Der Mann von Marokko. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
sich mit ihm angefreundet; Binger weiß natürlich nicht, daß Slone Polizeibeamter ist. Er gab sich die größte Mühe, den Mann zum Reden zu bringen, konnte aber bis jetzt nichts herausbringen – er schweigt über seinen Herrn.«
»Aber wie kann der Mann Ihnen denn helfen?«
»Sie werden sehen, daß er außerordentlich wichtig für uns ist. Morlake hat ihn gern – als er vor einigen Jahren einmal krank lag, besuchte er ihn jeden Tag in der Blackheath Road und schickte ihm seinen eigenen, teuren Arzt. Manchmal geht Binger zeitiger nach Hause, und wenn er das nächste Mal früher heimkommt, wollen wir unseren Plan ausführen. Können Sie mir nicht irgend etwas von Morlake verschaffen – ein Taschentuch oder ein Notizbuch?«
»Nein. Ich bin noch nie in seiner Wohnung gewesen.«
»Das ist schade. Aber ich will sehen, was sich tun läßt. Es wird allerdings ein Stück Geld kosten – Sie müssen sich auf große Ausgaben gefaßt machen.«
Mr. Hamon nahm seine Brieftasche heraus und reichte dem Inspektor eine Anzahl Banknoten. Marborne verbarg seine freudige Erregung; seine kühnsten Hoffnungen waren übertroffen.
Mit dem Geld in der Tasche und in einer Stimmung, die der Höhe der Summe entsprach, trat er wieder auf die Straße, wo Slone auf ihn wartete. »Nun, hat er Moneten gespuckt?« fragte der Sergeant.
Der Inspektor zog die Augenbrauen hoch.
»Lassen Sie diese Redensarten!« sagte er ernst. »Mein Freund hat mir wohl eine kleine Summe für die nötigen Ausgaben überlassen, aber glauben Sie deswegen nicht, daß er die Bank von England ist. Ich habe ungefähr hundert Pfund für Sie bekommen. Zu Hause gebe ich Ihnen das Geld. Haben Sie Colley in meine Wohnung bestellt?«
»Er wartet schon den ganzen Nachmittag auf Sie. Lieber ist bis jetzt noch nicht gekommen, aber Holländer sind ja immer etwas langsam.«
Colley war klein und hatte ein runzliges Gesicht, auf dem sein verbrecherischer Charakter so deutlich geschrieben stand, daß man ihn auch ohne Gerichtsverhandlung hätte verurteilen können. Er wartete auf dem Gehsteig gegenüber der Marborneschen Wohnung und folgte den beiden, als sie ins Haus traten. In dem gemütlichen Wohnzimmer nahm er sich eine Zigarre aus der Kiste, die ihm gereicht wurde.
»Der Sergeant sagte, daß Sie mich sehen wollen, Mr. Marborne«, begann er.
»Ja, ich brauche Sie, Colley. Hören Sie gut zu. Ich habe einen Freund, der sich mit einem Bekannten einen Scherz machen will. Die Sache selbst geht Sie ja nichts an.« Er erklärte ihm eingehend, was zu tun sei; aber Colley fürchtete einen Hinterhalt der Polizei und ließ sich nur schwer überzeugen.
»Ich soll also möglichst schnell in das Haus einbrechen und rasch wieder verschwinden – das meinen Sie doch?«
»Nicht zu rasch«, verbesserte ihn Marborne. »Sie müssen schon ein wenig Spektakel und Aufruhr in der Wohnung machen – man muß merken, daß ein Einbrecher im Hause war.«
»Wenn der Mann aber ein früherer Kolonialbeamter ist, hat er sicher einen Revolver, und wenn er mich sieht, bevor ich ihn sehe, dann gibt es eine etwas einseitige Schießerei.«
Es dauerte noch eine ganze Stunde, bis Marborne Colley klargemacht hatte, daß die Sache gefahrlos und die Belohnung reichlich sein werde. Schließlich wurde vereinbart, daß er sich in der nächsten Woche auf Abruf bereithalten solle.
Als die Unterredung beendet war, wandte sich Marborne zu dem schwierigsten Teil der Aufgabe. Er verhandelte zu diesem Zweck mit Mr. Lieber, der mit großer Verspätung eingetroffen war und ihn nun begleitete.
»Es ist möglich, daß ich Sie nicht brauche, aber Sie können hier in der Gegend warten, falls Sie doch nötig sind. Kennen Sie Morlake?«
Der etwas behäbige Mann schüttelte den Kopf.
