Gefängnistagebuch 1924. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
tiefer, ich könnte diese Akazie japanisch zeichnen: ein paar schlangenartig gewundene Äste und über sie hin wie waagerechte Augenbrauenstriche das Weiß der Blüten, das helle Gefieder der Blätter, immer doppelt geschichtet. Ich sehe das, ich sehe das.
Es ist, als malte man einen Sternenhimmel oder eine Meer(land)schaft, über der der Mond aufgeht, also Dinge, die zeitlich und körperlich unendlich weit auseinanderliegen, wir sehen sie nur zusammen, und die meisten von uns haben kein Gefühl dafür, daß der Begriff »Sterne« etwas viel Wesenverschiedeneres in einem Wort zusammenfaßt als der Begriff »Mensch«. Aber Japan malt seine Bilder so. Man begreift vor ihnen das Zufällige jeder körperlichen Gruppierung. Ich erinnere mich von einem Bilde, das ich einmal besaß, der schönen Geste eines Japanermädels; einen Baum in seiner Besonderheit wie die Geste eines Mädels malen, da vielleicht liegt es.
Übrigens mußte ich heute zum Schluß noch eine halbe Stunde Holz hacken. Dies wurde eine wilde Angelegenheit, ich geriet in Schweiß, und daß weder ich noch meine Nachbarn zu Schaden kamen, bleibt ein Wunder. Mancher von den andern lachte, niemand wagte aber eine Bemerkung, denn der Oberwachtmeister war keiner guten Stimmung. Ich zitterte ein wenig vor ihm und erwartete einen fürchterlichen Anschnauzer wegen meiner Anstellerei und Ungeschicklichkeit. Denn ich hatte für meine Finger auch Angst vor dem Beil. Schließlich kam er an mich heran. Es muß ein grauenvoller Anblick für das Auge jedes auf körperliche Geschicklichkeit (die gerade Schönheit ist) Wert Legenden gewesen sein. Er nahm mir milde das Beil aus der Hand. »Nein, das können Sie nicht. So müssen Sie das machen. Woher sollen Sie das auch können? Das kann niemand von Ihnen verlangen. Das muß jeder einsehen.«
Gute Worte, goldene Worte, die einem Feigling sehr Wohltaten. Deinetwegen, Oberwachtmeister, gehe ich heute besonders fröhlich zu Bett. Habe ich nicht besonders davor gezittert, angeschnauzt zu werden? Erinnere ich mich nicht aus meinen ruhmreichen neun Tagen Militärzeit, wie ich ob meiner Ungeschicklichkeit abgekanzelt und schikaniert wurde? Hier nimmt jeder die weitestgehende Rücksicht auf mich. Ich habe in den vier Tagen, die ich nun hier bin, noch nicht ein scheltendes oder auch nur ungeduldiges Wort gehört. Alles Ruhe, eine Zuvorkommenheit, die sich’s nicht merken läßt.
Als ich gestern zum Arzte gerufen wurde, hielt mich der Vorsteher auf der Treppe an: »Nun, wie bekommt Ihnen die Arbeit auf dem Holzhofe?«
»Natürlich ein bißchen müde, aber sonst …«
»Aber das ist nur gut, die Müdigkeit. Ich bin ganz überzeugt, nichts wird Ihren Nerven so guttun wie die Holzarbeit. Na, gehen Sie immer rauf, Sie müssen dem Arzt noch vorgestellt werden.«
Meinen Nerven guttun! Aber, lieber Gott, ich bin doch ein Strafgefangener, ein Auswurf, ein Verbrecher, und er spricht von meinen Nerven! Ich bin noch in keinem Sanatorium, in keiner Irrenanstalt so anständig behandelt worden wie hier. Wenn ich meine Arbeit tue, kümmert sich kein Mensch um mich weiter. Ich bin in meiner Zelle, ich kann lesen, schlafen, schreiben, singen, auf und ab gehen: Niemand fragt danach. Und die schöne Ruhe hier, nachts und in der Mittagspause. Das Guckloch an meiner Tür ist in diesen vier Tagen ein einziges Mal benutzt worden, am ersten, man hört nämlich, wenn die Deckscheibe zurückgeschoben wird.
Nein, dieses läßt sich wahrhaftig gut ertragen. Es (oder ich) müßte sich dann sehr ändern.
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