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Der Dieb in der Nacht. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.

Der Dieb in der Nacht - Edgar Wallace


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hatte – man sprach sogar schon von einer vierten, die sich auf einem benachbarten Schloß anbahnte.

      Lord Widdicombe konnte sehr interessant erzählen, und als sich das Gespräch den Juwelendiebstählen zuwandte, kam er auf Erfahrungen zu sprechen, die er in Indien gesammelt hatte.

      »Meiner Meinung nach hat sich dieser Einbrecher deswegen auf Brillantnadeln spezialisiert, weil man sie verhältnismäßig leicht zu Geld machen kann. Als ich seinerzeit Gouverneur von Bombay war, kam man einer Bande auf die Spur, die einen umfangreichen Diamantendiebstahl geplant hatte. Wäre er ihr gelungen, so hätte die englische Regierung dadurch in eine verteufelte Lage kommen können. – Haben Sie schon einmal von dem Diamanten der Göttin Kali gehört? – Ich glaube nicht«, fuhr er lächelnd fort. »In Indien ist das ein sehr bekannter Stein. Er ist nicht besonders groß, und sein Wert wird noch nicht einmal auf tausend Pfund geschätzt, aber der Stein ist so berühmt, daß man ihn nicht für eine Million Pfund kaufen könnte. In einer Beziehung ist er auch wirklich einzig in seiner Art, denn auf einer seiner Flächen ist ein ganzer Vers der heiligen Schriften eingraviert. Nur die Inder mit ihrer unendlichen Geduld sind zu derartigen Dingen fähig. Sie können sich vorstellen, daß die Buchstaben winzig klein sind und daß man schon ein starkes Vergrößerungsglas nehmen muß, um sie überhaupt lesen zu können. Die Inder glauben nun, daß diese Worte nicht von Menschen eingraviert, sondern durch das Wunder einer Gottheit entstanden sind.

      Es waren früher schon Versuche gemacht worden, den Stein zu stehlen, und schließlich hatte sich die englische Regierung darum gekümmert, denn man wußte wohl, daß es Unruhen geben würde, wenn diese Kostbarkeit abhanden käme. Die Regierung nahm den Diamanten daher in Verwahrung. Bei einem bestimmten heiligen Fest wird er öffentlich ausgestellt – übrigens findet es gerade in diesem Monat wieder statt. Selbstverständlich wurde dieser einzigartige Stein mit der größten Sorgfalt gehütet. Trotzdem gelang es einer Bande indischer Diebe, in das Gewölbe einzubrechen, wo der Stein aufbewahrt wurde, und ihn zu rauben. Das geschah zwei Wochen vor dem großen Fest, und alle Regierungsbeamten waren entsetzt über den Diebstahl. Zum Glück konnten wir uns mit den Räubern in Verbindung setzen, aber wir mußten immerhin hunderttausend Pfund Lösegeld zahlen.«

      »Dazu mußten Sie wohl überall bekanntmachen, daß der Stein gestohlen worden war?«

      »Um Himmels willen, das wäre ausgeschlossen gewesen«, erwiderte der Lord, entsetzt über eine derartige Zumutung. »Was meinen Sie, was das Volk getan hätte, wenn es erfahren hätte, daß der heilige Stein Räubern in die Hände gefallen ist? – Nein, wir haben die Sache so geheim wie möglich gehalten. Es durfte kein Wort darüber gesagt werden, denn solche Nachrichten verbreiten sich in Indien mit Windeseile.«

      Inzwischen war Barbara May in die Bibliothek gekommen. Nun trat sie hinter einen jungen Mann und berührte ihn mit der Hand an der Schulter.

      Danton erschrak und drehte sich schnell um.

      »Es tut mir sehr leid«, entschuldigte er sich, »aber ich hörte gerade eine interessante Geschichte.«

      Er führte sie in den Ballsaal, und ein paar Augenblicke später tanzten sie.

      5

      Mr. Danton, ich hab viel über Sie nachgedacht«, sagte Barbara May, als die Kapelle eine Pause machte.

      Sie trat mit Jack auf die Terrasse hinaus.

      »Es tut mir leid, daß ich die Ursache so angestrengten Nachdenkens war.«

      »Ich habe mir überlegt, welchen Beruf Sie haben könnten. Alle Leute wissen, daß Sie irgend etwas Geheimnisvolles tun. – Nun, ich habe es herausbekommen.«

      »Na, da bin ich aber sehr gespannt«, erwiderte er kühl und ließ sich neben ihr nieder. »Welchen Beruf habe ich also?«

      »Sie sind Kriminalbeamter.«

      Er sah sie so bestürzt an, daß sie laut lachen mußte.

