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Die seltsame Gräfin. Edgar WallaceЧитать онлайн книгу.

Die seltsame Gräfin - Edgar Wallace


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wurde rot.

      »Sie nehmen doch hoffentlich nicht an, daß ich diesen Zusammenstoß absichtlich herbeigeführt hätte, um Ihre Bekanntschaft zu machen?«

      Als sie ernst nickte, war er wie vom Donner gerührt und starrte sie groß an.

      »Sie folgen mir schon seit Monaten«, sagte Lois ruhig. »Sie machten sich sogar die Mühe, mit einer Stenotypistin in Shaddles' Büro bekannt zu werden, nur um mit mir zusammenzukommen. Ich weiß, daß Sie mich stets auf dem Heimweg verfolgen – einmal nahmen Sie denselben Autobus wie ich, und auf dem einzigen Ball, den ich in diesem Jahr besuchte, waren Sie auch.«

      Michael Dorn machte sich am Steuer zu schaffen und war im Augenblick sprachlos. Sie war sehr ernst geworden. Ihre wundervollen Augen sahen ihn mit einem leisen Vorwurf an.

      »Nun ja, wirklich –«, begann er zögernd. Dann fehlten ihm die Worte.

      Sie wartete, daß er seinen angefangenen Satz beenden würde.

      »Also wirklich –?« Ein schwaches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. »Nun, Mr. Dorn, es ist ja kein Vergehen von einem Mann, ein junges Mädchen treffen zu wollen – das sehe ich ein. Es wäre lächerlich von mir, mich dadurch beleidigt zu fühlen. Aber wie ich schon ihrer Gesandtin, Miss Lizzy Smith, sagte –«

      Er schaute rasch auf und wollte etwas erwidern, aber sie fuhr unbeirrt fort.

      »Ich wünsche Ihre Bekanntschaft wirklich nicht, und ich bezweifle nicht, daß Lizzy Ihnen das von mir ausrichtete. Deshalb halte ich Ihr Benehmen auch für ein wenig – wie soll ich es gleich nennen?«

      »Aufdringlich heißt das Wort, das Sie suchen«, sagte er kühl. »Ich will zugeben, daß es fast so aussieht.«

      Er stieg langsam aus, ging an ihren Wagen und stützte seine Arme auf die Oberkante des Schlages.

      »Bitte, glauben Sie mir, Miss Reddle, daß mir nichts ferner liegt, als Sie zu belästigen. Wenn ich nicht so ungeschickt gewesen wäre, würden Sie niemals erfahren haben, daß ich Sie –« Es fehlte ihm wieder das richtige Wort. Sie vollendete seinen Satz. Obwohl er so ernst war, mußte er lachen.

      »Verfolgen ist ein häßliches Wort, ich wollte es eben etwas liebenswürdiger ausdrücken«, sagte er.

      Als sie ihn jetzt ansah, gefiel ihr der treue, fröhliche Blick seiner blauen Augen doch, und hätten sie sich in diesem Augenblick getrennt, ohne noch mehr miteinander zu sprechen, so hätte sie freundlicher von ihm gedacht. Aber er setzte die Unterhaltung fort.

      »Wo wollen Sie an diesem schönen Herbstmorgen hin?«

      Sie wurde wieder ablehnend und zurückhaltend.

      »Wenn Sie mir jetzt folgen, werden Sie einen Schrecken bekommen. Ich bin nämlich auf dem Weg zum Telsbury-Gefängnis.«

      Der Eindruck, den diese Worte auf ihn machten, war verblüffend. Er schaute sie entsetzt und verwirrt an.

      »Wohin wollen Sie fahren?« fragte er heiser, als ob er seinen Ohren nicht traute.

      »Zum Telsbury-Gefängnis – bitte!«

      Sie winkte ihm, Platz zu machen, und der Wagen mit der zerbrochenen Windschutzscheibe fuhr die breite Chaussee entlang.

      »Großer Gott!« sagte Michael Dorn und starrte hinter ihr her.

      3

      Der düstere Eingang der Strafanstalt von Telsbury wird gnädig von einer Gruppe dunkler Fichten verborgen. Die roten Wände haben mit der Zeit ihre grelle Farbe verloren, und wenn nicht der hohe Turm in der Mitte emporragte, würde ein Wanderer daran vorübergehen, ohne das Gebäude zu bemerken.

      Lois hatte das Gefängnis schon zweimal besucht, um Aufträge ihres Chefs dort zu erledigen. Einer seiner Klienten hatte eine Frau wegen Betrugs angezeigt. Sie war zu fünf Jahren verurteilt worden. Es war nun notwendig, ihre Unterschrift unter gewisse Dokumente zu erhalten, um die Aktien, die betrügerischerweise verschoben worden waren, ihrem rechtmäßigen Eigentümer wieder zustellen zu können.

