Menschen, Göttern gleich. H. G. WellsЧитать онлайн книгу.
und zierlicher als irgendein irdisches Automobil und war rätselhafterweise fähig, auf den beiden Rädern aufrecht stehenzubleiben. Ein schallendes Gelächter von der Straße her lenkte Mr. Barnstaples Aufmerksamkeit auf eine Gruppe dieser Utopen, die anscheinend etwas außerordentlich Komisches am Motor der Limousine entdeckt hatten. Die Mehrzahl dieser Leute war ebenso kärglich bekleidet und wunderschön gebaut wie die beiden toten Forscher, doch hatten einige große Strohhüte auf, und eine Frau, die dreißig oder mehr Jahre alt zu sein schien, trug ein weißes Kleid, das von einer grellroten Borte eingefaßt war. Sie sprach eben mit Mr. Burleigh.
Obwohl sie an die zwanzig Meter entfernt war, war ihre Stimme für Mr. Barnstaple deutlich vernehmbar.
»Wir wissen bis jetzt noch nicht einmal, was für ein Zusammenhang zwischen eurer Ankunft in unserer Welt und der Explosion bestehen könnte oder ob überhaupt irgendein Zusammenhang besteht. Wir müssen diese beiden Ereignisse erst untersuchen. Es wird das Vernünftigste sein, glauben wir, euch und eure ganze Habe nach einem passenden, nicht sehr weit von hier gelegenen Ort zu einer Besprechung zu bringen. Wir sorgen für Maschinen, die euch dorthin befördern sollen. Dann werdet ihr vielleicht etwas essen. Ich weiß nicht, ob ihr gewöhnt seid, zu essen?«
»Eine Erfrischung«, sagte Mr. Burleigh, dem dieser Gedanke gefiel, »eine kleine Erfrischung wird sicherlich willkommen sein. Wären wir nicht so Hals über Kopf aus unserer Welt in Ihre geraten, so hätten wir um diese Zeit gefrühstückt – und in bester Gesellschaft gefrühstückt.«
›Wunder und Lunch‹, dachte Mr. Barnstaple. Der Mensch ist ein Lebewesen, das essen muß, Wunder hin, Wunder her. Mr. Barnstaple merkte, daß er in der Tat schon Hunger verspürte und daß die Luft, die er einatmete, scharf und appetitanregend war.
Die Utopin schien von einer Idee, die ihr völlig neu war, erstaunt zu sein. »Eßt ihr mehrmals am Tage? Was für Sachen eßt ihr denn?«
»Oh, Vegetarianer sind wir nicht, das ist sicher!« rief Mr. Mush heftig protestierend und ließ sein Glas aus der Augenhöhle fallen.
Sie waren hungrig. Man sah es ihren Gesichtern an.
»Wir sind alle gewöhnt, mehrmals am Tage zu essen«, sagte Mr. Burleigh. »Es wird vielleicht gut sein, wenn ich Ihnen eine kurze Übersicht über unsere Ernährungsweise gebe. Vielleicht gibt es Unterschiede. Wir beginnen in der Regel mit einer einfachen Tasse Tee und einer ganz dünnen Butterbrotschnitte, die uns ans Bett gebracht werden. Dann kommt Frühstück …« Er kam schließlich zu einer meisterhaften Zusammenfassung seiner gastronomischen Tageseinteilung und schilderte klar und verlockend die Einzelheiten eines englischen Frühstücks: Eier, die viereinhalb Minuten gekocht werden müssen, weder länger noch kürzer, Lunch mit einem leichten Wein, Tee, der mehr eine gesellige Angelegenheit als eine ernste Mahlzeit ist, Dinner, mit allen Einzelheiten, und das gelegentlich eingenommene Souper. Es war eine jener klaren Darstellungen, wie sie das Unterhaus erfreut hätten, fließend, leicht, in heiterem Ton, aber dennoch mit einem Zug von Ernst. Die Utopin betrachtete ihn mit wachsendem Interesse. »Eßt ihr alle in dieser Art?« fragte sie.
Mr. Burleigh ließ seine Blicke über seine Gefährten wandern. »Ich weiß nicht, ob Mr. … Mr. …?«
»Barnstaple – jawohl, ich esse in ganz gleicher Art.«
Aus irgendeinem Grunde lächelte ihm die Utopenfrau zu.
Sie hatte sehr hübsche braune Augen, und obwohl er sie gern lächeln sah, wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie ihm nicht in solcher Weise zugelächelt hätte, wie sie es tat.
»Und schlaft ihr?« fragte sie.
»Sechs bis zehn Stunden, je nach den Umständen«, sagte Mr. Burleigh.
»Und betreibt ihr Liebe?«
Diese Frage versetzte unsere Erdlinge in Verlegenheit und schockierte sie gewissermaßen. Was meinte sie damit? Für einen Augenblick wußte niemand eine Antwort. Seltsame Möglichkeiten jagten in wilder Hast durch Mr. Barnstaples Hirn.
Dann sprang Mr. Burleigh mit seiner feinen Klugheit und der Geistesgegenwart eines modernen Staatsmanns in die Bresche.
