Der Scout. Karl MayЧитать онлайн книгу.
gestehe aufrichtig, daß die Art und Weise dieses Mannes mir imponirte. Ich fühlte, daß meine Wangen sich geröthet hatten. Streng genommen, waren seine Worte beleidigend für mich, und ich hatte das dunkle Gefühl, daß ich sie mir nicht gefallen lassen dürfe und wenigstens einen Versuch der Abwehr machen müsse. Darum antwortete ich, indem ich mich niedersetzte:
»Wenn Ihr mich für einen German haltet, so habt Ihr das Richtige getroffen, Master; die Bezeichnung Dutchman aber muß ich mir verbitten, sonst sehe ich mich gezwungen, Euch zu beweisen, daß ich eben kein Greenhorn bin. Man kann höflich und doch dabei ein alter Schlaukopf sein.«
»Pshaw !« meinte er gleichmüthig. »Ihr seht mir just nicht so schlau aus. Gebt Euch keine Mühe, in Zorn zu kommen; es würde zu nichts führen. Ich habe es nicht bös mit Euch gemeint und wüßte faktisch nicht, wie Ihr es anfangen wolltet, Euch mir gegenüber ein Relief zu geben. Old Death ist nicht der Mann, der sich durch eine Drohung aus seinem Gleichmuthe bringen läßt.«
Old Death! Ah, dieser Mann war Old Death! Ich hatte von diesem bekannten, ja berühmten Westmanne oft gehört. Sein Ruf war an allen Lagerfeuern jenseits des Missisippi erklungen und auch bis in die Städte des Ostens gedrungen. Wenn nur der zehnte, der zwanzigste Theil dessen, was man von ihm erzählte, auf Wahrheit beruhte, so war er ein Jäger und Pfadfinder, vor welchem man den Hut ziehen mußte. Er hatte sich ein ganzes Menschenalter lang im Westen umhergetrieben und war trotz der Gefahren, denen er sich ausgesetzt hatte, niemals verwundet worden. Darum wurde er von Denen, welche abergläubisch waren, für kugelfest gehalten.
Wie er eigentlich heiße, das wußte man nicht. Old Death war sein nom de guerre; er hatte denselben wegen seiner außerordentlich dürren Gestalt erhalten. Der »alte Tod«! Als ich ihn so vor mir sitzen sah, leuchtete es mir ein, wie man darauf gekommen war, ihn so zu nennen.
Er, Old Death nämlich, war sehr, sehr lang, und seine weit nach vorn gebeugte Gestalt schien wirklich nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Die ledernen Hosen schwappten ihm nur so um die Beine. Das ebenfalls lederne Jagdhemde war mit der Zeit so zusammen- und eingeschrumpft, daß ihm die Aermel nicht viel über den halben Vorderarm reichten. An diesem Letzteren konnte man die beiden Knochen, Elle und Speiche, so deutlich wie bei einem Gerippe unterscheiden. Auch die Hände waren ganz diejenigen eines Skelettes.
Aus dem Jagdhemde ragte ein langer, langer Todtenhals hervor, in dessen Haut der Kehlkopf wie in einem Ledersäckchen herniederhing. Und nun erst der Kopf! Er schien nicht fünf Loth Fleisch zu enthalten. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, und auf dem Schädel gab es nicht ein einziges Haar. Die schrecklich eingefallenen Wangen, die scharfen Kinnladen, die weit hervortretenden Backenknochen, die zurückgefallene Stumpfnase mit den weiten, aufgerichteten Löchern – wahrhaftig, es war ein Todtenkopf, über den man sich entsetzen konnte, wenn man ihn unerwartet zu Gesicht bekam. Der Anblick dieses Kopfes wirkte wahrhaftig auch auf meine Nase: ich glaubte, die Dünste der Verwesung, den Odeur von Schwefelwasserstoff und Ammoniak zu riechen. Es konnte Einem dabei der Appetit zum Essen und Trinken vollständig abhanden kommen.
Seine langen, dürren Füße steckten in stiefelartigen Futteralen, welche je aus einem einzigen Stücke Pferdeleders geschnitten waren. Ueber dieselben hatte er wahrhaft riesige Sporen geschnallt, deren Räder aus mexikanischen silbernen Pesostücken geschnitten waren.
