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Der Redner. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.

Der Redner - Edgar Wallace


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von sich selbst abzulenken.

      Und einen Tag nach der Verurteilung der schönen Spanierin brachten die Zeitungen eine zweite, wohlberechnete Notiz, die ebenfalls der Redner verfaßt hatte.

      Diese Frau wurde kaltblütig von dem Mann geopfert, der den Einbruch plante, und sie muß nun die Strafe für sein Verbrechen büßen.

      »Ich habe Witlon jetzt so gut wie sicher«, berichtete der Redner kurz.

      Seine Vorgesetzten wußten jedoch, daß nicht die geringsten Anhaltspunkte vorlagen, um Len Witlon mit diesem Verbrechen in Zusammenhang zu bringen. Im Gegenteil, er hatte ein vollkommenes Alibi und konnte Zeugen dafür benennen, daß er sich zur Zeit des Einbruchs in Frankreich aufgehalten hatte.

      »Auch ich bin ein Gedankenleser«, erwiderte der Redner, als sie ihn um Auskunft fragten. »Gerade in diesem Moment weiß ich, was Witlon sagt und plant. Und was er gerade in dieser Minute über mich äußert, ist so gemein, daß ich mich noch im Grabe umdrehen könnte. Aber glücklicherweise bin ich noch nicht tot.«

      Mr. Len Witlon hatte einen hervorragenden Helfer, einen gewissen Mr. John B. Stimmings, der ihn auf seine Aufforderung hin in Aix besuchte. Stimmings ahnte allerdings nicht in welcher Gemütsverfassung sich sein Herr und Meister befand.

      »Die Sache mit Inez ist sehr unangenehm«, meinte er, als er in das prachtvoll ausgestattete Wohnzimmer trat und die Tür schloß. »Sie ist allerdings tüchtig und gerissen, und ich möchte wetten, daß Rater sie nur durch einen Trick gefangen hat. Sie ist in eine Falle gegangen.«

      »Dazu ist der Mensch doch viel zu dumm«, entgegnete Len erregt. Sein sonst so hübsches Gesicht war von Wut und Ärger entstellt. »Den Redner nennen sie ihn? Na, ich werde ihn schon zum Reden bringen! Sehen Sie sich einmal das an!«

      Er warf zwei Zeitungsausschnitte auf den Tisch.

      »Mir konnte er selbstverständlich nichts anhaben. Die Geheimpolizei ist am nächsten Morgen bei mir gewesen, aber ich lag friedlich in meiner Villa in Auteuil im Bett.«

      »In Paris erzählt man sich, daß Sie bald aus Frankreich ausgewiesen werden sollen –«

      »Das ist doch purer Blödsinn. Die wissen ganz genau, daß ich in Frankreich nichts anrühre. Aber ich werde nach England gehen und mir diesen Redner einmal vornehmen!«

      Mr. Stimmings sah ihn bestürzt an.

      »Da mache ich aber nicht mit«, erklärte er sofort. »Für mich lösen Sie keine Fahrkarte, und für sich brauchen Sie kein Retourbillett zu nehmen. Ich glaube, Sie sind verrückt!«

      Die Andeutung, daß sein Plan nichts taugte, entlockte Len nur ein verächtliches, mitleidiges Lächeln.

      »Sie kennen mich doch, Stimmings. Ich weiß genau, was dieser verfluchte Kerl denkt. Ich sehe direkt, wie es in seinem Kopf aussieht. Erinnern Sie sich noch, daß ich seinerzeit die Perlenkette der Infantin stahl und vier Tage später nach Madrid zurückfuhr? Hat mich da jemand erkannt? Ich will dem Redner einmal zeigen, was ich kann. Jetzt kommt mein Meisterstück – Sie werden staunen!«

      Er hätte auch noch hinzusetzen können, daß es ein häßlicher Racheplan war, denn in einer schlaflosen, unruhigen Nacht dachte er ein Verbrechen aus, wie er es bisher noch nicht begangen hatte.

      Eine Woche später kam ein älterer Engländer in London an, der sich in einem der besten Hotels als Oberst Pershin einschrieb. Er besaß einen britischen Reisepass und war offenbar ein nervöser, leicht reizbarer Herr, der keine besondere Beschäftigung hatte. Er wohnte im Wheetam-Hotel, das einerseits sehr abgelegen und ruhig, andererseits sehr elegant war. Mit besonderem Eifer las er die Zeitungen.

      Ein paar Tage nach der Ankunft Pershins erhielt der Redner einen parfümierten Brief, der von einer Dame geschrieben sein mußte. Die Unterschrift lautete: »Eine, die es weiß.«

      Wenn Sie wissen wollen, wo sich der Rest der gestohlenen Smaragde des Marquis Perello befindet, kann ich es Ihnen sagen. Da ich weiß, daß Sie als Polizeibeamter ein solches Versprechen nicht geben können, darf ich Sie auch nicht darum bitten, mir etwas darüber zu schreiben. Ich komme am Sonnabend um acht Uhr abends nach Scotland Yard. Werden Sie dann in Ihrem Büro sein?

