Die Namenlosen. Уилки КоллинзЧитать онлайн книгу.
die eine „Straße in Bath“ darstellte, legten die übliche Unfähigkeit an den Tag, mit den eigenen Armen, Beinen und Stimmen umzugehen, gingen mehrmals an den falschen Stellen ab und brachten ihre völlige Zufriedenheit über das bisherige Ergebnis zum Ausdruck, indem sie hinter den Kulissen herzhaft lachten. „Ruhe, bitte, meine Herren“ mahnte der fröhliche Schauspieldirektor. „So laut Sie auf der Bühne auch sein können, das Publikum darf Sie nicht hören, wenn Sie hinter der Bühne sind. Miss Marrable bereit? Miss Vanstone bereit? Vorsicht dort mit der ‚Straße in Bath‘; sie wird sonst krumm! Schauen Sie hierher, Miss Marrable. Genau nach vorn, wenn es beliebt. Miss Vanstone…“ Er hielt plötzlich inne. „Seltsam“, sagte er zu sich selbst, „sie stellt sich von selbst genau zum Publikum!“ Lucy eröffnete die Szene mit folgenden Worten: „In der Tat, Madam, ich habe auf der Suche die halbe Stadt durchquert: Ich glaube, es gibt in Bath keine Leihbücherei, in der ich nicht gewesen bin.“ Der Schauspieldirektor fuhr von seinem Stuhl hoch. „Du meine Güte! Sie spricht laut und deutlich, ohne zu stottern!“ Der Dialog setzte sich fort. Lucy brachte die Romane für Miss Lydia Languishs private Lektüre unter ihrem Mantel zum Vorschein. Der Schauspieldirektor sprang erregt auf die Füße. Hervorragend! Keine Hektik mit den Büchern. Keines fiel zu Boden. Sie sah sich die Titel an, bevor sie sie ihrer Herrin vorlas; sie legte „Humphrey Clinker“ auf „Die Tränen der Empfindsamkeit“, wobei sie mit einem verschmitzten kleinen „Klack“ den Gegensatz deutlich machte. Im einen Augenblick kündigte sie Julias Besuch an; im nächsten ließ sie die forschen Höflichkeiten des Kammermädchens fallen; ein dritter, und sie war auf der Seite, die das Buch für sie vorsah, von der Bühne verschwunden. Der Schauspieldirektor wirbelte auf seinem Stuhl herum und sah Miss Garth durchdringend an. „Ich bitte um Verzeihung, Ma’am“, sagte er. „Bevor wir anfingen, hat Miss Marrable mir gesagt, es sei für die junge Dame das erste Mal. Das kann doch sicher nicht sein!“
„Es stimmt“, erwiderte Miss Garth, wobei sich der verblüffte Ausdruck des Schauspieldirektors auch auf ihrem Gesicht widerspiegelte. War es möglich, dass Magdalens unbegreiflicher Fleiß beim Rollenstudium einem ernsthaften Interesse an ihrer Tätigkeit entsprang – einem Interesse, das auf eine natürliche Eignung schließen ließ?
Die Probe nahm ihren Lauf. Die stämmige Dame mit der Perücke (und dem ausgezeichneten Herz) verkörperte die empfindsame Julia aus einer unverbesserlich tragischen Sicht und brachte in der ersten Szene verstört ihr Taschentuch zum Einsatz. Die blaustrümpfige Verwandte nahm Mrs. Malaprops sprachliche Fehler so ernst und gab sich mit ihren Schnitzern eine so außerordentliche Mühe, dass sie sich mehr als alles andere wie Übungen in Vortragskunst anhörten. Der unglückliche Bursche, der in der Rolle des „Sir Anthony Absolute“ der hoffnungsloseste Fall der ganzen Truppe war, brachte das Alter und die Reizbarkeit seiner Person zum Ausdruck, indem er ständig in den Knien zitterte und mit seinem Stock über die Bühne humpelte. Langsam und schwerfällig, mit ständigen Unterbrechungen und unendlichen Fehlern, schleppte sich der erste Akt hin, bis Lucy wieder auftrat und ihn mit einem Monolog beendete, in dem sie ihre angebliche Einfältigkeit eingestand und ihre eigene Schlauheit pries.
