Der Teufel von Tidal Basin. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.
Sie hatte ihre Scheu so offen gezeigt, daß er klugerweise im Augenblick nicht weiter in sie dringen wollte. Natürlich mußte er sie heiraten, aber eine Heirat in diesem Land war sehr gefährlich. Ein Zeitungsreporter war ihr Freund? Diese Leute haßte er ganz besonders, denn sie steckten ihre Nase in alle möglichen Dinge, die sie nichts angingen, und waren skrupellose Menschen. Und Reporter, die über Kriminalfälle berichteten, waren die allerschlimmsten.
Er fühlte sich unbehaglich und beschäftigte sich wieder mit Inez. Von ihr wanderten seine Gedanken zu anderen Frauen. Was mochte wohl aus Lorna geworden sein? Tommy hatte sie wahrscheinlich wiedergefunden und ihr alles verziehen. Tommy war immer ein willensschwacher Mensch gewesen. Aber Inez ...!
Am Abend speiste er mit Janice im Howdah-Klub. Der Überfall in diesem Lokal hatte bereits seine Folgen gehabt. Der Speisesaal war halb leer, und Gasso ging mit düsterer Miene auf und ab.
»Die Sache hat mich ruiniert, Miss Harman«, sagte er ganz gebrochen. »Die Leute kommen überhaupt nicht oder ohne Schmuck, und ich liebe doch vornehmes Publikum, das auch den nötigen Schmuck trägt – allerdings nicht wie Miss Dolly!«
»Ich hoffe, Weißgesicht kommt heute Abend wieder«, erklärte Donald mit einem ruhigen Lächeln.
»So, das hoffen Sie auch noch?« fragte Gasso aufgeregt. »Das wäre mein vollkommener Ruin, dann könnte ich auf der Straße betteln gehen. Nein, so dürfen Sie wirklich nicht sprechen!«
Janice lachte, und es gelang ihr, den nervösen Geschäftsführer wieder zu beruhigen.
»Es ist allerdings heute Abend leer hier«, meinte Donald. »Aber ich glaube nicht, daß wir Weißgesicht sehen werden. Ich muß an die alten Zeiten in Australien denken. Dort hatten es sich mehrere Leute zur Spezialität gemacht, Banken zu plündern, und sie trugen auch weiße Masken. Sie haben sogar verhältnismäßig viel Geld erbeutet. Hast du einmal von den Furses gehört? Es waren Brüder – die gerissensten Spezialisten in ihrem Fach.«
»Vielleicht ist er einer von ihnen«, sagte sie, ohne sich etwas dabei zu denken.
»Wie meinst du?«
Sie sah ganz deutlich, daß er erschrak. Das war eigentümlich, denn Donald Bateman fürchtete sich doch sonst vor nichts.
»Das glaube ich nicht«, meinte er nach einer Pause.
Als sie sich während des Essens gegenseitig neckten und harmlose Dinge erzählten, legte er plötzlich Gabel und Messer hin, und sie entdeckte wieder den furchtsamen Ausdruck in seinem Gesicht. Er schaute starr zu einem Herrn hinüber, und sie folgte der Richtung seines Blicks.
Der schlanke, elegant gekleidete Mann, der mit einer kleinen Gesellschaft hereingekommen war, mochte etwa sechzig Jahre alt sein. Die Kellner eilten sofort auf ihn zu.
»Wer – wer ist das?« fragte er und bemühte sich, gleichgültig zu sprechen. »Ich meine den Herrn dort mit den jungen Damen. Kennst du ihn zufällig?«
»Ja – das ist Dr. Rudd.«
»Rudd!«
»Er ist der Polizeiarzt unseres Bezirks. Ich habe ihn schon oft gesehen. Er war auch schon in unserer Klinik. Ein unsympathischer Mensch. Er hatte nur abfällige Bemerkungen für unsere Arbeit übrig.«
Sie wunderte sich, daß Donald so bleich geworden war. Nur allmählich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
»Kennst du ihn denn?« fragte sie erstaunt.
Er zwang sich zu einem Lächeln.
»Nein, aber er erinnerte mich an jemand – an einen alten Freund – in Rhodesien.«
Als sie beim Herausgehen am Tisch von Dr. Rudd vorbeikamen, verdeckte Donald den unteren Teil seines Gesichts mit seinem Taschentuch, als ob er Schmerzen hätte.
»Hast du dich verletzt?« fragte Janice.
»Nein, es ist nur ein wenig Neuralgie«, scherzte er. »Das kommt davon, wenn man Nacht für Nacht unter freiem Himmel im Regen liegt.«
Er erzählte ihr dann eine Geschichte von einem Tropenregen in Nordrhodesien, der vier Wochen ohne Unterbrechung gedauert hatte.