      »Sehe ich denn tatsächlich so aus, als ob ich zur Polizei gehörte?«

      »Nein, Sie machen nicht den Eindruck eines gewöhnlichen Polizisten, aber in den letzten Jahren sind doch viele tüchtige höhere Offiziere bei Scotland Yard eingetreten.«

      »Wenn ich wirklich Kriminalbeamter wäre«, sagte er, um Zeit zu gewinnen, »dann hätte ich mich aber sehr schlecht bewährt.«

      »Aber Sie sind doch von der Polizei – habe ich denn nicht recht?« fragte sie beharrlich.

      »Eigentlich sollte ich mich darüber ärgern, daß man es herausgebracht hat, aber Ihnen kann ich ja doch nicht böse sein, Miss May.«

      »Die Frage ist nur«, erwiderte sie und hob die Augenbrauen, wobei sie ihn prüfend ansah, »wollen Sie den anonymen Briefschreiber zur Strecke bringen, oder sind Sie hinter dem Juwelendieb her?«

      »Meinen Sie, Scotland Yard würde etwas in der Sache der anonymen Briefe unternehmen, ohne daß ordnungsgemäß Anzeige erstattet worden wäre?«

      »Sie haben recht. Dann sind Sie also hinter dem Juwelendieb her, der kürzlich auch Schloß Morply beehrte?«

      »Das kann ich nicht behaupten.«

      »Ich wünschte eher, daß Sie den anonymen Briefschreiber suchten. Wer mag diese Frau nur sein?«

      »Sie sind also überzeugt, daß es sich um eine Frau handelt?«

      »Was bleibt einem denn anderes übrig?« Barbara May raffte die weichen Falten ihres Abendkleides zusammen und trat an die Balustrade. Ohne Jack Danton anzusehen, fuhr sie fort: »So gehässig kann nur eine Frau sein. Die Briefe sind ja von einer ausgesuchten Gemeinheit. Sie wissen doch, daß die Flatterleys sich schon getrennt haben? Tom Fowler hat die Scheidungsklage gegen seine Frau eingereicht, und Mrs. Slee ist jetzt nach Übersee gegangen. Ihre Mutter grämt sich darüber zu Tode.«

      Er nickte ernst.

      »Diese Art von Verbrechen ist entsetzlich. Ich kann schließlich einem Dieb verzeihen, aber solche Menschen kann ich nicht verstehen.«

      Als Barbara May an dem Abend auf ihr Zimmer ging, sah sie, daß Jack in ein Gespräch mit Lord Widdicombe vertieft war, und sie lächelte vor sich hin.

      »Was belustigt Sie denn so sehr, Barbara?« fragte Diana, die hinter ihr die Treppe hinaufging.

      »Ach, ich dachte nur an Verschiedenes«, entgegnete Barbara May ausweichend.

      »Sie haben es gut, daß Sie noch lachen können. Mich langweilt so ein Tanzabend furchtbar.«

      Barbara wandte sich um und sah ihr voll ins Gesicht.

      »Warum kommen Sie dann überhaupt zu solchen Veranstaltungen?«

      Diana zuckte die Schultern. »Man muß doch irgend etwas tun, um die Zeit totzuschlagen.«

      »Aber warum arbeiten Sie denn nicht?«

      Diana starrte Barbara an. Wie hätte sie, die Erbin eines der größten Vermögen in England, arbeiten können? Das mußte Barbara doch berücksichtigen!

      Hätte Lady Widdicombe die Mädchen in diesem Augenblick auf der Treppe gesehen, so hätte sie festgestellt, daß die Abneigung der beiden auf Gegenseitigkeit beruhte.

      »Was meinen Sie denn mit ›arbeiten‹?« erwiderte Diana von oben herab. »Soll ich etwa als Säuglingsschwester tätig sein oder Stenotypistin im Außenministerium werden oder etwas Ähnliches unternehmen?«

      »Ja. – Ich habe so etwas getan«, entgegnete Barbara. »Das ist eine gute Ablenkung. Wenn man tagsüber nichts tut, kann man nur nachts nicht schlafen.«

      »Aber Barbara!« Diana lachte gezwungen. »Ich habe das Gefühl, daß Sie das eigentlich nichts angeht. Sie betonen anscheinend gerne Ihre Tüchtigkeit.«

      »Lassen Sie ruhig meine Tüchtigkeit aus dem Spiel«, antwortete Barbara kühl und ging in ihr Zimmer.

      Selbst wenn Jack Danton diese Szene belauscht hätte, wäre es ihm nicht


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