Die Facebook-Entführung. Jürgen HoffmannЧитать онлайн книгу.
Eine ganze Welt, die man an einem lauen Nachmittag entdecken kann. Awesome!
Du musst lernen, das Instrument Facebook zu spielen. Wenn du das schaffst, gehen Türen auf, von denen du davor nicht einmal etwas geahnt hast.
Gleich groß oder größer, wenn Leute mich überraschend in meiner Wohnung besuchen, um mir seltsame Dinge zu erzählen. Vorgestern Peter, gestern Hubertus Link.
Peter ist okay, er ist der beste Freund von Sebas, daher kenne ich ihn auch. Abende zu dritt, bei denen man sich als Paar immer die Frage stellt, wie zutraulich man sein darf. Ich bin in diesen Dingen offen und hätte nichts dagegen gehabt, Sebas zu küssen und Peter dabei zusehen zu lassen. Viel mehr als nur küssen. Mit Sebas war das nicht möglich (einer der Gründe, warum wir nicht mehr zusammen sind, aber nicht der wichtigste), bei Peter bin ich mir da nicht so sicher.
Sebas ist ein Problemfall, das habe ich ja schon angedeutet. Wir kamen ganz zum Anfang des Studiums zusammen, der entscheidende Kick war nicht, dass wir uns Hals über Kopf verliebt hätten, sondern dass wir beide den festen Vorsatz hatten, innerhalb der ersten drei Wochen an der Uni jemanden zu finden, mit dem man die neue Lebensphase starten kann. Kein Single mehr zu sein bedarf es wenig, und wer es nicht mehr ist, dem geht es besser. Wir saßen also in der Mensa zusammen und signalisierten durch explizit offenes Lächeln die Bereitschaft, offen zu sein für sehr viel. Er:
„Auch neu?“
„Ganz.“
„Es ist toll hier, tausend interessante Leute. Ich finde es nur ein bisschen schwierig, die richtige Orientierung zu finden.“
„Ja, das geht auch besser zu zweit.“
„Viel besser.“
Ich lache und denke mir, ich lebe jetzt in der absoluten Freiheit, mehr als es jemals später der Fall sein wird, und wenn ich jetzt nicht mutige Dinge tue, werde ich es später erst recht nicht tun, also sage ich:
„Um ehrlich zu sein: Ich habe mir vorgenommen, mir hier sofort einen Freund zu suchen. Also sofort in der Bedeutung von: Erst Beziehung und dann gegenseitiges Kennenlernen. Ich muss nur noch jemand finden, der mitzieht.“
„Na, so gut wie du aussiehst, dürfte das kein allzu großes Problem darstellen.“
„Wow, das war jetzt eine richtig gute Antwort! Sehr gut, wirklich sehr gut.“
Es funktionierte tatsächlich, eine Stunde später hatten wir die Ehe auch körperlich vollzogen. Ich mochte Sebas, ich mochte ihn sogar sehr, er ist ein wirklich guter Junge mit einem unglaublich geringen Anteil an bösen Gefühlen. Nur leider ist er auch sehr uninteressant, und zwar in dem Sinne, dass ihm alles das, was interessant an ihm ist, Angst macht oder peinlich ist. Ich habe ihm immer wieder zu erklären versucht, dass alle Leute, aus denen etwas geworden ist, es irgendwann geschafft haben, ihren Schatten zu befreien, mit ihm zu arbeiten, und dass es absolut in eine Sackgasse führt, sich andauernd zu verstecken und sich einfach nicht zu trauen, die Dinge und sich selbst ein bisschen laufen zu lassen. Jedes Ich braucht Auslauf, sonst kann aus deinem Leben nichts werden. Sebas hat es verstanden, zumindest irgendwie, aber er schaffte es einfach nicht, meinen Rat wirklich zu beherzigen. Und so erschöpfte sich unsere Liebe bald im Austausch von Freundlichkeiten.
Ihn zu verlassen hätte ich dennoch nie übers Herz gebracht. Ich schätze, ich werde mein ganzes Leben lang zu den Frauen gehören, die darauf angewiesen sind, verlassen zu werden. Als Sebas mir schließlich den Laufpass gab, weil er erkannte, dass von mir nicht mehr viel zu holen war, war ich am Ziel meiner Wünsche. Er hatte sich in der Zwischenzeit - seit wir zum ersten Mal miteinander im Bett gewesen waren, waren neun Monate ins Land gegangen - gut an der Uni akklimatisiert, er hatte eine Reihe von oberflächlichen Freundschaften geschlossen, und sein hübsches Gesicht, sein makelloser Auftritt, seine Herkunft aus fast schon reichem Hause sowie die Gewissheit, dass er es im Leben schon zu etwas bringen würde, war etwas, was ihn für genügend junge Frauen zu einem begehrenswerten Partner machte.
Umso größer war meine Überraschung, als Peter bei mir auftauchte und sagte, Sebas sei in Problemen.
