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Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard KiplingЧитать онлайн книгу.

Rudyard Kipling - Gesammelte Werke - Rudyard Kipling


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er sich, dem Gegner in das Gesicht zu sehen; dann aber schoß er blitzschnell vorwärts – er biß und riß und schnurrte und knurrte – sein volles Gewicht von siebenhundert Pfund lag auf dem Gegner und suchte ihn zu erdrücken ... und Scharfzahn hatte in solchem Falle nicht die Absicht, sich möglichst leicht zu machen.

      Dennoch aber verfolgte er niemals einen Seehund, der um Gnade bat oder atemlos davonrannte, denn das war gegen das Gesetz der Bucht. Er wollte nur einen geräumigen Heimplatz für seine Frau und Kinder dicht an der Küste haben; und da jeden Frühling vierzig- bis fünfzigtausend Robben mit ganz derselben Absicht herbeikamen und keine einer anderen den Platz ohne heißen Kampf gönnte, so kann man sich leicht vorstellen, daß ihr Bellen, Pfeifen und Brüllen an der Bucht einen wahren Höllenspektakel machte.

      Von der Hutchinsonhöhe, einer kleinen Erhebung am Strande, konnte man fast drei Meilen weit im Umkreis die Robben miteinander kämpfen sehen; und außerdem konnte man in der weißschäumenden Brandung unzählige schwarze Punkte bemerken: das waren neue Ankömmlinge, die sich gleichfalls einen schönen Heimplatz im bitteren Kampfe erwerben wollten. Sie bissen sich und prügelten sich überall: in dem Gischt der Brandung, auf dem weißen Sande und auf den tiefgehöhlten Felsenriffen, denn sie waren gerade so dumm und so dickköpfig, wie die Menschen es sind. Ihre Frauen kamen niemals vor Ende Mai oder dem frühen Juni zur Insel, denn sie hatten keine Lust, sich in Stücke reißen zu lassen. Die Jungen, die erst zwei, drei oder vier Jahre alt waren und noch keinen eigenen Haushalt gegründet hatten, gingen den alten Kämpfern aus dem Wege und watschelten ungefähr eine Viertelmeile in das Land hinein. Hier balgten sie sich spielend umher und nagten jedes grüne Hähnchen ab. Sie wurden Holluschickie, Junggesellen, genannt, und allein in Novastoschna gab es ihrer ungefähr zwei- oder dreihunderttausend.

      Scharfzahn hatte eines Frühlings gerade seinen fünfundvierzigsten Kampf glücklich zu Ende geführt, als plötzlich Matka, sein schlankes, sanftäugiges Weibchen, aus den Wellen auftauchte. Er packte sie am Genick und zog sie, nicht eben behutsam, auf seinen erkämpften Platz. »Spät wie gewöhnlich!« grollte er. »Wo hast du denn gesteckt?«

      Scharfzahn pflegte während seines viermonatigen Aufenthaltes an der Bucht kaum etwas zu essen und befand sich deshalb gewöhnlich in schlechter Stimmung. Matka hatte zwar einen anderen Empfang erwartet, aber sie war klug genug, die Antwort schuldig zu bleiben. Sie blickte umher und sagte mit einschmeichelnder Stimme: »Wie aufmerksam von dir! Du hast unseren alten Platz wiedergewonnen!«

      »Das will ich meinen!« brummte Scharfzahn. »Sieh mich doch nur an!«

      Er blutete aus zwanzig offenen Wunden; eines seiner Augen war fast blind, und am ganzen Körper war er zerkratzt und zerschunden.

      »Ach, ihr schrecklichen Männer!« seufzte Matka, während sie sich mit ihrem Ruderfuß Kühlung zufächelte. »Warum könnt ihr denn nicht vernünftig sein und euch wegen der Plätze friedlich einigen? Du siehst aus, als ob du mit den Haifischen gekämpft hättest!«

      »Seit Mitte Mai habe ich nichts anderes getan als gekämpft. Die Bucht ist ganz schändlich überfüllt in diesem Jahr. Ich habe mindestens hundert Burschen aus der Lukannon-Bucht getroffen, die auf der Platzsuche hierhergekommen sind. Warum können die Leute denn nicht bleiben, wo sie hingehören?«

      »Ich habe oft gedacht, wir würden auf der Otterninsel viel glücklicher leben als hier«, sagte Matka.

