Weihnacht von Karl May. Karl MayЧитать онлайн книгу.
»Geht mich eigentlich nichts an, ganz und gar nichts; ist nur Ihre Privatsache, wenn Sie sich
mit Blamagen herumriskieren. Warum auch nicht? Sie sprechen ja stundenlang in
Knüppelversen, und Ihr Deutsch – – hm! Aber Sie hätten es mir doch wenigstens vorher zur
Durchsicht geben können!«
»Das Gedicht?« fragte ich.
»Natürlich! Ich hätte die Fehler angestrichen, die noch drinstecken und von dem Redakteur
gar nicht bemerkt worden sind. So ein Mensch weiß ja gar nicht, was zu einem guten Gedicht
gehört; woher sollte er es auch wissen?! Kuh – Muskate – –!«
»Es ist also zurückgeschickt worden?«
»Ja, im Probedruck, so was man Korrektur oder Revision nennt. Dabei ein Brief, nicht an Sie,
sondern an mich. Sie bekommen ihn natürlich nicht zu lesen – – fällt mir gar nicht ein! Ich
werde antworten, daß zwar Ihr Name, aber sonst weiter gar nichts unter das Gedicht gesetzt
werden darf; Sie verfallen sonst dem Tintenteufel, der der schlimmste von allen Teufeln ist.
Haben mehr zu thun, als Gedichte zu machen! Junges Bürschchen!«
Ich holte tief, tief Atem. Also meine Zweiunddreißig waren angenommen worden! Dritter
Preis zehn Thaler – – –! Mir wollte es wieder vor den Augen nebeln! Da fuhr er fort:
»Was ich sagen wollte: Werde Ihnen die Nachhilfsstunden von jetzt an bar bezahlen, zweimal
fünf, also zehn Groschen. Den Sonnabendstisch behalten Sie trotzdem. Werde Sie wegen
Ihrer Kühnheit und dem Gedichte später noch extra vornehmen; habe jetzt keine Zeit; muß zu
Tische gehen. Hier ist das Geld. Nun gehen Sie!«
Er gab mir ein Couvert in die Hand. Ich bedankte mich mit vor Aufregung heiserer Stimme
und schoß zur Thür hinaus, nachdem ich eine ganz besonders tiefe Verbeugung gemacht
hatte, der ich doch vorhin fest entschlossen gewesen war, keine mehr zu machen.
Wie ich die Treppe hinunter und dann in meine »Bude« gekommen bin, das weiß ich selbst
heut noch nicht. Ich öffnete das Couvert. Was war darin? Ein kurzes Schreiben der Redaktion
– – drei Zehnthalernoten! Die schreckliche, große, blaue Kröte hatte, wie jede Kröte im
Märchen, Geld für mich bedeutet – – nicht den dritten, sondern den ersten Preis.
Was ich that, als ich wieder ruhig geworden war? Die Antwort ist nicht nötig! Ich habe weder
in guten noch in schlimmen Lagen jemals vergessen, daß das Gebet eine heilige Pflicht ist
und Erleichterung bringt.
Und wie es – wenigstens dem Sprichworte nach – mit dem Unglücke ist, so ist's auch mit dem
Glücke; es kommt niemals allein. Als ich am Nachmittag zum Unterricht bei meinem alten
Kantor erschien, zeigte er sich außerordentlich aufgeräumt. Er war zwar stets ein lieber, alter,
munterer Herr, heut aber zeigte er sich besonders heiter und gesprächig und ließ einige
Andeutungen über »gute Arbeit« und »Buchhändlergeld« fallen, so daß ich mir im stillen
sagte, daß er mit dem »Alten« über meinen Glücksfall gesprochen haben müsse. Als ich nach
der Stunde, wie ich gewöhnlich that, denn ich borgte nie, den Thaler auf die gewohnte Stelle
legte, sagte er:
»Ist nicht nötig, lieber May! Sie können Ihren sauer verdienten Thaler behalten.«
»Dieser hier ist nicht sauer verdient, Herr Kantor.«
»Nicht? Wieso? Vielleicht ein Geschenk?«
»Nein, kein Geschenk. Er ist verdient, aber nicht sauer. Ich habe dreißig Stück bekommen;
das wissen Sie doch!«
Er sah mich erstaunt an und fragte:
»Dreißig Stück, dreißig Thaler! Sie Krösus, Sie! Und ich soll es wissen? Keinen Laut, keine
Note, keine halbe, keine Sechzehntelnote habe ich davon gehört!«
»Aber Sie haben doch vorhin davon gesprochen!«
»Ich? Nicht daß ich wüßte!«
»Sie sprachen von Buchhändlergeld!«
»Ja, das habe ich freilich gethan; aber das ist etwas, wovon Sie noch gar nichts wissen. Was
hat es denn für eine Bewandtnis mit Ihren dreißig Thalern? Oder dürfen Sie es nicht
erzählen?«
»Natürlich darf ich es! Und grad Sie, Herr Kantor, sind der, dem ich es am liebsten erzähle!«
Er lief, indem ich es that, ganz aufgeregt in seinem kleinen Zimmer hin und her und rief, als
ich zu Ende war:
»Dreißig Thaler, dreißig schwere Thaler für ein Gedicht, für – – wieviel Strophen hat es?«
»Zweiunddreißig vierzeilige.«
»Auch noch bloß vierzeilige! Das macht achtundzwanzig Groschen pro Strophe und sieben
Groschen für jede Zeile, für jeden Vers! Dazu die Ehre, den ersten Preis errungen zu haben!
Und ich habe Wunder gedacht, was ich da – – – na warten Sie noch! Haben Sie Ihr Gedicht
im Kopfe?«
»Ja.«
»Her damit! Ich will auch einmal ein Preisgedicht für dreißig Thaler hören!«
Während er immer noch lebhaft hin und her wanderte, stellte ich mich in die einzige freie
Ecke und deklamierte:
»Ich verkünde große Freude,
Die Euch widerfahren ist,
Denn geboren wurde heute
Euer Heiland Jesus Christ!
Jubelnd tönt es durch die Sphären,
Sonnen künden's jedem Stern;
Weihrauch duftet auf Altären,
Beter knieen nah und fern.
Horch, da schallt vom nahen Dome
Feierlich der Glocken Klang,
Und im majestätschen Strome
Schwingt sich auf der Chorgesang:
›Herr, nun lässest du in Frieden
Deinen Diener zu dir sehn,
Denn sein Auge hat hienieden
Deinen Heiland noch gesehn!‹ – –«
»Halt, halt!« unterbrach er mich da eifrig. »Das Gedicht scheint ja gut, ganz gut zu sein, aber
zweiunddreißig Strophen, das ist mir zu lang, viel zu lang. Ich muß Ihnen etwas sagen und
kann nicht damit warten, bis Sie zu Ende sind. Da, sehen Sie sich einmal das hier an! Kennen
Sie das?«
Er hielt mir ein gedrucktes Notenheft hin und sah mir dabei mit dem Ausdrucke größter
Spannung in das Gesicht. Es war die Partitur einer Motette, in welcher die separat gedruckten
Stimmen lagen. Ich las den Anfang des Textes: »Siehe, ich verkündige Euch große Freude – –
«
»Nicht hier lesen, nicht hier, sondern den Titel, den Titel!« drängte er ungeduldig.
Ich that es und erschrak,