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Die Schlangentrommel. Ole R. BörgdahlЧитать онлайн книгу.

Die Schlangentrommel - Ole R. Börgdahl


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die Schüsse verhallt waren, begann der Mann auf der Lichtung, zu schreien, als sei er erneut getroffen worden. Er versuchte zu seinem Wagen zu robben, hielt sich dabei sein Bein. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Die Fahrertür des Toyotas öffnete sich langsam. Die Männer am Pritschenwagen luden ihre Sturmgewehre durch. Arun hielt die Hand hoch. Nhean legte an. Der Fahrer des Hilux streckte die Arme aus dem Türspalt. Arun wandte sich um, gab Zeichen an seine Leute. Zwei Männer lösten sich aus der Deckung des Pritschenwagens. Sie rannten über die Lichtung, die Gewehre im Anschlag. Einer blieb bei dem Verletzten stehen. Mit einem Tritt zwang er ihn, sich flach auf den Boden zu legen, durchsuchte ihn. Dann half er ihm auf, fesselte ihm mit einem Strick die Hände auf den Rücken und brachte ihn zum Pritschenwagen.

      Der zweite Mann hatte den Toyota erreicht. Er riss die Fahrertür ganz auf, ergriff den Arm des Fahrers und zerrte ihn aus dem Sitz. Er stieß ihn um, drückte ihn mit dem Knie im Rücken auf den Boden, durchsuchte ihn und nahm ihm die Pistole ab, die im Holster des Hosengürtels steckte. Dann wurde der Fahrer wieder auf die Beine gezerrt und ebenfalls gefesselt und zum Pritschenwagen gebracht.

      Arun beobachtete die Szene, die keine zwei Minuten gedauert hatte. Er wusste, dass es in dem weißen Toyota einen weiteren Passagier gab. Arun reckte sich etwas, legte die Hände trichterförmig vor den Mund.

      »Angka!« Aruns Ruf hallte über die Lichtung.

      »Aang-kaa!«, wiederholte er und dehnte dabei die Silben des Namens.

      »Khmêr Khrôm! Khmers Rouges!«, schrie er schnell hintereinander. »Oder soll ich dich bei deinem Namen nennen, Rin Mura?«

      Sekunden der Stille folgten. Arun holte wieder Luft. »Aang-kaa!«

      Es kam ein leichter Ruck durch den Pickup. Die Beifahrertür wurde langsam geöffnet, eine Hand über das Wagendach gestreckt. Rin Mura stieg aus, ging langsam um die Motorhaube herum. Er hatte sein Gesicht noch abgewandt, drehte sich erst zu dem Pritschenwagen und den dort wartenden Männern um, als er den Toyota umrundet hatte. Er trug westliche Kleidung, eine khakifarbene Hose, ein weißes Hemd unter der braunen Jacke. Langsam streckte er die Hände weiter in die Höhe, drehte die Handflächen nach vorne. Arun wartete keine Sekunde mehr. Er griff sich sein Sturmgewehr und trat aus der Deckung. Er schritt schnell über die Lichtung und blieb ein paar Meter vor Rin Mura stehen, der jetzt den Kopf zu Boden gesenkt hatte.

      Arun schluckte. »Angka!«, flüsterte er.

      Rin Mura zeigte keine Reaktion.

      »Ang-kaa!«, wiederholte Arun zischend.

      Rin Mura schüttelte langsam den Kopf.

      »Sieh mich an, Angka!«, schrie Arun. »Sieh mich an Khmers Rouges! Du bist doch einer der Brüder? Ich kenne ja sogar deinen Namen.« Arun zögerte, schluckte. Er hob seine Hand, die zitterte. »Ja, ich weiß, Ihr hattet keine Namen, Angka. Keine Namen, keine Verantwortung, aber deinen Namen kenne ich, Rin Mura. Du bist doch Rin Mura und du wirst dich verantworten.«

      Rin Mura hielt den Kopf weiterhin gesenkt, gab kein Zeichen der Bestätigung.

      Arun trat noch näher an ihn heran. »Khmers Rouges!«

      Rin Mura schüttelte erneut den Kopf.

      »Doch!« Arun riss das Sturmgewehr hoch. Es sah so aus, als wenn er sein Gegenüber mit dem Kolben treffen wollte, aber er hielt in der Bewegung inne.

      Rin Mura wich einen Schritt zurück. »Kein Angka«, sagte er leise hielt dabei den Kopf immer noch gesenkt.

      Arun trat zur Seite und hieb Rin Mura den Gewehrlauf von hinten in die Beine. Rin Mura knickte ein und landete mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Knien.

      Darauf hatte Nhean gewartet. Er schulterte sofort sein Sturmgewehr, kletterte in das Führerhaus des Pritschenwagens und zog einen Baumwollsack hinter dem Fahrersitz hervor. Nhean lief damit über die Lichtung zu Arun und dem knienden Rin Mura. Aruns Gesichtsmuskeln waren angespannt, er zitterte leicht. Nhean hockte sich auf den Boden. Er ging in den Schneidersitz, öffnete den braunen Baumwollsack und holte eine Trommel heraus, die er vor sich hinstellte. Die geschlängelten Verzierungen auf dem gelben Holz glänzten in der Sonne. Das Trommelfell war stramm über die Öffnung gespannt und zeigte in seiner Mitte einen aufgemalten Schlangenkopf mit mandelförmigen Augen, einem weitaufgerissenen Maul mit zwei spitzen Zähnen und einer vorschnellenden, gespaltenen Zunge.

