katzen nicht etwa hinunter fallen konnten und der Kauf von Katzenfutter wurde nun zu einer seiner täglichen Hauptbeschäftigungen, die ihm wichtiger erschienen, als die Zubereitung der eigenen Mahlzeiten. Die Katzen wurden ihm endlich jene Kinder, die er nie gehabt hatte.

      Von seinem Fenster aus konnte er auf den großen grauen Platz blicken, den er entworfen hatte und über den die Menschen lärmend dahin strömten, wie geschäftige Ameisen. Jeder nach einem persönlichen Ziel.

      Hinter dem Platz erhoben sich all die weißen modernen Häuser mit ihren tausenden von komfortablen Wohnungen. Wie ein riesiger Ameisenhügel wirkte seine Stadt. Eine Stadt, die auch nachts nicht schlief. Die Nächtens hell beleuchtet war und von der erst unlängst mit Stirnrunzeln aus der Zeitung erfahren hatte, dass in ihr in jedem Jahr an die tausend Kinder geboren wurden.

      Mit Befriedigung nahm er diese Zahl zur Kenntnis. Schien sie ihm doch Indiz dafür, dass es den Menschen nicht nur gut gehen musste, in der Stadt, die er für sie geplant hatte, sondern dass sie sich hier regelrecht wohl zu fühlen schienen? Würden denn sonst derartig viele Kinder an einem bestimmten Ort geboren werden?

      Bis zum Horizont erstreckte sich das Meer der hellen Häuser mit seinen Fensterfronten, seinen flachen modernen Dächern und Schornsteinen. Und von beinahe jedem Gebäude wusste er noch die Typenbezeichnung und die Zahl der Zimmer, die dessen Wohnungen aufwiesen, seine Besonderheiten und seine zahllosen Vorzüge aufzuzählen.

      Er blickte auf die Wohnhäuser und auf die modernen Funktionsbauten. Auf die Kindergärten und Schulen, auf die Polikliniken und Restaurants, auf die Klubs und Magazine. Und es freute ihn, noch jeden Tag erleben zu dürfen, wie dasjenige, was er am Reißbrett geplant hatte, von all den Menschen angenommen und mit Leben erfüllt wurde. Wie all die steinernen Wände, die nach seinen Maßgaben durch die Brigaden der Arbeiter hochgezogen worden waren, nun Zeuge all des quirligen Lebens wurden, welches sich Tag und Nacht in ihnen abspielte.

      Schnurgerade liefen die breiten Straßen bis zum Horizont. Und zwischen all den mehrgeschossigen Wohngebäuden hatte er Raum für Grün gelassen. Licht und Luft sollte jede Wohnung für die Werktätigen der Stadt erfüllen. Vor allem viel Sonne für die Kinder. Um den Platz brauchte er sich bei der Planung dieser modernen Stadt keinerlei Sorgen zu machen. Denn eines hatte die Sowjetunion mit Sicherheit genug: Raum! Und der schiere Raum, den das Land zu bieten hatte, war immer schon der Verbündete des russischen Menschen gewesen! Das hatten schon Napoleon und Hitler erfahren müssen!

      Ganz hinten aber, in der Bläue des Horizontes, hinter einem Saum junger grüner Waldbäume, erhob sich wie ein Tempel das nahe Kraftwerk.

      Ehrfurcht geboten seine gewaltigen und zugleich geheimnisvollen Kuppeln und Schornsteine. Seine großen quadratischen Bauten aus Beton. All das Gewirr aus Baulichkeiten, die dem Lande dasjenige bereit stellten, bei Tag und bei Nacht, was eine moderne Industriegesellschaft am dringendsten benötigte, um existieren zu können: Energie!

      Das Kraftwerk schläft nie! Es war ein Slogan, den jeder hier in Prypjat kannte. Denn nahezu jeder, der hier lebte, war im Kraftwerk beschäftigt.

      Er sah hinaus und er sah dabei die vielen Fenster der von ihm geplanten Gebäude der Stadt. Und jedes Gebäude schien ihm wie ein menschliches Leben selbst, das hunderte weiterer menschlicher Leben barg und bewahrte. Jedes Fenster schien ihm wie ein leuchtendes Augenpaar, wenn nachts die elektrischen Lichter dahinter brannten und die Gebäudefronten erleuchteten, so dass man hätte Buchstaben bilden können aus all den hell erstrahlenden Fenstern. Und hinter jedem Fenster gab es Leben. Wurden Kinder gezeugt, Streitigkeiten ausgetragen, wurde geplant und gekocht und gehofft und geliebt und gelitten.

      Stolz erfüllte den alten Mann, wenn er sehen könnte, wie aus seiner Planung eine Stadt aus Beton und Glas geworden war. Eine Stadt, die prall mit Leben angefüllt war, als wäre sie ein Gefäß. Ein Gefäß, in dem das Leben immerfort gären und reifen konnte.

      Er war tatsächlich sehr glücklich und überaus dankbar, seine Stadt so lebendig und glücklich erleben zu dürfen. Und oft hatte er sich doch in dunklen Stunden gefragt, während er aus dem Fenster schaute und die Menschen dort unten beobachtete, wie sie über den Platz liefen, was wohl je dazu beitragen könnte, seine wunderbare Stadt zu entvölkern. Er wusste, dass dies nach menschlichem Ermessen wohl niemals geschehen würde. Aber dennoch waren ihm sogleich zwei Antworten auf diese rein hypothetische Frage eingefallen: ein Krieg und eine fürchterliche Seuche, eine unsichtbare und doch zugleich allgegenwärtige Bedrohung, wie sie wohl nur der mittelalterlichen Pest vergleichbar sein konnte!

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