El Sendador I. Lopez Jordan. Karl MayЧитать онлайн книгу.
herbeigeschlichen hatte, sondern in die entgegengesetzte Richtung, in welcher das freie Feld lag.
Ich hätte ihn wohl ergreifen können, hatte aber davon abgesehen, weil es große Anstrengung erfordert hätte, ihn zu transportieren, und ich konnte dem Organista nicht ganz Unrecht geben, nach dessen Versicherung es überhaupt geraten war, den Bravo laufen zu lassen. Da ich nun wußte, daß man es von irgend einer Seite auf mich abgesehen hatte, bedurfte es nur der nötigen Vorsicht, mich vor ähnlichen Überfällen zu bewahren.
Ich hob das Messer auf und ging durch das Gäßchen zurück, natürlich langsam und sorgfältig acht gebend, ob sich vielleicht noch jemand da befinde. Kein Mensch war zu sehen. Dann wendete ich mich nach links, nach der Quinta Tupidos zu, ging aber auf der Mitte der breiten Straße, wo der helle Mondschein mir erlaubte, das Terrain scharf zu überblicken.
An meinem Ziel angelangt, schob ich das Messer in die Tasche. Ich stand an der Türe eines schmalen Vorgartens, hinter welchem die Villa lag. Rechts sah ich den Klingelzug und links ein Messingschild, dessen Inschrift mir sagte, daß ich an der richtigen Stelle sei. Ich klingelte.
»Wer ist da?« fragte darauf eine Stimme vom Hause her.
Ich nannte meinen Namen, worauf eine männliche Dienstperson kam und aufschloß. Der Mann führte mich, ohne ein Wort zu sagen, in das Haus und öffnete dort eine Türe, hinter welcher sich ein kleines, behaglich eingerichtetes Zimmer befand. Tupido saß, einen Cigarro rauchend, auf dem Sofa. Er erhob sich, bot mir die Hand und sagte in sehr verbindlichem Tone:
»Endlich! Sie kommen fast eine Viertelstunde später als ich Sie erwartete, Sennor. Da ich mich auf Sie freute, mußte ich diesen Zeitverlust natürlich sehr bedauern!«
»Und ich habe um Verzeihung zu bitten. Ich hatte eine kleine Abhaltung, welche von mir nicht verschuldet war. Hoffentlich erdrücken Sie mich nicht unter Ihrem Zorne!«
»O nein,« lachte er. »Ich kann Ihnen leicht verzeihen, da die Sennora glücklicher Weise ihre Vorbereitungen zum Souper noch nicht beendet hat. Sie werden sich also noch einige Minuten mit mir begnügen müssen. Nehmen Sie Platz und stecken Sie sich einen Cigarro an!«
Er zog mich neben sich auf das Sofa und schob mir das Kästchen und Feuerzeug hin. Natürlich machte ich von beiden sofort Gebrauch. Er war die Liebenswürdigkeit selbst, ganz anders als am Nachmittage. Als meine Zigarre brannte, legte er mir vertraulich die Hand auf den Arm und sagte:
»Ich will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich es meinem Kompagnon herzlich Dank weiß, Sie an mich adressiert zu haben. Zunächst besitze ich im allgemeinen eine große persönliche Vorliebe für alles, was deutsch heißt, und sodann im besonderen sind Sie mir als ein Herr bezeichnet worden, von dessen bedeutenden Kenntnissen und reichen Erfahrungen ich profitieren könne. Ich habe sie also doppelt willkommen zu heißen, Sennor.«
Das war sehr stark aufgetragen. Dieser Mann mußte mich wirklich für höchst befangen halten, um annehmen zu können, daß er durch solche Überschwenglichkeiten seinen Zweck bei mir erreichen werde. Ich antwortete also in gemessensten Tone:
»Es tut mir wirklich leid, daß der Inhalt des betreffenden Briefes Sie veranlaßt hat, mich falsch zu beurteilen. Ich reise, um zu lernen, nicht aber um zu belehren. Für das letztere mangeln mir alle dazu nötigen Eigenschaften. Wer mir ein so unverdientes Lob erteilt, erwirbt sich nicht etwa ein Verdienst um mich, sondern er bringt mich ganz im Gegenteile in Verlegenheiten, denen ich nicht gewachsen bin.«
»Diese Sprache habe ich erwartet. Ich weiß sehr gut, durch welche rühmenswerte Bescheidenheit der Deutsche so vorteilhaft vor andern sich auszuzeichnen pflegt. Lassen wir also lieber diesen Gegenstand fallen, und sprechen wir von den Absichten, welche Sie bei ihrer jetzigen Reise verfolgen. Ich vermute, daß dieselben entweder merkantilischer oder naturwissenschaftlicher Natur sind.«