      Nhean legte die rechte Hand auf das Trommelfell. Mit den Fingern begann er über die Bespannung zu streicheln. Dann folgte ein kurzer Schlag, der sofort wieder gedämpft wurde. Nhean wiederholte die Handbewegung, dreimal, viermal, fünfmal. Er wurde immer schneller, immer lauter, bis sich der Rhythmus herausgebildet hatte. Arun blickte weiterhin starr auf Rin Mura. Als die ersten heftigeren Trommelschläge zu hören waren, stöhnte Rin Mura auf.

      Arun trug ein kurzes Futteral an seinem Gürtel. Wie in Zeitlupe wanderte seine rechte Hand zur Schnalle des Futterals. Er öffnete die Schlaufe, klappte die Lasche zurück. Ein kurzes, silbernes Griffstück ragte aus dem Futteral. Langsam umschloss seine rechte Hand den metallenen Griff, verharrte dort für Sekunden. Nhean begann noch schneller zu trommeln, der Rhythmus wurde wilder.

      Arun wollte gerade die Hand aus dem Futteral ziehen, als der Militärjeep mit kreischendem Getriebe die Straße zur Lichtung hinaufraste. Arun fuhr herum. Jetzt stand ein Mann hinter der Lafette und hielt das großkalibrige Maschinengewehr im Anschlag. Der Jeep war immer noch in voller Fahrt. Die ersten Feuerstöße galten den Männern, die am Pritschenwagen standen. Ein Mann wurde in die Brust getroffen, ein Zweiter fasste sich ans Bein, sackte auf die Knie und fiel schreiend zu Boden. Ein weiterer Feuerstoß forderte das dritte Opfer. Der Jeep bremste und blieb mitten auf der Lichtung stehen.

      Der Schütze am Maschinengewehr gab eine letzte Salve auf den Pritschenwagen ab, drehte den Lauf dann um neunzig Grad. In diesem Moment spritzte Blut auf der Brust des Mannes. Noch in der Drehbewegung wurde er nach hinten gerissen und prallte gegen das Dachgestänge der Jeepaufbauten. Die beiden Schüsse halten nach. Arun und Nhean standen nebeneinander, ihre Sturmgewehre im Anschlag. Den Bruchteil einer Sekunde später feuerten sie weiter, zerschossen die Windschutzscheibe des Jeeps. Daraufhin verließen auch die noch verbliebenen Männer hinter dem Pritschenwagen die Deckung und belegten den Militärjeep mit Kugeln. Arun senkte seine Waffe. Er gab den Leuten Zeichen, das Feuer einzustellen.

      Nhean stieß ihn an. Arun wandte sich um und sah sofort, dass der Hilux mit durchdrehenden Reifen auf die Straße zurückfuhr. Arun legte an, sein Gewehr blockierte. Er lud durch, schoss, verfehlte aber sein Ziel. Er rannte ein Stück hinter dem Wagen her, der bereits einen Vorsprung hatte und sich immer weiter entfernte. Arun legte erneut an, feuerte. Erdklumpen spritzten neben dem Toyota hoch. Arun ging in die Knie, atmete durch, zielte und gab einen dritten Schuss ab. Diesmal traf er das rechte Hinterrad. Der Hilux wurde zur Seite gerissen, kam von der Straße ab, schlitterte zwischen zwei Bäumen hindurch.

      *

      Rin Mura versuchte gegenzulenken. Er trat das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf, die Vorderräder zogen noch, konnten den Wagen aber nicht mehr auf die Straße zurückbringen. Dann senkte sich die Motorhaube, der Toyota rutschte nach links auf die Kante einer abfallenden Böschung zu und glitt über den feuchten Waldboden. Rin Mura stützte sich auf das Lenkrad, um mit dem Kopf nicht gegen die Windschutzscheibe zu prallen. Seine Arme schmerzten, er spürte Blut in seinem Mund. Er hatte sich auf die Unterlippe gebissen. Der weiße Hilux rutschte weiter in die Tiefe. Ein metallisch schabendes Geräusch war zu hören. Die blanke Felge des zerschossenen Reifens riss die Erde auf, begann die Abwärtsfahrt zu bremsen. Rin Mura drückte sich mit aller Kraft in den Fahrersitz. Er starrte durch die Windschutzscheibe.

      Erst jetzt nahm er die Umgebung wahr. Sträucher und kleine Bäume wurden umgerissen, Zweige blieben an den Außenspiegeln hängen, Blätter sammelten sich vor den Scheibenwischern. Ein Wischerarm wurde nach oben geklappt und abgeknickt. Der Toyota rutschte weiter, hundertfünfzig, zweihundert Meter die Böschung hinunter. Die Senke wurde durch dichterstehende Bäume und Sträucher begrenzt. Der Wagen rutschte darauf zu. Rin Mura holte tief Luft, presste instinktiv die Zähne aufeinander. Mit einem Ruck streifte die linke Seite des Geländewagens einen großen Baum. Die Karosse prallte


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