Gefängnistagebuch 1924. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
gibt dies immer ein falsches Bild. Natürlich denke ich nicht daran zu glauben, daß die Wanzen Halluzination sind, aber ich glaube vielleicht sehr daran, daß irgendein krankhaftes Gefühl diese Wanzenplage zur Deckung für seine privaten Verheerungen nimmt. Das ist das Lange und das Kurze von der Sache.
Trotz der unruhigen Nacht erwachte ich morgens ziemlich frisch. Das Reinigen der Zelle ging schon viel leichter. Zu dem Viertelliter Roggenkaffee aß ich heute zum ersten Male das halbe Pfund trockenen Brots, das es in einem Stück – gut, daß ich mir meine Zähne habe machen lassen! – morgens und abends gibt. Ich tunkte es in den Kaffee, werde es aber nicht wieder tun, weil es erstens nicht besonders schmeckt, dann aber das Reinigen des Bechers mir auch zu viel Mühe macht.
Nach dem Kaffee hatte ich noch eine ganze Weile Zeit, Bloem zu lesen, der nun glücklich unter Schrapnells seinen Herrgott (bezeichnenderweise erhebt sich Seine Stimme zu einem Spruch des Alten Testaments) findet. Ich werde heute wohl noch mit ihm fertig und muß ihn dann bis Sonntag, ehe es ein neues Buch gibt, aus Mangel an Stoff noch mal lesen. Ich werde Kalauer in ihm suchen gehen.
Ich war sehr erstaunt, als ich beim Antreten nicht meine Arbeitskollegen vom Sonnabend, sondern lauter neue Gesichter, hauptsächlich Untersuchungsgefangene, die durch ihre Privatkleidung kenntlich sind, vorfand. Aber noch erstaunter war ich, als es nicht auf den Holzhof, sondern in den Spazierhof ging, wo wir fünfzehn Mann im Abstand von ca. fünf Metern einen Spaziergang begannen. Es war der richtige Ringelreihen aus der Reading-Ballade.
Aber ich war glücklich. Ich hatte mich umsonst vor der Holzarbeit geängstet. Der Vorsteher hatte irgendeine Innenarbeit für mich gefunden und läßt mich fürsorglich vorher eine Stunde Spazierengehen. Freilich wurde mir diese Stunde in meinen Pantoffeln bei geschwollenen Füßen schwer genug. Aber dann winkte die Innenarbeit!
Als die andern in ihre Zellen gingen, erhielt ich den Befehl, gleich unten zu warten. Was würde ich für eine Arbeit bekommen?!
Ein wenig wüst war mir doch im Innern zumute, als ich meine Arbeitsgefährten von Sonnabend herunterkommen sah: Durch einen Irrtum hatte ich vor meinen neun Stunden Holzarbeit eine Stunde Spazierengehen müssen.
Aber ich erholte mich schnell. Und dieser Tag ging viel besser als der Sonnabend, die Füße schmerzen nicht annähernd so, trotzdem ich den ganzen Tag habe sägen müssen. Den Armen wird es überhaupt viel leichter. Leider scheine ich mich noch immer sehr untalentiert anzustellen, mein Partner war wenigstens nicht sehr zufrieden mit mir. Ich faßte die Säge zu fest an, ich drückte zu sehr usw. Dabei war aber er wie alle überaus freundlich zu mir, kein brummiges oder mißgünstiges Wort, trotzdem ich entschieden von den Aufsehern stets die leichteste Arbeit zugeteilt erhalte.
Mittags Erbsen mit Kartoffeln, zum ersten Male schaffte ich meine volle Portion. Freilich ist das Essen nicht übermäßig wohlschmeckend, nicht der spezifische angenehme Erbsengeschmack schmeckte hervor, sondern etwas Fades. Ich erinnere mich, einmal gelesen zu haben, daß man in Gefängnissen zur Dämpfung des Geschlechtstriebs den Speisen Soda zusetzt. Ob es das ist?
Nachmittags von ein bis halb sechs Uhr Holzhacken, mich schnell gewaschen, dann zum Abendessen Haferschleim und trocken Brot. Vollständig erledigt. Wieder das ganze Bett ausgeräumt und gegen Wanzen gepinselt. Geschrieben. Und nun höchste Zeit (halb neun) ins Bett zu gehen. Bitte, lieber Gott, keine Wanzen!
Dienstag, 24. Juni 1924
Heute war ein guter Tag. Obgleich ich nicht nur neun Stunden, sondern sogar neuneinhalb Stunden auf dem Holzhof stramm gearbeitet habe und obwohl die letzte Nacht immer noch gar nicht berühmt war, habe ich die Anstrengung gut ausgehalten. In den Armen habe ich überhaupt keine Ermüdungserscheinungen, nur in den Füßen noch immer von dem langen Stehen in den ungewohnten Lederpantoffeln ziemlich starke Schmerzen, die jedoch lange nicht so stark wie am vergangenen Sonnabend sind. Ich sehe also, daß ich – und wenn ich diese Woche erst ganz überstanden habe, werde ich mich überhaupt nicht mehr darum sorgen –, daß ich also körperlich das von mir Geforderte leisten kann. Damit ist mir ein großer Stein vom Herzen.