Hier stieß Magdalen durch die künstliche Bühnensituation auf Schwierigkeiten, die ihr in der ersten Szene nicht begegnet waren – und der völlige Mangel an Erfahrung führte zu mehr als einem spürbaren Fehler. Mit einem Eifer, den er gegenüber keinem anderen Mitglied der Truppe an den Tag gelegt hatte, griff der Schauspieldirektor sofort ein und korrigierte sie. An einer Stelle sollte sie innehalten und sich auf der Bühne umdrehen – was sie tat. An einer anderen sollte sie stehen bleiben, den Kopf schütteln und keck ins Publikum blicken – was sie tat. Als sie das Blatt Papier herausnahm und die Liste der Geschenke vorlas, die sie bekommen hatte – ob sie mit dem Finger darauf klopfen könne (Ja)? Und ob sie mit einem leisen Lachen abgehen könne (Ja – nach zwei Versuchen)? Ob sie, wenn sie die verschiedenen Posten vorlas, am Ende jedes Satzes einen durchtriebenen Blick geradewegs in den Zuschauerraum werfen könne (ja, geradewegs ins Publikum, und so durchtrieben, wie es Ihnen beliebt)? Das fröhliche Gesicht des Schauspieldirektors strahlte zustimmend. Er klemmte sich das Textbuch unter den Arm und klatschte fröhlich in die Hände; die Herren, die sich hinter der Bühne versammelt hatten, folgten seinem Beispiel; die Damen sahen sich an, wobei ihnen Zweifel kamen, ob sie den Neuzugang nicht besser in der Abgeschiedenheit des Privatlebens gelassen hätten. Magdalen war zu sehr in das Bühnengeschehen vertieft, als dass sie irgendetwas davon bemerkt hätte. Sie bat darum, den Monolog noch einmal wiederholen zu dürfen, um sich ihrer eigenen Verbesserung zu versichern. Dieses Mal absolvierte sie ihn von Anfang bis Ende ohne einen einzigen Fehler; der Schauspieldirektor lobte ihre Beherzigung seiner Anweisungen mit einem Ausbruch professioneller Zustimmung, der ihm unwillkürlich entfuhr. „Sie nimmt Hinweise auf!“, rief der kleine Mann, wobei er mit der Hand herzhaft auf das Buch schlug. „Sie ist die geborene Schauspielerin, wenn es jemals eine gegeben hat!“
„Das will ich nicht hoffen“, sagte Miss Garth zu sich selbst, nahm die Handarbeit wieder auf, die auf ihren Schoß gesunken war, und blickte mit einer gewissen Verblüffung darauf hinab. Ihre schlimmste Befürchtung im Zusammenhang mit dem Theaterprojekt war die Vorahnung leichtfertiger Verhaltensweisen seitens einiger Gentlemen gewesen – aber hiermit hatte sie nicht gerechnet. Mit Magdalen in der Eigenschaft eines unbekümmerten Mädchens fertig zu werden, war relativ einfach. Mit Magdalen in Gestalt einer geborenen Schauspielerin drohten weitaus größere Schwierigkeiten.
Die Probe ging weiter. Lucy erschien in ihren Szenen im zweiten Akt (dem letzten, in dem sie auftrat) zusammen mit Sir Lucius und Fag auf der Bühne. Auch hier machte sich Magdalens Unerfahrenheit bemerkbar – und auch hier versetzte sie mit ihrer Entschlossenheit, die eigenen Fehler anzugehen und zu überwinden, alle in Erstaunen. „Bravo!“, riefen die Herren hinter der Bühne, als sie beharrlich einen Schnitzer nach dem anderen ausbügelte. „Lächerlich!“, sagten die Damen, „bei so einer kleinen Rolle!“ „Himmel vergib mir“, dachte Miss Garth, während sie sich widerwillig der allgemeinen Meinung anschloss. „Ich wünschte fast, wir wären Papisten, und ich könnte sie morgen in ein Kloster stecken.“ Gerade als der Gouvernante diese verzweifelte Anwandlung entschlüpfte, betrat einer von Mr. Marrables Dienern das Theater. Sie schickte den Mann sofort mit einer Nachricht hinter die Bühne: „Miss Vanstone hat ihre Rolle in der Probe gespielt; sie möchte bitte herkommen und sich zu mir setzen.“ Der Diener kehrte mit einer höflichen Entschuldigung zurück: „Miss Vanstones freundlichste Grüße, aber sie bittet darum, sie zu entschuldigen – sie souffliert gerade Mr. Clare.“ Sie soufflierte ihm so gut, dass er mit seiner Rolle tatsächlich fertig wurde. Die Darbietungen der anderen Herren waren von penetranter Dümmlichkeit. Frank war geringfügig besser – er war nur mäßig unfähig; und er gewann durch den Vergleich. „Das hat er Miss Vanstone zu verdanken“, erklärte der Schauspieldirektor, der das Soufflieren gehört hatte. „Sie hat ihn durchgeschleppt. Wir werden am Abend ganz schön fade aussehen, wenn der Vorhang nach dem zweiten Akt fällt und das Publikum sie zum letzten Mal gesehen hat. Es ist tausendmal schade, dass sie keine bessere Rolle hat!“
„Es ist tausendmal ein Segen, dass sie nicht mehr zu tun hat“, murmelte Miss Garth, die seine Worte gehört hatte. „Wie die Dinge liegen, können die Leute ihr nicht mit Applaus den Kopf verdrehen. Sie ist schon im zweiten Akt aus dem Spiel – das ist der einzige Trost!“
Kein wohlgeordneter Geist zieht Schlüsse in Eile. Miss Garth’ Geist war wohlgeordnet. Rein logisch betrachtet, hätte Miss Garth also über die Schwäche, voreilig zu Schlussfolgerungen zu gelangen, erhaben sein müssen. Dennoch hatte sie unter den gegenwärtigen Umständen diesen Fehler begangen. Einfacher gesagt, ging sie mit der tröstlichen Überlegung, die ihr gerade eingefallen war, davon aus, dass das Theaterstück alle Katastrophen hinter sich gelassen hatte und seine lange verzögerte Erfolgslaufbahn eingeschlagen hatte. Aber das Theaterstück hatte nichts Derartiges getan. Die Wege des Missgeschicks und der Familie Marrable hatten sich noch nicht getrennt.
Als die Probe vorüber war, bemerkte niemand, dass die stämmige Dame mit der Perücke sich in aller Stille aus der Gesellschaft zurückgezogen hatte; und als man sie anschließend an dem Tisch mit Erfrischungen vermisste, den der gastfreundliche Mr. Marrable in einem Zimmer nicht weit von dem Theater bereit hielt, konnte sich niemand vorstellen, dass ihre Abwesenheit einen schwer wiegenden Grund hatte. Erst als die Damen und Herren zur nächsten Probe zusammenkamen,