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Unter Barbaren. Ralph ArdnassakЧитать онлайн книгу.

Unter Barbaren - Ralph Ardnassak


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„Guten Abend der Herr! Begrüßung haben wir wohl nicht mehr nötig, wie?!“ Klatt schweigt. Er sieht zur Erde, wie ein geprügelter Hund, und er schweigt. Er weiß, dass es jetzt besser war, zu schweigen. Jedes Wort hätte sie nur provoziert. Jedes Umarmen hätte in ein Wegstoßen gemündet und in den Schrei: „Fass mich nicht an!“ Das wusste Klatt alles längst aus Erfahrung. Also schwieg er besser. Und sie, die auch gar nichts anderes erwartet hatte, von diesem Trottel, der ihr eh nicht gewachsen war, wie sie wusste, kommentierte sein Schweigen mit einem verächtlichem Grunzen und dem Standardsatz: „Du ödest mich an bis zum Erbrechen!“ Dann war er für heute erledigt. Sie hat es ihm wieder einmal gegeben! Sie hat es ihm wieder einmal gezeigt! Aber das Ausbleiben jeglicher sichtbarer Reaktion nahm ihr die Freude am Spielchen. Sie lässt ihn links liegen, mochte er tun und lassen, was ihm beliebte. Und sie sieht noch kurz nach dem schlafenden Kind, ehe sie sich in die aufgeräumte Küche setzt, die Beine auf den kleinen Bistrotisch legt, sich eine Zigarette anzündet und eine Illustrierte liest. Mochte er, Klatt, der Trottel, das Spielzeug, tun, was ihm beliebte! Sie war nicht für sein Glück verantwortlich! Nur für ihres! Für ihres ganz allein, nicht für seines oder das Glück irgendeines anderen Menschen auf dieser Welt! Ihr Leben war ganz in Ordnung: sie wusste das Kind gut versorgt. Sie wusste die Wohnung aufgeräumt und die Miete bezahlt. Sie wusste ihre Wäsche ordentlich zusammengelegt im Schrank und ihr Bett aufgeschüttelt und gemacht. Sie brauchte nur noch ihre Beine hochzulegen und zu entspannen. Sie gießt sich ein Glas Wein ein, zündet sich eine Zigarette an und bläst den Qualm in die kleine Küche. Durch die offenen Türen verbreitet er sich im Schlafzimmer, im Bad, im Flur, im Wohnzimmer. Sie greift nach ihrer Illustrierten und liest zum zweiten Mal die Serie über die Ehe von Frank Schöbel. Ihr Leben war ganz in Ordnung, wie sie fand! Alles war an seinem Platz! Sie hatte die Dinge fest im Griff! Gedanken um andere waren gänzlich unnötig! So sollte es sein! Es war so einfach! Man musste nur rücksichtslos genug sein und bereit, weiter zu gehen, als andere es wagten. Der Vati hatte Recht, wie immer: Menschen waren so leicht zu beherrschen, zu manipulieren! Man musste ihnen nur den Eindruck vermitteln, dass man gar keine Menschen um sich brauchte! Dass man härter war, als jedes andere Individuum auf der Welt! Schon fraßen sie einem aus der Hand, und man konnte sie an irgendeinen Platz stellen, ihnen irgendeine Tätigkeit zuweisen, sie würden sie ausführen. Und war das nicht richtig? Kam es nicht darauf an, so einfach und bequem durch das Leben hindurch zu kommen, so etwa, wie ein scharfes Messer durch Butter? Es war eine Kunst, sich sein Leben derart einzurichten und zu organisieren. Das hatte sie aus den vielen Gesprächen mit dem Vati und der Mutti schon gelernt. Sie beherrschte diese Kunst auch! Sie war stark! Sie brauchte neben ihren Eltern keinen weiteren Menschen! Nein, das brauchte sie nicht! Er, der Trottel, hatte das einmal, vor Jahren, als er noch zu diskutieren wagte, mit ihr und dem Vati, „unsozial“ genannt! Es war egal, wie er diese Art von Leben nannte! Es blieb die einzige Art und Weise von Leben, die sie zu führen gedachte, die sie zu führen imstande war! Sie war eine Schrock, und sie würde wie eine Schrock leben! Und sie führte auch keine Debatten mehr mit dem Idioten! Mochte er sich doch selbst Leid tun!

      Ihr war es egal! Sie konnte und wollte sein Gelaber nicht mehr ertragen! Sein ewiges Geheul, wie schlimm ihre Ehe doch sei! Seine ewige Suche nach Wegen und Lösungen! Sie wollte keinen Weg und keine Lösung! Ihr ging es gut, verdammt gut, saugut! Sie war da, wo sie schon immer hingewollt hatte! So musste es sein, denn sie hatte immer genau das bekommen, was sie wollte, schon als kleines Kind! Sie brauchte also keine Wege und keine Lösungen! Ihr ging es gut! Und wenn der Wege oder Lösungen brauchte, dann konnte er sich ja scheiden lassen – oder, wenn er den Mumm hatte, ja das Leben nehmen oder sonst irgendwas! War alles nicht ihr Problem, verdammte Scheiße! Was ging sie der Trottel an?!

      Klatt sitzt im Wohnzimmer, und er sieht den Zigarettenqualm hinein wabern, sieht die Rauchwölkchen an der Decke. Klatt schweigt. Er wirkt jetzt trotz seiner Trunkenheit gehemmt und scheu, wie in Erwartung einer großen Bedrohung. Er würde noch ein Bier trinken! Sein viertes Pils heute, längst mehr, als er vertrug!