Anders steht es natürlich mit der Geschicklichkeitsfrage. Es scheint wirklich so, daß ich etwas ganz Außergewöhnliches an Unanstelligkeit bin. Am Vormittag mußte ich mich schrecklich mit der Säge abquälen, die immer klemmte und sehr schwer ging, und ich begann schon ganz ernstlich meinem Partner, einem Alten mit weißen Haaren, zu grollen, ob er nicht vielleicht doch etwa gegebenenfalls daran schuld wäre. Er ermahnte mich zwar von Zeit zu Zeit, nicht so auf die Säge zu drücken und sie leicht anzufassen, aber ich hielt sie doch so leicht: Es kam mir vor: mit zwei Fingern. Am Nachmittag erbarmten sich dann zwei andere, die wunderbar flott und spielend sägten, des Alten, der schweißender Braue mit beiden Armen gegen mich anzog: Siehe da, er kam mit ihnen wunderbar zurecht, ich aber mit ihnen gar nicht.
Es lag also jedenfalls an mir!
Daß mich dies gar nicht bekümmerte, will ich nicht behaupten, ich möchte, daß alles glatt und ohne Schwierigkeiten geht, und dieses Gestoppel wirkt doch recht störend. Gottlob fand der Alte dann eine ganz scharfe Säge, und mit ihr ging es den Rest des Abends vorzüglich. Zwar tat sich, statt des früheren Klemmens, jetzt eine Neigung bei mir auf, mit Hopsern, einer Art Stottern über Holz, zu sägen, aber dies war stets rasch zu unterdrücken.
Was mir bei alledem Freude macht (und was mich überrascht hat), ist, daß mir keiner meiner Gefährten, trotzdem diese doch die Last von meiner Ungeschicklichkeit haben, je ein böses oder auch nur ein unfreundliches Wort gesagt hat. Diese Leute verstehen ohne weiteres, daß ich mir alle Mühe gebe und nicht anders kann, sie wiederholen mit einer unendlichen Geduld immer wieder: »Halte die Säge nicht so fest.« Und: »Nicht drücken. Nicht so drücken.«
Sonst habe ich allerdings auch kaum etwas zu sagen über sie. Sie scheinen mir völlig durchschnittlich und überaus gleichgültig. Bei zweien, die am Bock neben mir sägten, konnte ich heute eine sehr spaßhafte Neigung zum Übertreiben der »weltlichen« Erfolge und Kenntnisse feststellen. Der eine, der, wenn er »hier fertig ist«, seinen Doktor in Holland machen möchte, »nur, es nützt ihm ja hier nichts«, bekannte seine Neigung zur Musik. Er hatte in Berlin ein Orchester mit sieben Mann gehört … Der andere, Pole, deutschenfeindlich, künftiger Ausrotter der oberen Zehntausend, bricht in ein Hohngelächter aus: »Wir haben in Stettin im Kino ein Orchester mit vierzig Mann …!« Eine Weile kann ich nichts verstehen. Dann erzählt der Doktor vom Philharmonischen Orchester, vierhundert Mann. Doch der Pole schlägt ihn glatt, er hat ein Orchester mit sechshundert Mann gehört, der Dirigent, Kapellmeister nannte er ihn, hielt in der einen Hand die Uhr, mit der anderen taktierte er nach dieser Uhr, was selbst mir Musikunverständigem reichlich russisch vorkommt.
Später erzählte der Doktor von Sumatra, wo er gewesen sein will, von der Genügsamkeit der Chinesen, von dem Aussehen der Malaien. Der Pole sagte ekstatisch: »Denen müßte man ›Bescheid sagen‹, dann wäre Deutschland rasch kaputt.«
Etwas schauerlich Hübsches an Dummheit.
Diese beiden sind aber die einzigen, die sich unterhalten, wenn der Aufseher gerade etwas ferner ist. Sie sind auch die einzigen, bei denen ich eine Neigung zum Zoten bemerkt habe. Die andern sind sämtlich sehr ruhig, sehr still. Ein Scherzwort, oder jemand lächelt einem plötzlich aus einem Winkel gut zu, das ist alles. Gottlob, daß Schweigen mir gar nicht schwerfällt! Schwer wäre es, wenn ich nicht diese Freude am Abend hätte, schreiben zu können. Es ist beinahe so, als lebte ich tagsüber nur für sie, ich sammele Material, ich sehe dies, ich höre das, aber endlich dann sitze ich endlich doch wieder hier, vor dem weißen Papier, und schreibe. Das Haus kommt langsam zur Ruhe. Draußen hört man noch die Vögel zwitschern, das Licht wird langsam dämmeriger. Einmal schreit noch eine Lokomotive, ein wenig später höre ich den Zug anfahren. All das sickert durch die Milchglasscheiben meiner Zelle, und wie ich die Welt draußen nicht sehen kann, baut sie sich eigenwilliger und leuchtender hier vor mir auf.
Ich habe den ganzen Tag den Blick über den Sägebock fort, ließ es der gleichmäßige Schnitt nur immer dazu kommen, auf einer blühenden Akazie jenseits der Hofmauer gehabt. Ich sah sie besonnt, von einer Wolke verschattet, im Wind geschüttelt, später dann in einem seltsamen klaren gegenstandslosen Abendlicht. Es gab Augenblicke, in denen dieser junge Baum in viele Einzelteile