»Keins von beiden, Sennor. Ich reise um des Reisens willen. Ich bin weder in den Wissenschaften, noch im Handel unterrichtet und erfahren. Der Grund, warum ich reise, ist ganz derjenige eines Spaziergängers, welcher es liebt, sein Auge an abwechselnden Bildern zu ergötzen. Ich bitte also, der falschen Ansicht, welche Sie von mir haben, eine darauf bezügliche Berichtigung zu erteilen!«
Nachdem er mich mit so ausgezeichneter Freundlichkeit empfangen hatte, mußte ihn meine Art und Weise abkühlen. Sein Ton klang bedeutend zurückhaltender, als er mich fragte:
»Aber wie ist es denn möglich, so weite Reisen ohne einen wirklichen Zweck zu unternehmen? Wahrhaftig, die Deutschen sind ein höchst ideales Volk! Sie sagen, daß Sie spazieren gehen. Und dazu wählen Sie sich eine Gegend, welche alles besitzt, nur nicht den Anreiz zum Promenieren. Haben Sie denn wirklich eine Ahnung von den Gefahren und Entbehrungen, welchen Sie während einer Reise nach dem Westen unterworfen sein werden?«
»Ich habe mich darüber unterrichtet, natürlich nur so weit, als es aus der Entfernung möglich war, und ich sehe keinen Grund, den einmal gefaßten Gedanken aufzugeben.«
»So bewundere ich Ihre Unternehmungslust!«
»Sie wollen sagen, Sie belächeln die Unerfahrenheit, mit welcher ich etwas tue, was jeder andere an meiner Stelle unterlassen würde. Wenn der Unerfahrene nichts unternimmt, gelangt er eben nicht zur Erfahrung.«
Er schüttelte den Kopf. Er schien einzusehen, daß ich noch dümmer sei, als er bisher geglaubt hatte. Es klang fast wie Mitleid, als er mich fragte:
»Und Sie besitzen wirklich die Kühnheit, bis nach Santiago oder gar Tucuman gehen zu wollen? Wissen Sie, wie es bei uns aussieht? Gegenwärtig gibt es zahlreiche politische Parteien, welche sich gegenseitig bekämpfen, und zwar mit allen Mitteln und ohne zu fragen, ob dieselben verwerflich sind oder nicht. Gerade diejenigen Gegenden, durch welche Sie reisen wollen, sind durch diese Wirren unsicher gemacht. Sie wagen viel, vielleicht gar Ihr Leben, wenn Sie darauf bestehen, diesen Vorsatz auszuführen. Ich rate Ihnen ganz entschieden ab.«
Das sagte er natürlich nur zum Scheine. Ich antwortete ihm:
»Ich pflege einen einmal gefaßten und auch reiflich erwogenen Entschluß nicht wieder aufzugeben. Das ist auch hier der Fall.«
»Nun, so habe ich meine Schuldigkeit getan und bin auch noch bereit, Ihnen die Reise zu erleichtern, so viel das in meinen Kräften steht. Natürlich vorausgesetzt, daß Ihnen das angenehm ist.«
»Ich werde Ihren Beistand mit größter Dankbarkeit akzeptieren, Sennor.«
»Schön. So darf ich Ihnen vielleicht meinen Rat zur Verfügung stellen. Die Reise, welche Sie vorhaben, macht man gewöhnlich von Buenos Ayres aus, wohin Sie sich also von hier aus zu begeben hätten. Leider würden Sie da durch Gegenden kommen, welche durch zügellos gewordene militärische Banden unsicher gemacht werden. Aus diesem Grunde schlage ich Ihnen eine andere Route vor, welche zwar ungewöhnlicher ist, Ihnen dafür aber die möglichste persönliche Sicherheit bietet. Gehen Sie quer durch Uruguay und die Provinz Entre Rios bis nach Parana oder Santa Fe. Von da aus haben Sie die beste Gelegenheit, über Cordoba nach Santiago und Tucuman zu kommen.«
»Danke, Sennor! Ich bin bereits jetzt der Ansicht, daß es für mich vorteilhaft sein wird, Ihrem Rate zu folgen.«
»Gewiß ist es das beste, was Sie tun können. In diesem Fall wäre ich im Stande, Ihnen die Reise bedeutend zu erleichtern. Ich könnte Sie mit einem Empfehlungsschreiben an einen sehr einflußreichen, hohen Offizier versehen, in dessen Macht es liegt, Ihnen Ihren Weg zu ebnen. Es ist Lopez Jordan, der Stiefsohn des früheren Präsidenten Urquiza. Haben Sie von ihm gehört?«
»Ich habe erfahren, daß er allerdings ganz bedeutende Verbindungen besitze.«
»Er besitzt weit mehr als das. Es ist aller Grund vorhanden, anzunehmen, daß er vor einer Karriere stehe, welche ihn zur höchsten Stelle der öffentlichen Gewalt bringen wird. Ich kann mich einer näheren Bekanntschaft, ja fast Freundschaft mit ihm rühmen, und hege die Überzeugung, daß meine Empfehlung an diesen bedeutenden Mann für Sie von sehr großem Vorteile sein würde. Da Sie mir empfohlen sind, ist es meine Pflicht, für Sie zu sorgen. An eine Gegenleistung hat man dabei natürlich nicht zu denken. Sie nehmen also meinen Vorschlag bezüglich dieser Empfehlung an?«