Der Dieb in der Nacht. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
den Schmuck nicht sofort zurückgeben, rufe ich die Polizei!«
»Das ist nicht nötig – Sie können sich ruhig an mich wenden«, erwiderte Jack spöttisch.
»Was soll denn das heißen?«
Jack wies sich aus und fügte hinzu: »Sie werden wohl begreifen, daß Sie mir erst einmal erklären müssen, wie Sie in den Besitz dieses von der Polizei gesuchten Schmuckstückes gekommen sind. Also, begleiten Sie mich freiwillig, oder muß ich Sie festnehmen? Ich möchte Sie bitten, mit mir zur nächsten Polizeiwache zu kommen.«
Der Mann zögerte eine Weile.
»Nun gut«, sagte er schließlich. »In dem Fall will ich mitkommen.«
Schweigend gingen die beiden Männer durch die nächtlichen Straßen. Jack fragte sich, ob der Fremde wohl ahnte, in welch schwierige Lage er ihn gebracht hatte. Sollte es nun zu einer Verhandlung kommen, so würde darin unweigerlich Barbaras Name fallen, und dann war er – Jack – es gewesen, der sie hineingezogen hatte. Erst jetzt fühlte er,« wie nahe sie ihm stand. Aber nun war kein Zurück mehr möglich. Er riß sich zusammen. Sie waren an der Polizeiwache Westminster angelangt.
Als der Fremde nach seinem Namen gefragt wurde, nannte er sich John Smith. Er verweigerte jede Auskunft darüber, wie er zu dem Schmuckstück gekommen war, und schwieg, während Jack und der Sergeant vom Dienst das Schmuckstück betrachteten und sich darüber unterhielten.
»Es besteht nicht der geringste Zweifel«, sagte der Sergeant, nahm eine Liste aus einem Schubfach und zeigte mit dem Finger auf einen dort aufgeführten Gegenstand. »Sehen Sie, hier ist die genaue Beschreibung. Es ist die Brillantnadel, die Mrs. Crewe-Sanders entwendet wurde. Wollen Sie ihn verhaften lassen?«
»Selbstverständlich«, entgegnete Jack, aber es war ihm nicht wohl bei dem Gedanken. Er durfte im Augenblick diesen Mann nicht einmal ausfragen und feststellen, wie er in den Besitz der gestohlenen Brillantnadel gekommen war. Vor allem mußte er Zeit gewinnen, um seine Gedanken zu sammeln.
»Ich gehe jetzt zum Chefinspektor. Er wird wohl noch in seinem Klub sein«, sagte er zu dem Sergeanten. »Behalten Sie den Mann hier, bis ich zurückkomme, und schließen Sie das Etui mit dem Schmuck ein.«
Langsam wanderte er die Straße entlang, denn er hatte keine Eile, seinen Vorgesetzten zu erreichen. Er hoffte, daß ihm noch irgendein Ausweg einfallen würde, um Barbara nicht direkt durch diese Entdeckung zu belasten.
Aber als er die Treppe zum ›Carlton-Club‹ hinaufstieg, war er noch auf keine Lösung gekommen.
Zu seinem größten Erstaunen wartete der Chefinspektor bereits in der Eingangshalle auf ihn.
»Kommen Sie mit mir in den Rauchsalon«, sagte er zu Jack.
Danton folgte der Aufforderung und wunderte sich, woher der Chefinspektor etwas von seinem bevorstehenden Besuch wissen konnte.
Aber die Frage klärte sich bald.
»Ich bin von der Polizeiwache Westminster angerufen worden, und man hat mir die Festnahme dieses sonderbaren John Smith mitgeteilt. Nachdem Sie die Wache verlassen hatten, kam ein Freund dieses Mannes und klärte die Sache auf. Ich bin davon überzeugt, daß ihm das Schmuckstück, das man bei ihm fand, rechtmäßig gehört. Er ist ein Juwelier und war unterwegs, um die Brillantnadel einem Freund zu zeigen.«
Diese dürftige Erklärung setzte Jack in größtes Erstaunen. Er atmete trotzdem erleichtert auf, denn dadurch war Barbara im Augenblick außer Gefahr.
»Das Schmuckstück entsprach doch aber genau der Beschreibung«, widersprach er schwach.
Sein Vorgesetzter jedoch wollte nicht noch länger bei diesem Gegenstand verweilen und unterbrach ihn. »Das weiß ich auch. Es ist völlig gleich – ein Duplikat der Brillantnadel, die Mrs. Crewe-Sanders bei dem Juwelier Streetley gekauft hat. Der Mann, den Sie mitbrachten, ist der Geschäftsführer dieser berühmten und Ihnen sicher bekannten Firma.«
Darauf wußte Jack nichts zu sagen. Er war auch viel zu erleichtert, daß sich der Verdacht gegen Barbara als unbegründet herausstellte, um sich noch viele Gedanken wegen seines Irrtums zu machen.