»Nicht gewohnheitsmäßig, kann ich Ihnen versichern«, sagte er, »nicht gewohnheitsmäßig.«
Die Frau mit dem rotgeränderten Kleid schien einen kurzen Augenblick zu überlegen. Dann lächelte sie schwach.
»Wir müssen euch irgendwohin bringen, wo wir über alle diese Dinge sprechen können«, sagte sie. »Wahrhaftig, ihr kommt aus einer anderen, seltsamen Welt. Unsere Gelehrten müssen mit euch zusammenkommen.«
10
Um halb elf am gleichen Morgen war Mr. Barnstaple mit seinem Auto die Hauptstraße durch Slough entlanggefahren, und jetzt um halb zwei flog er durch Wunderland und hatte seine eigene Welt schon halb vergessen.
»Herrlich«, wiederholte er immerfort, »herrlich! Ich wußte ja, daß ich angenehme Ferien haben würde, aber dies, dies …!«
Er war außerordentlich glücklich, erfüllt von dem klaren wolkenlosen Glück eines herrlichen Traums. Niemals hatte er früher die Freuden eines Entdeckers von Neuland gekostet, und nie zuvor hatte er gehofft, diese Freuden je kennenzulernen.
Erst vor einigen Wochen hatte er einen Artikel für den Liberal geschrieben, worin er das ›Ende des Zeitalters der Entdeckungen‹ beklagte, einen Artikel, so deprimierend und völlig sinnlos, daß er Mr. Peeve ganz besonders gefallen hatte. Die Erinnerung an diese Tat weckte nun bei Mr. Barnstaple leichte Gewissensbisse.
Das Häuflein Erdlinge war auf vier kleine Flugzeuge verteilt worden, und als Mr. Barnstaple mit seinem Gefährten, Pater Amerton, in die Luft aufstieg, blickte er zurück und sah, wie die Autos und das Gepäck mit erstaunlicher Leichtigkeit auf zwei leichtgebaute Loren verladen wurden. Jede Lore streckte ein Paar glitzernde Arme aus und hob ihr Auto hoch wie eine Amme ein Baby. Nach zeitgemäßen irdischen Sicherheitsbegriffen flog Mr. Barnstaples Flugzeug sehr niedrig. Es gab Augenblicke, da er eher zwischen den Bäumen als über ihnen dahinflog, und wenn dies auch zuerst etwas beunruhigend war, so gestattete es doch, die Landschaft genau zu betrachten. Im ersten Teil der Reise sah man gartenähnliches Weideland mit grasendem cremefarbenem Vieh und Flecken prächtig gefärbter Vegetation, deren Art Mr. Barnstaple nicht kannte. Durch diese Kulturen zogen sich schmale Wegspuren, die Fuß- oder Radspuren sein konnten. Hier und dort verlief eine von Blumen gesäumte und von Obstbäumen beschattete Straße.
Es gab wenig Häuser und gar keine Städte oder Dörfer. Die Größe der Häuser wechselte sehr stark, von kleinen einzelstehenden Bauten, die Mr. Barnstaple für vornehme Sommer-Villen oder kleine Tempel hielt, bis zu Gruppen von Dächern und Türmchen, die ihn an ländliche Herrensitze erinnerten oder den Eindruck von ausgedehnten landwirtschaftlichen oder Meierei-Anlagen machten. Hier und da arbeiteten Leute auf den Feldern oder bewegten sich hin und her zu Fuß oder auf Maschinen; aber der Gesamteindruck war der eines sehr dünn besiedelten Landes.
Augenscheinlich waren sie im Begriffe, die Kette der Schneeberge zu überqueren, die so plötzlich das von weitem sichtbare Windsor Castle aus dem Landschaftsbild ausgelöscht hatten.
Als sie sich den Bergen näherten, traten anstelle des Grüns der Weideplätze breite Streifen goldenen Getreidelandes, und dann wurden die Pflanzungen abwechslungsreicher. Barnstaple bemerkte unverkennbare Weingärten auf sonnigen Hängen, und die Zahl der Arbeiter, die er sah, sowie der Wohnstätten vervielfältigte sich. Das kleine Flugzeuggeschwader flog ein breites Tal aufwärts, einem Paß zu, so daß Mr. Barnstaple die Gebirgslandschaft genau betrachten konnte. Es kamen Kastanienwälder und zuletzt Nadelholz. Zyklopische Turbinen quer über den Gebirgsströmen und lange niedrige Gebäude mit vielen Fenstern, die anscheinend industriellen Zwecken dienten, waren zu sehen. Eine geschickt gebaute Straße stieg mit kühnen, leichten und schönen Viadukten den Paß hinan. Im Hochland, dachte er, gibt es mehr Leute als in der Ebene unten, wenn auch immer noch bedeutend weniger, als er in irgendeinem mit diesem vergleichbaren Landstrich auf Erden je gesehen hatte.
Es kamen noch zehn Minuten felsiger Einöde mit den Schneefeldern eines großen Gletschers auf der einen Seite, bevor