Blut und Scherben. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.
entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. In der Yorckstraße blieb er in einem Stau hängen. Er war kurz davor umzudrehen und ebenfalls Feierabend zu machen. Dann ging es überraschenderweise doch voran. Er brauchte noch zwanzig Minuten bis ins Büro. Ulrich Roose würde am Montag wieder zur Arbeit erscheinen. Bis dahin wollte Marek noch so viel wie möglich von dem abarbeiten, was in den letzten vier Wochen liegengeblieben war.
Während sein Rechner hochfuhr musste er wieder an das Gespräch mit Mia denken. Sie hatte den Job tatsächlich noch bekommen, arbeitete sogar schon seit zwei Wochen hier in Berlin. Genau das war es, was Marek grübeln ließ. Warum hatte sie nichts gesagt, welchen Grund hatte sie, sich vor ihm zu verstecken? Wenn es am Ende alles so schnell gegangen ist, warum hatte sie dann sein Angebot nicht angenommen, in der Übergangszeit bei ihm zu wohnen? Sie konnte doch so rasch noch keine eigene Wohnung gefunden haben. Warum hatte sie ein Hotel vorgezogen? Sie musste ja im Hotel wohnen oder bei einer Freundin. Marek überlegte. Wen kannte Mia in Berlin sonst noch. Marek konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals eine Freundin erwähnt hatte. Dann fiel ihm doch ein Name ein. Susanne Seifert war eine Arbeitskollegin aus Münster, die es nach Berlin gezogen hatte, kurz bevor auch Marek wieder zurückgekehrt war. Susanne Seiferts Mutter lebte mit ihrem zweiten Mann bereits in Berlin, und auch Susanne hatte der Liebe wegen, den Weg in die Hauptstadt gefunden. Marek dachte kurz darüber nach, konzentrierte sich dann aber auf den Computermonitor vor ihm auf dem Schreibtisch.
Der Bildschirmschoner hatte sich eingeschaltet. Marek hatte eigentlich Wichtigeres zu tun, als über Mia zu nachzudenken. Es war doch aus zwischen ihnen. Natürlich war es aus, das hatte er doch längst akzeptiert, aber das war es auch nicht. Es war die Kränkung, die Marek jetzt in seinem Inneren spürte, die Ausgrenzung. Er schüttelte den Kopf, er musste sich von diesen Gedanken befreien. Was wollte er noch von Mia, nichts, gar nichts. Er hatte jetzt ganz andere Gefühle. Er musste kurz an Kerstin denken. Sie hatten seit gestern Abend nicht mehr miteinander gesprochen, obwohl Marek ihr doch von dem Leichenfund berichten wollte. Und von Dr. Pohlmanns heutigem Auftritt. Dann kehrten seine Gedanken doch wieder zu Mia zurück. Er griff zum Telefon, hielt kurz inne und wählte schließlich die Festnetznummer, die er immer noch im Kopf hatte. Das Freizeichen erklang, er ließ es lange klingeln, bis schließlich abgenommen wurde.
»Hallo«, kam es zögerlich.
»Mia? Bist du tatsächlich in Münster«, rutschte es Marek heraus.
»Wie, was meinst du damit?«
Marek fing sich sofort wieder. »Ich dachte nur, du hättest deinen Festnetzanschluss bereits gekündigt, aber da hatte ich die Nummer schon gewählt. Darum war ich überrascht, als du doch abgenommen hast.«
»Gekündigt, nein? Der Nachmieter übernimmt meinen Anschluss. Das Telefon wird nur umgemeldet.« Sie zögerte. »Ich räume hier gerade meine letzten Sachen zusammen.«
»Ganz alleine? Du hättest doch etwas sagen können.«
»So viel ist es nicht mehr und außerdem ...«
»Ja?«, fragte Marek, als Mia nicht weitersprach.
»Nichts«, antwortete sie. »Es sind nur ein paar Kleinigkeiten. Ich war heute auch noch einmal bei meinen alten Kollegen, habe Kuchen vorbeigebracht. Ich war ja von einem auf den anderen Tag verschwunden. Zum Glück gab es beim Stellenwechsel keine Probleme, nur der Alte hat noch einen Spruch abgelassen, aber das war mir dann auch egal.« Sie zögerte erneut.
Marek verstand, dass sie jetzt wissen wollte, warum er anrief. Er dachte nach, änderte dann blitzschnell seinen Plan. Er hatte nicht das Recht, Mia Vorwürfe zu machen. Sie brauchte ihm keine Begründung für ihr Verhalten zu geben, es ging ihn nichts an, nicht mehr und dennoch.