      »Bah! nur die glattnasigen Holluschickie versuchen auf der Otterninsel ihr Heil. Wollten wir dorthin gehen, so würde man bald sagen, daß wir uns fürchten. Nein! Man muß wissen, was man sich schuldig ist, meine Liebe.«

      Scharfzahn zog stolz den Kopf zwischen die fetten Schultern und tat, als ob er schliefe, aber er schielte währenddessen mit einem Auge verstohlen umher, ob er nicht irgendwo einen kampflustigen Feind erspähen könne. Die Robben waren nun vollzählig mit ihren Frauen am Strande versammelt, und ihr Geschrei und Bellen war meilenweit in allen Richtungen zu hören, selbst wenn der Sturm mit ihnen um die Wette heulte. Niedrig gerechnet, waren mehr als eine Million Robben an der Küste versammelt – alte Männchen, rundliche Weibchen, zarte Babies und Holluschickies. Unaufhörlich blökten und bellten sie, balgten sich oder spielten miteinander, warfen sich von den Klippen mit mächtigem Sprung in das aufschäumende Wasser, tauchten in Scharen wieder aus den Wellen, bedeckten jeden Fußbreit Boden am Strande und führten zu ganzen Regimentern ihre Gefechte durch im Nebel. Denn auf Novastoschna war es fast immer nebelig; nur selten brach die Sonne durch, und dann erglänzte alles für kurze Zeit von buntesten Farben.

      Inmitten all des Lärmes kam Kotick, Matkas Jüngster, zur Welt. Anfangs war er fast nur Kopf und Schultern, mit hellen, wasserblauen Augen, wie es sich für einen jungen Seehund geziemt. Aber etwas Besonderes war doch an ihm, was seine Mutter veranlaßte, oftmals sein Fell ganz genau zu betrachten.

      »Scharfzahn«, sagte sie schließlich, »unser Jüngstes wird ein weißes Fell bekommen!«

      »Potz Austern und Muscheln!« rief Scharfzahn unwillig. »Dummes Geschwätz! Einen weißen Seehund gab es noch nie, solange die Welt steht.«

      »Nun, dann gibt es ihn eben jetzt«, sagte Matka; und sie summte leise das Lied, das alle Robbenmütter ihren Jungen vorsingen:

      Bleib hübsch auf dem Lande, mein liebes Kind,

      Bis sechs ganze Wochen vergangen sind!

      Sonst zieht dein Kopf dich hinunter

      Und, plumps, gehst du unter! Ja, unter!

      Bleib hübsch auf dem Lande, mein liebes Kind,

      Bis stark dir die Füße gewachsen sind,

      Dann kannst du vom Felsen dich schwingen

      Und, klatsch, in die Wellen springen.

      Lausch hübsch meinen Worten, lausch hübsch meinem Lied,

      Damit dir, mein Herzblatt, kein Unglück geschieht!...

      Schließ sorglos die Äuglein, denn Mütterchen wacht,

      Und träum von dem Meere! Schlaf süß! Gute Nacht!

      Natürlich verstand der Kleine anfangs die Worte nicht. Er krabbelte an seiner Mutter Seite und lernte beizeiten Vater aus dem Wege gehen, wenn dieser mit einer anderen Robbe kämpfte und beide sich brüllend auf der schlüpfrigen Klippe umherwälzten. Matka schwamm regelmäßig in das Meer hinaus, um sich eine tüchtige Mahlzeit Fische zu fangen, aber sie fütterte ihr Jüngstes nur alle zwei Tage ein einziges Mal. Ihr könnt euch denken, wie Kotick dann einhaute und alles mit Haut und Gräten verschluckte.

      Als er ein wenig selbständig geworden war, kroch er an den Sanddünen entlang und traf dort viele Tausende von Babies im gleichen Alter, die miteinander spielten, sich auf dem sauberen Sand schlafen legten und dann wieder zu spielen begannen. Die Eltern hüteten die Brutplätze und ließen die Kleinen ruhig gewähren, die Holluschickie waren viel zu stolz, sich mit den Babies abzugeben, und die Kleinen hatten somit ein Leben voller Freude und Herrlichkeit.

      Wenn Matka von ihrem Jagdzuge auf hoher See zurückkam, eilte sie schnurstracks zum Spielplatz und blökte wie eine Schafmutter, die ihr Lamm herbeiruft. Matka lockte und lockte, bis sie Koticks bellende Antwort hörte, und die konnte sie aus all dem Brüllen und Toben heraus unterscheiden. Dann eilte sie auf dem allerkürzesten Wege zu Kotick und schlug dabei rechts und links mit den Ruderhänden um sich, so daß die spielenden Kleinen heulend und grunzend zur Seite flogen. Da nun täglich ein paar hundert Mütter auf der Suche nach ihren Kindern waren, kann man sich denken, daß es auf dem Spielplatz manchmal recht munter zuging. »Das schadet alles nichts! Solange du dich nicht im schmutzigen Wasser herumtreibst und die Räude kriegst, und nicht schwimmen gehst, wenn der Sturm das Meer aufwühlt, solange wird dir hier kein Leid geschehen!«

      Junge Robben können ebensowenig schwimmen wie kleine Kinder, aber sie ruhen nicht eher, bis sie es von Grund aus gelernt haben. Als Kotick sich das erstemal in das Meer wagte, ging er natürlich zu weit hinein, und eine große Welle riß ihn in tiefes Wasser. Da zappelte er! Sein dicker Kopf zog ihn hinab, als trüge er einen Ziegelstein um den Hals, und seine Hinterfüße ragten hoch in die Luft, ganz wie es seine Mutter ihm so oft vorgesungen hatte. Hätte ihn die nächste Welle nicht wieder zurückgeworfen, so


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