      Klatt geht in die Küche und öffnete die Bierflasche. Sie, am Tisch sitzend, über der Zeitung, nahm keine Notiz von ihm. Gierig saugt sie an ihrer Zigarette, inhaliert tief, etwa so, wie jemand, der bewusst frische Waldluft einatmen will und bläst den Qualm genüsslich zur Decke. Klatt hätte neben ihr zusammenbrechen können, nichts hätte sie gehindert, unbeteiligt in ihrer Lektüre fortzufahren.

      Klatt sitzt im Wohnzimmer und gießt das Bier in sein Glas. Er muss jetzt sehr langsam und fast widerwillig trinken. Es fällt ihm schwer, den letzten halben Liter Pils zu schaffen. Er beruhigt sich damit, dass er ja keinen Schnaps trinkt. Seine Augen brennen. Es geht auf elf. Werbung dröhnt aus dem Fernseher. Klatt stellt den Ton leiser. Er hört das genüssliche Inhalieren des Zigarettenrauches aus der Küche, das Rascheln der Seiten der Illustrierten. ‚Ehe! ‘, denkt Klatt verächtlich! Und er hätte jetzt ausspeien können vor Abscheu.

      Er weiß, er hat nichts, nur sein Kind, seine Arbeit und sein Bier. Jetzt, betrunken, ist er scheinbar stark und unverwundbar, so wie die Schrock. Aber er ist es nicht wirklich! Nur sie ist so! Die Schrocks sind so! Stark und unverwundbar! Und sie brauchen keine anderen Menschen! Er, Klatt, ist nicht wie sie! Nie kann er so werden! Er kann die Schrock nicht beeindrucken! Sie kennt ihn zu genau! Alles hat ohnehin keinen Zweck, weil sie stärker ist als er mit ihren Eltern im Rücken und ihren Großeltern! Er aber ist allein.

      Klatt trinkt mit Mühe sein Bier. Dann sieht er noch einmal nach dem schlafenden Kind. Nimmt den friedvollen Anblick in sich auf, streicht über die weichen glatten, braunen Haare. Haare, die sind, wie seine eigenen. Dann wankt Klatt in sein Bett, und er legt sich zusammengekrümmt auf seine Hälfte, zieht die Decke bis zu den Ohren und weiß, dass ihm morgen das Aufstehen schwer werden wird, nach dem kurzen Schlaf.

      Die Schrock sitzt noch immer in der Küche. Sie nimmt von alledem keine Notiz. Sie wird noch ein Weilchen lesen oder fernsehen, ehe sie ins Bett geht. Sie ist zufrieden. Alles ist so, wie es sein soll!

      III

      Klatt fährt aus dem Schlaf hoch, sein Kopf schmerzt heftig, und er verspürt eine seltsame Mischung aus Durst und Übelkeit, die, wie er weiß, vom Biertrinken kommt. Ein Wecker piepst, ein hoher, unangenehmer, rhythmischer Ton. Klatt weiß, es ist ihr Wecker. Der Wecker der Schrock hat geklingelt. Es ist fünf Uhr. Die Schrock müsste aufstehen, denn um sieben beginnt ihr Arbeitstag. Aber sie bleibt liegen und rührt sich nicht, wie immer: Klatt richtet sich mühsam auf und tastet in der Dämmerung nach dem weißen Fleck auf dem Regal, der ihr Wecker sein muss. Er patscht ihn aus. Er würde das nicht tun, und er tut es nicht um ihretwillen. Aber er weiß, dass die Schrock den Wecker lärmen lassen würde, bis zur Erschöpfung der Batterien. Das stört Klatt, und er weiß auch, dass die Wände hellhörig sind: die Nachbarn. Die Schrock weiß, dass Klatt, der Trottel, schon wach werden wird. Auf den kann sie sich verlassen. Der funktioniert präziser, als ihr Wecker. Klatt patscht den Wecker aus, und dann rüttelt er die Schrock, das zusammengekrümmte Bündel unter der Decke neben sich, dass seine Frau sein sollte, dass ihm fremd und feind ist, wie ein unheimlicher Eindringling. Auch das tut er nicht um der Schrock willen. Aber er weiß, sie wird sonst verschlafen, irgendwann wird sie aufwachen und aggressiv feststellen, er hat sie nicht geweckt. Er und das Kind würden es ausbaden müssen, ihre Aggression und ihre Laune. Vielleicht würde sie dann wütend das Bad blockieren und extra lange duschen, und das Kind würde dann nicht rechtzeitig fertig werden und womöglich seinen Schulbus verpassen, was ihr ganz egal zu sein schien. Also weckte Klatt die Schrock lieber, indem er sie rüttelte. Sie wusste, sie konnte sich darauf verlassen. Aber sie reagierte mit einem bösen verhaltenen Knurren unter ihrer Decke hervor. Sie war wütend, nicht auf ihre Arbeit oder den Wecker, sondern auf diesen Trottel, der sie da aus dem Schlaf riss, wie jeden Morgen! Hätte er sie nicht geweckt, wäre sie aus diesem Grunde auf ihn wütend gewesen, das wusste sie genau! So oder so hätte er ihre Wut zu spüren bekommen, ihm blieb keine Alternative, aber das war nicht ihr Problem, denn dazu war er ja schließlich da! Warum hatte er sie denn geheiratet?! Sie konnte sich auf den Trottel verlassen. Der würde sie immer wieder wecken, ganz gleich, ob sie ihn anschrie oder nach ihm schlug oder trat, was auch hin und wieder schon passiert war. Sie knurrte also ein wenig, drohend, nicht allzu laut. Es war eine Warnung an den Trottel. Und der würde sie nun noch ein paar Minuten liegen lassen, ehe er wieder versuchen würde, sie


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