Sie trennte sich von ihm an der Tür ihrer Wohnung in Bury Street. Er war offensichtlich enttäuscht, denn er hatte erwartet, daß sie ihn einladen würde mitzukommen. Aber schön auf dem Rückweg zum Hotel tröstete er sieh. Er hatte ja für den nächsten Morgen ein Rendezvous verabredet – allerdings nicht mit Janice.
3
In seiner karg bemessenen Freizeit stand Dr. Marford gewöhnlich in seinem Sprechzimmer hinter den roten Kalikovorhängen, die den unteren Teil der kahlen Fenster bedeckten. Er konnte gerade darüber hinwegschauen, und er liebte es, philosophische Betrachtungen über Tidal Basin, seine Bewohner und ihre Schicksale anzustellen.
Dr. Marford hatte seine Klinik in einem ziemlich verwahrlosten Häuserblock entrichten müssen, als er seine bescheidene Praxis eröffnete. Alle Leute in Tidal Basin wußten, daß der Doktor arm war und kein Geld hatte, denn er hatte die Fußböden und die Wände selbst gestrichen. Wahrscheinlich hatte er auch die Vorhänge genäht. Die Einrichtung stammte vom Caledonian Market, wo man alte Möbel zu billigen Preisen erstehen konnte.
In Tidal Basin hieß er der »arme Doktor«, später der »Baby-Doktor«, denn nach einem Jahr fing er an, Kinder kostenlos mit Höhensonne zu bestrahlen. Unbedingt mußte er reiche Gönner haben, denn nach einiger Zeit folgte die Eröffnung eines Erholungsheims an der See.
Sein Beruf füllte ihn vollkommen aus, und keinen Schilling des Geldes, das man ihm stiftete, verbrauchte er für sich persönlich. Sein Arbeitszimmer blieb so einfach und ärmlich wie früher, im Gegensatz zu all den Krankenzimmern, die mit den modernsten Einrichtungen versehen waren.
Er stand am Fenster, als Janice Harman vorüberkam, und ging hinaus, um ihr die Tür zu öffnen. Trotz seiner Liebe zur Wissenschaft und zu den Armen war er Mensch genug, seine schöne Krankenschwester zu bewundern. Manchmal saß er in Gedanken versunken an seinem Schreibtisch und dachte stundenlang nur an sie. Aber er zeigte nicht, was in seinem Inneren vorging, als sie ihm schüchtern und zusammenhanglos von ihren Heiratsplänen erzählte.
»Oh«, sagte er nur nachdenklich, »das ist ja sehr schade ich meine für die Klinik. Was sagt denn aber Mr. Quigley dazu?«
Bisher hatte er eine merkwürdige Abneigung gegen den jungen Berichterstatter gehabt. Viel zu oft hatte Mike Janice in der Klinik besucht und abends abgeholt. Dr. Marford. war es auch nicht recht gewesen, daß Quigley so begeisterte und lobende Artikel über ihn und die Klinik verfaßt hatte, denn er liebte es nicht, in der Öffentlichkeit genannt zu werden.
»Mr. Quigley hat nicht das geringste Recht, etwas dagegen zu sagen«, erklärte sie trotzig. »Er ist ein sehr guter Freund oder vielmehr er war es.«
Es folgte eine peinliche Pause.
»Sie sind nicht mehr miteinander befreundet?« fragte Dr. Marford freundlich, der sich im Augenblick eigentümlich zu dem jungen Mann hingezogen fühlte.
»Das kann man eigentlich nicht sagen. Ich mag ihn gern er ist sehr nett, aber manchmal etwas herrisch und anmaßend. Neulich sorgte er wirklich sehr gut für mich, und ich habe ihm nicht einmal dafür gedankt. Es war an dem Abend im Howdah-Klub, als der schreckliche Mensch kam.«
Er sah sie fragend an.
»Welcher schreckliche Mensch?«
»Weißgesicht!«
»Ach ja, ich habe davon gelesen. Sergeant Elk hat es auch erwähnt. Man nimmt an, daß der Mann hier in der Gegend wohnt. Ich glaube, für diese Theorie ist Ihr Freund Mike verantwortlich. Handeln Sie auch wirklich klug?«
Die Frage kam überraschend.
»Meinen Sie meinten Entschluss, zu heiraten? Handelt ein junges Mädchen in dieser Beziehung überhaupt klug, Dr. Marford? Selbst wenn ich diesen Mahn seit Jahren jeden Tag gesehen hätte, würde ich ihn