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Italien mit allen Sinnen. Otto W. BringerЧитать онлайн книгу.

Italien mit allen Sinnen - Otto W. Bringer


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Heilige hatten sie ohnehin, mit ihnen auch Wallfahrer und zusätzliche Einkünfte. Konkurrierende Städte sowieso.

      Bis dann im 14. Jahrhundert soziale Unruhen ausbrachen. Die Weber flohen und verlegten ihr Geschäft nach Venedig. Damit war die Grundlage des Reichtums weg. Das schöne Stadtbild aber ist geblieben. Bis heute. Wir durchqueren es von Südost nach Nordwest.

      „Lass uns zum Antikmarkt gehen. Gleich um die Ecke.“ Rose möchte private Geschichten erleben. Wir schlendern los. Aus Porzellanvasen winken Puppen mit dem abgewinkeltem Celluloidarm, den die Fabrik ihnen mitgegeben hat. „Ich hätte gern auch den Ellenbogen meiner Billa bewegt.“ Rose schmollt wie ein kleines Mädchen. Küsse ihre unschuldige Wange. Da, zwei Messingkübel mit dickverstaubtem Adler-Ornament. Viel leicht aus einem Generalshaushalt. Und lange nicht geputzt. Wer weiß schon, ob ein Altertümchen alt ist? In Lucca ist das nicht anders als in Düsseldorf oder Freiburg.

      Schnell noch ein Foto vom alten Lehnsessel für die Lucca-Story in meiner Dia-Show. Dann sind wir auf der Promenade. Flanieren über den roten Kies, schweben auf Wolke siebzehn. Die Akazien kühlen unsere Stirn mit grünem Schatten. San Martino schickt seine Glocken los, uns zum Himmel heimzuholen. In dem wir schon lange sind. Der Mesner weiß es nur nicht. Vom Gesang der Amsel lassen wir uns in die schönste Stimmung singen. Der Duft dunklen Kaffees lockt uns in die nächste Cafeteria. „Oh mia Rosa.“

      Wir sind rundum glücklich. Planen den nächsten Besuch im Klosterhotel von Pistoia. Hundertzehn Kilometer östlich von Lucca. Richtung Florenz. Auf unserer Landkarte stehen noch viele Orte, die wir kennenlernen wollen. Damit wir vergleichen können. Zwischen Vergessen oder Wiederkommen. Eines Tages.

      Am Ende unseres Spaziergangs in Lucca San Frediano. Nicht weil diese Kirche die sehenswerteste, also ein Höhepunkt ist. Sondern weil sie an unserem Heimweg liegt. Hier wieder die überhöhte Fassade. Es muss damals ein Bilderwahnsinn geherrscht haben. Hier schmückt die Fassade ein riesiges Mosaik der Himmelfahrt. Engel zur Seite, natürlich. Und eine große Volksmenge darunter, die jubelt. Es wird dunkel. Die Szene verschwimmt ins Ungenaue. Wir fahren ins Hotel.

      Die Locanda mit dem schönen Namen Elisa empfängt uns zwar mit hell erleuchteten Fenstern. Verabschiedet sich aber zur Nacht mit einem verbrannten Abendessen. Nun ja, den Lucca-Tag verdirbt es uns nicht. Werden ihn nicht vergessen. Brokatbänder um Männerschenkel nicht. Den riesigen Michael nicht. Die Amsel im Ohr.

      BONAVIGO – am liebsten Liliputfeigen

      Wir wohnen zum ersten Mal in Montegrotto. „Mache eine Fangokur mit Massage. Am besten in Italien.“ Empfiehlt Rose mit Nachdruck. Mein Rücken ist keiner der stabilsten. Die Lendenwirbelsäule unreparierbar. Der erste Hexenschuss war dramatisch. Kaum schoss mich dieses Scheusal ins Kreuz, rast Rose mit mir zu ihrer Ärztin, die auch Freundin ist. Kennen sich von der Reiterei. Alexa, so heißt sie, jagt mir eine Superampulle ins na ja, Sie wissen wohin. Nach einer Stunde bin ich die Schmerzen los. Für lange. Leider geht das mit dieser Kalorienodersonstwasbombe nicht lange. Nebenwirkungen sollen Kreislaufkollapse verursachen. Gesetzlich verboten.

      Also Montegrotto. Im ‚Des Bains’ haben wir alles beieinander. Ein schönes, großes Zimmer mit Terrasse. Den Park mit Rennstrecken für kleine Wauwaus. Freunde Orth haben einen niedlichen Rauhaardackel. Der dreiteilige Pool amüsiert uns mit allerlei Düsenspielarten. Das Frühstück ist italienisch karg. Brötchen und Marmelade. Tee oder Kaffee.

      Später passte sich Signore Baretello den germanischen Ansprüchen an. Von wegen Spiegelei und Wurst und Schinken. Wir mögen die italienische Art. Sind sie in Reinkultur von Amalfi gewöhnt. Kein Problem. Vor allem, weil das Abendmenü auch tipico Italiano ist. Mit allen Geschmacksvarianten, die ein guter Koch aus Naturprodukten herauskitzeln kann. Büffelmozarella zum Beispiel.

      Ich ertrage das für mich ungewohnte frühe Aufstehen mit Mühe. Sechsuhrdreißig! Die heiße Fangopackung in meinem Rücken. Das sprudelnde, ozonhaltige Bad. Die halbe Stunde danach in meinem Bett. Rose hat Zeit, sich derweil in aller Ruhe ihrer Schönheit zu widmen. Die Nachmittage sind frei von Behandlungszwängen.