»Ist er ein Verbrecher?«
»Ja. Ich brauche eine Bestätigung seiner Persönlichkeit – genau wie im Fall Crewe, in dem Sie für mich gearbeitet haben. Ein Taschentuch, ein Notizbuch, Papiere, Briefe, irgend etwas muß ich von ihm haben. Es ist aber möglich, daß es auch so geht. – Hier sind wir angekommen – warten Sie an der Ecke und folgen Sie mir, wenn ich herauskomme.«
Binger öffnete dem Besucher und sah ihn mißtrauisch von der Seite an, da im Auftreten des Beamten etwas Offizielles lag.
»Ich weiß nicht, ob Mr. Morlake zu Hause ist«, sagte er vorsichtig. »Wenn Sie ein wenig warten wollen, werde ich nachsehen.«
Er schlug die Tür vor Marbornes Nase zu und ging in den großen, mit orientalischem Luxus ausgestatteten Raum, wo James Morlake, in ein Buch vertieft, saß.
»Er sagt, daß sein Name Kelly ist. Möglich, daß es stimmt, möglich aber auch, daß es nicht stimmt.«
»Was will er denn von mir?« fragte Morlake und schloß das Buch.
»Er erzählte mir, daß er Sie vor einigen Jahren in Marokko getroffen und eben erst Ihre Adresse bekommen habe.«
»Lassen Sie ihn eintreten«, erwiderte James Morlake kurz.
Marborne kam in den großen Raum und sah sich bewundernd um.
»Nehmen Sie Platz, Mr. Kelly. Ich habe allerdings keine Stühle, weil ich für gewöhnlich keinen Besuch empfange, aber vielleicht lassen Sie sich auf dem Diwan nieder.«
Der Inspektor setzte sich und lächelte geziert.
»Es ist allerdings schon lange her, daß ich Sie getroffen habe – Sie besinnen sich vielleicht kaum darauf, daß Sie mich vor ungefähr zehn Jahren im Hotel Cecil in Tanger zum Essen einluden?«
»Ich kann mich dunkel erinnern.« Morlake betrachtete ihn gleichgültig.
»Ich reiste damals für eine Porzellanfirma«, fuhr Marborne gesprächig fort. Er ließ seine Blicke umherschweifen, um irgendeinen kleinen Gegenstand aus Morlakes Besitz zu entdecken, den er bei einer späteren Gelegenheit als Beweisstück gebrauchen konnte. »Ich weiß nicht, ob Ihnen daran liegt, so zufällige Bekanntschaften aufrechtzuerhalten, aber ich erinnere mich jedenfalls sehr gern an unser Zusammentreffen.«
»Ich entsinne mich jetzt genau«, sagte Morlake, »obgleich Sie sich in der Zwischenzeit ein wenig verändert haben.«
Mr. Marborne schaute zu der prachtvoll verzierten Decke empor.
»Sie haben eine wunderbare Wohnung. Niemand würde denken, daß ein maurisch ausgestattetes Zimmer von solcher Schönheit in seiner nächsten Nähe liegt, wenn er die Bond Street entlanggeht.«
Plötzlich sah er, was er brauchte. Hinter dem Briefpapierständer lag ein kleines Lederkästchen mit Morlakes Monogramm. Es war zu schmal für ein Notizbuch, und er vermutete, daß es zum Aufbewahren von Briefmarken diente. Erst später, als er näher an den Tisch kam, bemerkte er, daß es ein flacher Behälter für Streichhölzer war.
Er erhob sich vom Diwan, ging durch den Raum, bis er dem aufmerksamen Morlake am Schreibtisch gegenüberstand, und legte die Hände auf die Tischplatte.
»Ich hatte nicht die Absicht, Sie irgendwie zu stören, ich wollte Sie nur noch einmal aufsuchen, weil ich gerade in London war und gern die Bekanntschaft mit Ihnen erneuern möchte. Hoffentlich habe ich Sie nicht zu sehr belästigt.«
Er hatte seine Hand auf das Streichholzkästchen gelegt und umschloß es jetzt. Der kleine Gegenstand war so winzig, daß er ihn mühelos in der Hand verbergen konnte.
»Ich freue mich immer, wenn ich einen alten Bekannten aus Marokko treffe«, sagte Jim. »Wollen Sie nicht etwas trinken?«
»Danke, nein. Ich möchte Sie nicht länger aufhalten«, entgegnete der Inspektor und ließ das Kästchen in die Tasche gleiten. »Wenn Sie einmal nach Liverpool kommen sollten, suchen Sie mich doch bitte auf – John L. Kelly.« Er nahm die Hand wieder aus der Tasche. »Sie finden meine Adresse im Telefonbuch – Lime Street 149. Ich habe mich sehr über das Wiedersehen mit Ihnen gefreut.«
James reichte ihm die Hand.
»Aber