      Sie ließ ihren Wagen an der Seite des hohen Straßentors halten, stieg aus und klingelte. Gleich darauf wurde ein Gitter von einem Fenster zurückgeschoben, und die wachsamen Augen des Pförtners richteten sich auf sie. Obwohl er sie wiedererkannte, mußte sie ihm doch erst ihren Passierschein zeigen. Dann schloß er auf und führte sie in einen mit Steinfliesen gepflasterten Raum. Die Einrichtung war sehr einfach, sie bestand nur aus einem Pult mit einem Schreibsessel, einem einfachen Tisch und zwei Stühlen.

      Der Wärter las den Passierschein noch einmal durch und drückte dann auf eine Klingel. Er, die beiden Leute, die ihn ablösten, und der Direktor der Anstalt waren die einzigen Männer, die in diese Mauern kamen. Sein Tätigkeitsfeld beschränkte sich auf den kleinen Raum und den Torweg, der vom Innenhof durch starke, eiserne Gitter getrennt war.

      »Ist es Ihnen nicht unangenehm hierherzukommen, mein Fräulein?« fragte er lächelnd.

      »Gefängnisse machen mich immer elend und krank«, sagte sie.

      Er nickte.

      »Hier drinnen leben sechshundert Frauen, die noch viel matter und kränker sind, als Sie, hoffentlich, jemals in Ihrem Leben sein werden«, erwiderte er zuvorkommend. »Nicht daß ich eine von ihnen zu sehen bekomme – ich öffne ihnen nur das Tor zum Gefängnis und dann sehe ich sie, solange sie hier sind, nicht wieder. Nicht einmal, wenn sie entlassen werden.«

      Eine Tür wurde aufgeschlossen, und eine junge Wärterin in gutsitzender blauer Uniform trat ein. Sie grüßte Lois mit einem freundlichen Kopfnicken und führte sie durch eine kleine Stahltür über einen großen Hof, der einsam und verlassen dalag. Danach traten sie durch eine andere Tür und gingen einen langen Gang entlang bis zu dem kleinen Büro des Gefängnisdirektors.

      »Guten Morgen, Direktor. Ich möchte gern mit Mrs. Desmond sprechen.« Sie entfaltete ihre Dokumente und legte sie dem grauhaarigen Mann auf den Tisch.

      »Sie wird jetzt in ihrer Zelle sein«, sagte er. »Kommen Sie mit, Miss Reddle, ich werde Sie persönlich hinbringen.«

      Am Ende des Ganges befand sich eine andere Tür, die in eine große Halle führte. Auf beiden Seiten liefen eiserne Verbindungsgänge, die man über eine breite Mitteltreppe erreichen konnte. Lois schaute in die Höhe, sah die Drahtnetze über ihrem Kopf und schauderte. Sie wußte, daß sie angebracht waren, um zu verhindern, daß diese unglücklichen Frauen sich von oben herabstürzten und ihrem Leben so ein Ende machten.

      »Wir sind da«, sagte der Direktor und öffnete die Zellentür.

      Fünf Minuten mußte sie mit der eigensinnigen, verbitterten Frau verhandeln, die sich mit weinerlicher Stimme über alles beschwerte und allen Vorwürfe machte. Schließlich trat Lois mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung wieder zu dem Direktor hinaus.

      »Gott sei Dank – ich werde nie wieder hierherkommen!« sagte sie, als er die Zelle verschloß.

      »Wollen Sie Ihre Anwaltstätigkeit aufgeben?« fragte er scherzend. »Ich habe schon immer gesagt, daß das kein passender Beruf für eine junge Dame ist.«

      »Sie überschätzen mich und meine Stellung. Ich bin nur eine einfache Stenotypistin und weiß von dem Gesetz kaum mehr, als daß Stempelmarken auf gewisse Urkunden gehören und an bestimmten Stellen aufgeklebt werden müssen!«

      Sie kehrten nicht auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren, sondern gingen durch die große Halle in den Hof. Die Organisation der Anstalt war so vorzüglich, daß sich in der kurzen Zeit, die sie in der Zelle verbrachte, der ganze Hof mit grauen Gefangenen gefüllt hatte, die im Kreis umhergingen.

      »Um diese Zeit machen sich die Gefangenen immer Bewegung«, erklärte der Direktor. »Ich dachte, Sie würden es vielleicht gern einmal sehen.«

      Lois war von Mitleid erfüllt, und ihr Herz lehnte sich gegen das Gesetz auf, das diese Frauen zu anonymen Nummern erniedrigte. Die einfachen Kattunkleider und die weißen Hauben erschienen ihr häßlich,


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