»Und noch eins, Danton«, fuhr der Chefinspektor fort, während er nachdenklich auf die Asche seiner Zigarre schaute, »ich habe heute im Scherz gesagt, Sie sollten die Augen offenhalten, ob Sie vielleicht den Juwelendieb im Hause von Lord Widdicombe fänden. – Keine Widerrede, mein Lieber – es war ein Scherz. Wenn Sie sich jetzt in die Ermittlungen einmischen würden, könnten Sie höchstens stören.«
»Ich verstehe«, murmelte Jack, obwohl er nichts verstanden hatte.
4
In unsern Kreisen wird man noch eher den Diebstahl der Schmuckstücke verzeihen als diese gemeinen Verleumdungen«, sagte Lady Widdicombe ernst.
Diana mußte über diese Worte lachen.
»Daran sieht man wieder einmal, wie inkonsequent und unmoralisch die Gesellschaft im Grunde ist«, entgegnete sie leichthin. Sie stütze den Kopf auf die Hand und schaute auf das Parkett, wo zahlreiche Paare tanzten.
Die Tanzabende von Lady Widdicombe während der Kricketwoche waren bekannt und beliebt, und wer zu den oberen Zehntausend gehörte, war dort zu finden. Eine lange Reihe von Autos hielt dann vor dem großen Parktor.
»Ich habe eben mit Mrs. Crewe-Sanders gesprochen«, erklärte Diana, während sie die tanzenden Paare weiter beobachtete. »Sie ist der Meinung, daß niemand in Schloß Morply eindringen kann, der nicht mit der Lage der Räume genau vertraut ist.«
»Sie hat natürlich den größten Verlust erlitten«, meinte Lady Widdicombe.
Wieder lachte Diana.
»Die arme Frau steckt sich aber auch all ihren Schmuck an. Ich wundere mich nur, daß sie den Verlust überhaupt gemerkt hat. Sonderbar ist nur, daß ausgerechnet ihr die Nadel gestohlen wurde, da doch so viele andere Gäste im Haus waren, die ebenfalls eine Menge Schmuck besaßen. – Hallo, Barbara«, erwiderte sie den Gruß einer jungen Dame, die die Galerie entlangkam. »Tanzen Sie denn nicht?«
Barbara sah in ihrem cremefarbenen Abendkleid noch schöner aus als sonst. Mit strahlenden Augen blickte sie Diana an. Plötzlich trat ein fragender Ausdruck in ihr Gesicht.
»Nanu – haben Sie keine Angst, Ihren kostbaren Schmuck zu tragen?« fragte sie, ohne auf Dianas Worte einzugehen, und deutete auf die glänzende Brillantnadel, die Diana an ihrem weißseidenen Kleid trug.
»Wie Sie sehen – nein. Ich glaube nicht, daß der berüchtigte Dieb hierherkommen wird.«
»Wollten Sie mich sprechen?« wandte sich Lady Widdicombe an Barbara.
»Ja, ich möchte Ihnen nur sagen, daß ich mein Zimmer gewechselt habe.«
»Ach, das ist aber sehr freundlich von Ihnen«,.erwiderte die Dame des Hauses dankbar. »Macht es Ihnen auch wirklich nichts aus?«
»Nicht im mindesten«, antwortete Barbara lachend.
»Eine der vielen Kusinen meines Mannes ist nämlich krank geworden«, erklärte Lady Widdicombe, »und Barbara war so liebenswürdig, mir sofort anzubieten, daß sie das Zimmer mit ihr tauschen würde.« Sie sah Barbara bewundernd nach, als das Mädchen weiterging. »Übrigens hat Barbara mir gesagt«, fuhr sie dann fort, »daß dieser anonyme Briefschreiber einem ihrer Verwandten etwas Abscheuliches über sie geschrieben hat.«
»Sie scheint sich aber nicht viel daraus zu machen«, meinte Diana kühl.
»Die Geschichte mit den Verleumdungen ist wirklich zu schlimm!« rief Lady Widdicombe aus, die sich nicht so leicht damit abfand.
Auch unten in der weiträumigen Bibliothek, die an diesem Abend als Rauchzimmer für die Herren diente, sprach man über den Juwelendiebstahl auf Schloß Morply und über die anonymen Briefe des ›aufrichtigen Freundes‹.
Der Hausherr stand im Kreis seiner Gäste