      Der Redner las diese Mitteilung mehrmals durch. Wenn Frauen die Hand im Spiel hatten, erschien ihm nichts unmöglich. Trotzdem hatte er den Eindruck, daß der Brief von Mr. Witlon oder in dessen Auftrag geschrieben worden war.

      Lange Zeit stand er an seinem Fenster, sah auf das Themse-Ufer und den Fluß hinunter und versuchte, sich in die Lage seines Feindes zu versetzen.

      Zu jener Zeit regierte in Scotland Yard ein sehr unbeliebter Abteilungsleiter, der den Redner nicht leiden konnte. Es war Major Dawlton, der seine frühere Dienstzeit bei der indischen Polizei zugebracht hatte. Er war ein unverbesserlicher Theoretiker und besaß außerdem die schlechte Eigenschaft, die ihm unterstellten Beamten bei der Ausübung ihrer Pflichten zu hindern.

      Eines Tages ließ er den Redner zu sich ins Büro kommen.

      »Hören Sie einmal, Mr. Rater«, begann er etwas von oben herab, »das kann aber nicht so weitergehen. Sie packen die Sache wieder ganz verkehrt an. Es ist doch unerhört, daß diese wertvollen Smaragde direkt unter der Nase der Polizei gestohlen worden sind – um so mehr bedauerlich, als Sie vorher gewarnt waren und den besonderen Auftrag hatten, den Eigentümer zu schützen. Haben Sie die Morgenzeitungen schon gelesen?«

      »Ich kann keine Zeitungen lesen«, erwiderte der Chefinspektor müde und machte eine lange Pause, so daß sein Vorgesetzter vor Wut beinahe einen Schlaganfall bekam. »Ich meine, wenn ich etwas anderes zu tun habe.«

      »Es ist ein Skandal, Mr. Rater! Wirklich, ich schäme mich schon vor meinen Freunden im Klub. Die erkundigen sich bereits, warum wir denn keine Privatdetektive einstellen. Und ich muß unter diesen Umständen beinahe glauben, daß sie recht haben.«

      »Um Len Witlon zu fangen, brauchen Sie keine Privatdetektive. Dazu brauchen Sie Gedankenleser.«

      »Was für ein Blödsinn!« entgegnete der Major heftig.

      An diesem friedlichen Sonnabendnachmittag war es in Scotland Yard so heiß, daß die Doppelfenster offenstanden. Die verlassenen Werften und Lagerhäuser, die das südliche Ufer der Themse begrenzen, lagen im prallen Sonnenschein.

      Die Straßenbahnen waren mehr oder weniger leer, und am Ufer gingen Männer mit ihren Frauen und Kindern spazieren.

      Chefinspektor Rater nahm mit einem Seufzer den Klemmer ab, faltete den Brief, den er noch einmal gelesen hatte, und steckte ihn wieder in den Umschlag. Nachdenklich sah er durch das offene Fenster. Ein Schlepper zog eine Reihe von Kähnen, die mit Bauholz hoch beladen waren, langsam den Strom hinauf. Am Ufer lehnten ein paar Leute am Geländer.

      Der Redner wandte sich um, als sich die Tür öffnete und Major Dawlton hereinkam. Ohne ein Wort zu sagen, reichte er seinem Vorgesetzten das Schreiben. Der Major klemmte das Monokel ins Auge, las und lächelte dann höhnisch.

      »Da haben wir es wieder. Wenn heutzutage in Scotland Yard überhaupt noch etwas herauskommt, dann hat man es Zwischenträgern und Spitzeln zu verdanken. Ich möchte die Frau sehen.«

      »Wenn sie kommt«, erwiderte der Redner gelassen.

      »Sie glauben, daß es sich um einen dummen Scherz handelt? Der Ansicht bin ich durchaus nicht. Wahrscheinlich ist es eine eifersüchtige Verbündete, die schlecht behandelt worden ist. Solche Briefe sind täglich nach Scotland Yard gekommen, solange ich hier bin.«

      »Ganz recht, sie sind gekommen, solange ich hier bin – also seit siebzehn Jahren.«

      Der Major war wütend über diese anzügliche Bemerkung, sagte aber nichts darauf.

      »Sie wird nicht kommen, aber er«, meinte der Redner nach einer kurzen Pause.

      »Sie meinen Len Witlon? Unsinn! Wir wissen doch genau, daß er in Frankreich ist. Diese gemeinen Kerle tragen ihre Haut nicht so leicht zu Markt. Und sollte er tatsächlich kommen, dann haben wir genügend Beweismaterial, um ihn des Einbruchs und des Diebstahls zu überführen.


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