»Ich wollte unser Treffen um einen Tag vorziehen«, hörte er sich sagen. »Am Mittwoch ist mir etwas dazwischengekommen. Wie wäre es bereits am Dienstag, gleicher Ort, gleiche Zeit.«
»Dienstag, nächsten Dienstag.« Mia schien zu überlegen.
»Ja, am Vierten.«
»Eigentlich passt es Dienstag nicht so gut, aber ich bekomme das hin. Mir ist wichtig, dass wir uns treffen.«
»Mir auch, mir ist es auch wichtig. Ich freue mich.«
»Dann also am Dienstag im do Brasil um halb sieben.«
Es klang so, als wenn Mia das Gespräch beenden wollte, und Marek hatte nichts, um es am Leben zu erhalten.
»Bei mir geht es leider erst um acht.«
Mia zögerte. »Gut, dann erst um acht.«
»Schön, wir treffen uns drinnen.« Sie verabschiedeten sich, Marek legte auf.
Er hätte nicht anrufen müssen, es hatte nichts geändert, außer dass er Mia schon am Dienstag sehen würde. Für ein Gespräch, das ihr wichtig war. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken und zog sich die Computertastatur heran. Der Bildschirm erwachte zum Leben. Er konzentrierte sich auf das Bild. Das Mailprogramm hatte sich im Autostart geöffnet und empfing ihn mit den neusten Nachrichten. Die obersten Mails waren von Ulrich Rooses Account an Marek weitergeleitet worden. Es war die Arbeit, die Marek heute noch erledigen wollte. Dann stach ihm aber ein Name ins Auge. Er öffnete die Nachricht, überflog sie und griff sofort wieder zum Telefon.
»Hi!«, meldete sich Thomas. Seine Stimme klang müde. Dann raffte er sich aber auf, noch bevor Marek etwas sagen konnte. »Weißt du, dass Tremmel ein Arschloch ist.«
»Wieso, warst du ihm zu vorlaut? Deine Frage war doch berechtigt.«
»Das mag sein, aber nur Tremmel darf die wichtigen Fragen stellen, es sei denn er fordert einen direkt dazu auf. Patrick hat er aufgefordert, mich aber nicht. Wärt ihr nicht schon dagewesen, dann hätte er mich noch vor der Sitzung rausgeschmissen. Jetzt habe ich es aber quasi schriftlich. Es ist definitiv nicht mein Fall.«
»Weil du andere Fälle hast?« Es war mehr eine Frage als eine Feststellung.
»Ja, aber ...« Thomas ließ es so stehen. »Der Fall ist schon interessant und ich glaube, wenn die Ermittlungen erst so richtig losgehen, kommt Tremmel auch nicht an mir vorbei. Das wäre sonst Ressourcenverschwendung. Patrick hat mich ja auch schon gebeten, mit ihm zusammen das Umfeld unseres Opfers weiter abzuklopfen.«
»Dann wird es aber mal Zeit, dass die Maschinerie losläuft, aber das ist gar nicht der Grund, warum ich anrufe. Hast Du Jürgens Mail auch schon gelesen?«
»Was, Jürgen hat sich gemeldet?«, rief Thomas. »Ich habe Feierabend gemacht, bin gleich los, nachdem Tremmel mir den Einlauf gegeben hat. Und, hat mein Leid bald ein Ende?«
»Sei lieber nicht so euphorisch«, meinte Marek. »Jürgen scheint es in Kunduz ganz gut zu gefallen. Wenn wir Pech haben, verlängert er ein zweites Mal und bleibt bis Ende des Jahres oder noch länger in Afghanistan.«
»Sag nicht, dass er das geschrieben hat?«
»Nein, natürlich nicht. Er schreibt aber wieder, dass er noch nie so dankbar aufgenommen wurde, und, und, und. Diesmal klingt es noch euphorischer. Ich glaube Jürgen hat keine Lust mehr auf uns und seinen Job im Präsidium. Du kannst es ja selbst mal lesen.«
»Ja schon, aber wenn ich das so höre, habe ich auch bald keine Lust mehr. Mich kotzt das alles an ...«
»Aber du kannst Jürgen nicht unbedingt die Schuld daran geben«, sagte Marek.
»Das habe ich ja auch gar nicht gesagt. Ich bin eben gerade etwas angepisst. Und was schreibt er noch?«
»Er plant Heimaturlaub.«
»Na klasse, wann denn?«, rief Thomas.
»Genau kann er das noch nicht sagen. Er schätzt im September oder Oktober, eher Oktober.«
»Und wie lange?«
»Höchstens zwei Wochen. Er hat ein paar private Dinge zu klären, will sich dann aber auch Zeit für uns nehmen«, erklärte Marek.
»Da machen wir eine Sause, das werde ich organisieren.« Thomas lachte. »Und dann hetze ich ihn noch auf Tremmel, wenn