      Fahren in die weitere Umgebung. Gemischt wildes und kultiviertes Mittelgebirge. Nennt sich Colli Euganei. Die Hügel des Eugen. Wer immer das war. Die Landschaft von schmalen, gewundenen Straßen durchquert. Rechts und links Akazienwälder. Weinfelder. Gemüse, Salate. Hin und wieder eine Wiese, die ein Pferd ganz für sich hat. Zum Stehen und gelegentlichen Wiehern. Auch Rösser brauchen Gespielinnen. Wir machen Umwege. Durch Lonigo, San Bonifazio, um sozusagen hintenherum nach Bonavigo zu kommen.

      Drei Häuser am Hang. Eines mit offener Terrasse, umstanden von erwachsenen Ahornbäumen. Parkfläche. ‚Al Sasso’ auf einem bescheidenen Schild über der Tür. Versuchen wir´s. Öffnen die Tür, sie geht nach außen auf. Vorschriftsmäßig. Denn wenn´s brennt, weicht die Tür dem Druck der Flüchtenden nach draußen von selbst. In einer Art Diele eine Vase mit voll aufgeblühten weißen Dahlien zwischen zwei Türen. Dahinter wohl Gasträume.

      „Möchtest Du rechts oder links?“ Rose denkt einen Moment nach, geht nach rechts. Als hätte sie gerochen, wie es darin aussieht. Immer ahnt sie mehr als ich. Heute auch wieder. Schöner, heller Raum. Holzdielenboden. Frisch glänzend. Bienenwachsduft. „Gut gerochen Rose.“

      Sie lächelt. Vier Fensterchen mit luftigen Tüllgardinen lächeln zurück. Weißtuchgedeckt die Tische, von einer Bank umwinkelt. Na ja, nicht ganz leicht für einen kräftig gebauten Mann wie mich, seinen Korpus zwischen Bank und Tisch zu lancieren. Bis er endlich auf dem angepeilten Platz platznehmen kann.

      Inzwischen ist Bedienung da. Ein hellblondes Mädchen, das kein Deutsch spricht. Aber fließend Italienisch. Zum Glück verstehen wir das meiste. Außerdem ist die Speisekarte dreisprachig. Italienisch. Französisch. Englisch. In einer der drei Sprachen findet jeder sein Überraschungsmenü. Nicht lange und alle Tische sind besetzt. Neben uns zwei Geschäftsleute. An Musterbuch und Taschenrechner erkennen wir sie. Was sollen wir essen. Es ist Mittag zwei Uhr. Das karge Frühstück sechs Stunden her. Hunger.

      Rose liebäugelt mit einem Cacciatora, Jägergericht im Ofen gebacken. „Es erinnert mich an unseren Aufenthalt im Kuppelgewölbe des Klosterhotels in Pistoia. Gespannt, wie es hier schmeckt.“ Ich bleibe bei Fisch. Wie fast immer. Als ich von der Zahnbrasse schwärme, die auf mich wartet, schwenkt Rose um: „Ich auch.“ Gerettet ist die gemeinsame Weinsorte. Sauvignon bianco. San Pellegrino sowieso für den Autofahrer.

      „Wer fährt?“ „Später, später, mein Schatz.“ Ich fühle mich gut. Antipasti vorweg. Kleiner Teller. Wir genießen die Mittagsstunde in dem Haus am Hang neben einem talwärts stürzenden Bach. „Eigentlich muss es hier auch Flusskrebse geben.“ Rose hat wieder die richtige Nase. Wir fragen nach Gàmbero d´aqua dolce. „Si, si Signora, li avremo la prossima settimana, venerdi. Wir haben, Freitag nächste Woche. Das machen wir. Erinnern an die eigenen zu Roses Geburtstag. „Ecrevisse Pérougienne“. Roses französisch gekochte hatten unsere Gäste auf die Knie gezwungen. Lachen beim Gedanken daran.

      Immer noch den Kitzel im Kopf blicke ich zum Nachbartisch. „Vor wem sollten die auf die Knie fallen?“ Keine Köchin zu sehen. Sie hatten ihr Hauptgericht gegessen. Leer gegessene Teller mit rotsoßigen Resten und einzelnen Spaghettiwürmern deuten auf eilige Esser. Warten auf das Mädchen zum Abholen. Es kommt. Mit zwei Tellern, auf denen ein Stück Schokoladenfruchtkuchen ofenwarm duftet und wackelt. Wenn er nicht warm wäre, könnte er nicht wackeln.

      Das Mädchen geht. Kommt wieder. Mit zwei Espressi. Geht. Kommt. In den Händen zwei Teller mit klitzekleinen Früchten. Stehe auf, als müsste ich irgendwohin. Blinzele einem der Männer über die Schulter. Sollen das Feigen sein? Nie gesehen, so klein. Frage einen der beiden Gäste. „Ma certo, sono fichi, delizioso.“ Aber gewiss, es sind junge Feigen, köstlich. Natürlich erkenne ich jetzt ihre Form. Wie die Ausgereiften, nur eben viel kleiner, niedlicher. Grün, leicht angerötet.

      Rose fragt: „Zu Kaffee und Kuchen Feigen? Seltsame Kombination. Sonst nichts?“ Das Mädchen kommt wieder mit zwei Gläsern Gelb. Likör, denke ich. Jetzt trinken die Männer ihr Gelb. Greifen zu den Feigen. Stecken sie zwischen den gelben Schlucken in den Mund. Kauen genüsslich. Lecken ihre Lippen. Schlucken.


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