„Du machst Witze.“
„Verfolgst du seine Facebook-Posts?“
„Eigentlich schon, absolut. In den letzten zwei, drei Wochen nicht mehr so. Ehrlich gesagt habe ich ihn auch aus meinem Newsfeed verbannt. Ich habe so viele Facebook-Freunde, dass ich einfach ein bisschen haushalten muss, okay? Aber jetzt tut es mir wahnsinnig leid. Ich hätte das nicht tun sollen, völlig klar.“
Peter erzählte mir, was los ist, alles sehr verwirrend und beunruhigend und also sehr willkommen. Ich war sofort bereit, zu helfen, aber weder Peter noch ich hatten eine Vorstellung davon, wie diese Hilfe aussehen könnte. War er nun entführt worden oder war es das nicht? Was war von seiner flehentlichen Bitte an Peter zu halten, um Gottes Willen nicht die Polizei einzuschalten? Abgesehen davon, dass man dieser Bitte natürlich unbedingt Folge zu leisten hatte? Wir verblieben schließlich so, dass wir noch zwei Tage warten und dann noch einmal Sebas’ Vater unsere Aufwartung machen.
Aber dann, am nächsten Tag, kam mein Ex-Lover Hubertus Link, was eine noch viel größere Überraschung war als der Auftritt von Peter. Ich hatte mal etwas mit ihm, aber nur sehr kurz und mit so wenigen Gefühlen wie mit keinem anderen davor, was natürlich auch eine interessante und gute Erfahrung war. Der Mann hat ein so großes Ego, aber eigentlich so, dass man sofort denkt, sein großes Ego ist in Wirklichkeit klein, was ich absolut nicht als Kritik meine, sondern im Gegenteil, ein kleiner Wicht, der sich aufschwingt zu einer respektablen Scheingröße, das hat erst einmal meine Anerkennung. Egal, das Gute an der Sache mit Link war die beidseitige Bereitschaft, Ungewöhnliches zu tun. Wie zum Beispiel was? Wie zum Beispiel: einen Einbruch vorzubereiten. Und ihn dann auch durchzuführen. Komplett okay für mich (weil: jung!), komplett peinlich für ihn (Begründung folgt). Wir drangen in eine Wohnung ein (Mietshaus, mehrere Parteien), die verblüffendste Erkenntnis war, wie leicht sich normale Türen öffnen lassen, nicht nur in Krimis, sondern eben auch in echt. Es war mitten am Nachmittag, nichts los, aber trotzdem. Der Kick bestand nicht darin, etwas zu klauen, sondern Sex zu haben in einem fremden Bett, Link spritzte mir diesmal nicht ins Gesicht, sondern auf das Laken, außerdem holten wir zwei Bier aus dem Kühlschrank und ließen die Tür offenstehen, damit er unkontrolliert abtauen kann. Erst später beschlich mich der Verdacht, dass das Ganze ein Fake war, also kein echter Einbruch in eine echt fremde Wohnung, sondern arrangiert, aber im Grunde glaube ich zu 55 zu 45 Prozent heute noch, dass die Dinge so waren, wie sie schienen, also echt. Anyway, die zwei Stunden waren wirklich ein großes Vergnügen, in Bettwäsche zu liegen, die nach Menschen riecht, die man nicht kennt, war eine Sensation, eine wirklich große Sache, die mich bis heute angenehm verfolgt. Wie unser Bild im Schlafzimmerspiegel und die Geräusche und der wahnsinnig traurige Schmutz in der Wohnung, der nichts mit mir zu tun hatte und mir doch so nahe ging.
Alles okay für mich, weil jung, aber warum ließ Manager Link sich auf so etwas ein? Er ist Vertriebsvorstand, verdient 600.000 Euro im Jahr, und hat mir seine Arbeitsweise einmal so beschrieben: „Ich bereite mich nie vor, nur zu AR-Sitzungen. Morgens holt mich ein Fahrer ab, danach zackzack ein Termin nach dem anderen. Ich bin vollkommen entspannt, ich habe keine Angst. Abends vor dem Schlafen: ein Glas Whiskey.“ Vollkommen entspannt, always on und der Beweis dafür, dass man auch ohne Social Media ein Kommunikations-Junkie sein kann. Einmal war ich zwei Stunden mit ihm im Auto, davor die Sorge, bisschen sehr lang, zwei Stunden ohne Sex mit ihm, wie soll das funktionieren?, aber es funktionierte federleicht, ständig rief ihn irgendjemand auf seinem Smartphone an, und wenn ihn mal fünf Minuten keiner anrief, rief er eben jemanden an. 90 Prozent der Gespräche waren informeller Natur. Ein ständiges Abchecken. Link in seinem Element, aber ganz offensichtlich reicht das alles nicht. Der Mann ist nie zufrieden, es wohnt keine ewige Unzufriedenheit in ihm, sondern sie wütet. Er wirkt ständig bereit, ohne genau zu wissen, wofür. Wahnsinnig anstrengend.
Bei seinem Besuch war er irre aufgeregt, das war schön, irgendwie war es so, als zerfiele er vor meinen Augen. Ob ich bei etwas mitmachen würde, von dem er mir nicht exakt erklären könne, worum es sich handle? Was mir vielleicht sogar obskur vorkäme? Ich lachte so, wie er es erwartet hatte, und sagte das, was er hören und ich sagen wollte:
„Am