Neben ihm an der Erde lag ein Sattel mit vollständigem Zaumzeuge, und dabei lehnte eine jener ellenlangen Kentuckybüchsen, welche jetzt nur noch äußerst selten zu sehen sind, weil sie den Hinterladern weichen mußten. Seine sonstige Bewaffnung bestand aus einem Bowiemesser und zwei großen Revolvern, deren Griffe aus seinem Gürtel ragten. Dieser Letztere bestand aus einem Lederschlauche von der Form einer sogenannten »Geldkatze«, welcher rundum mit handtellergroßen Scalphäuten besetzt war. Da diese Scalpe nicht auf den Köpfen von Bleichgesichtern gesessen hatten, so war zu vermuthen, daß sie von ihrem jetzigen Besitzer den von ihm besiegten Indianern abgenommen worden waren.
Der Boardkeeper brachte mir das bestellte Bier. Als ich das Glas an die Lippen setzen wollte, hielt der Jäger mir das seinige entgegen und sagte:
»Halt! Nicht so eilig, Boy! Wollen vorher anstoßen. Ich habe gehört, daß dies drüben in Eurem Vaterlande Sitte ist.«
»Ja, doch nur unter guten Bekannten,« antwortete ich, indem ich zögerte, seiner Aufforderung nachzukommen.
»Ziert Euch nicht! Jetzt sitzen wir beisammen und haben es gar nicht nötig, uns, wenn auch nur in Gedanken, die Hälse zu brechen. Also stoßt an! Ich bin kein Spion oder Bauernfänger, und Ihr könnt es getrost für eine Viertelstunde mit mir versuchen.«
Das klang anders als vorhin; ich berührte also sein Glas mit dem meinigen und sagte:
»Für was ich Euch zu halten habe, das weiß ich, Sir. Wenn Ihr wirklich Old Death seid, so brauche ich nicht zu befürchten, mich in schlechter Gesellschaft zu befinden.«
»Ihr kennt mich also? Nun, dann brauche ich nicht von mir zu reden. Sprechen wir also von Euch! Warum seid Ihr denn eigentlich in die Staaten gekommen?«
»Aus demselben Grunde, welcher jeden Andern herbeiführt – um mein Glück zu machen.«
»Glaube es! Da drüben im alten Europa denken die Leute eben, daß man hier nur die Tasche aufzumachen habe, um die blanken Dollars hineinfliegen zu sehen. Wenn es einmal Einem glückt, so schreiben alle Zeitungen von ihm; von den Tausenden aber, welche im Kampfe mit den Wogen des Lebens untersinken und spurlos verschwinden, spricht kein Mensch. Habt Ihr denn das Glück gefunden, oder befindet Ihr Euch wenigstens auf seiner Fährte?«
»Ich denke, das Letztere bejahen zu können.«
»So schaut nur scharf aus, und laßt Euch die Spur nicht wieder entgehen! Ich weiß am besten, wie schwer es ist, eine solche Fährte festzuhalten. Vielleicht habt Ihr gehört, daß ich ein Scout bin, der es mit jedem andern Westmanne aufzunehmen vermag, und dennoch bin ich bisher dem Glücke vergeblich nachgelaufen. Hundertmal habe ich geglaubt, nur zugreifen zu brauchen, aber sobald ich die Hand ausstreckte, verschwand es wie ein Castle in the air, welches nur in der Einbildung des Menschen existirt.«
Er hatte das in trübem Tone gesprochen und blickte dann still vor sich nieder. Als ich keine Bemerkung zu seinen Worten machte, sah er nach einer Weile wieder auf und meinte:
»Ihr könnt nicht wissen, wie ich zu solchen Reden komme. Die Erklärung ist sehr einfach. Es greift mir immer ein wenig an das Herz, wenn ich einen Deutschen, zumal einen jungen Deutschen sehe, von dem ich mir sagen muß, daß er wohl auch – – untergehen werde. Ihr müßt nämlich wissen, daß meine Mutter eine Deutsche war. Von ihr lernte ich ihre Muttersprache, und wenn es Euch beliebt, können wir also deutsch sprechen. Sie hat mich bei ihrem Tode auf den Punkt gesetzt, von welchem aus ich das Glück vor mir liegen sah. Ich aber hielt mich für klüger und lief in falscher Richtung davon. Master, seid gescheidter als ich! Es ist Euch anzusehen, daß es Euch grad so gehen kann wie mir.«
»Wirklich? Wieso?«
»Ihr seid zu fein: Ihr duftet nach Wohlgerüchen. Wenn ein Indianer Eure Frisur sähe, so würde er vor Schreck todt hinfallen. An Eurem Anzuge gibt es kein Fleckchen und kein Stäubchen. Das ist nicht das Richtige, um im Westen sein Glück zu machen.«
»Ich habe keineswegs die Absicht, es grad hier zu suchen.«
»So! Wollt Ihr wohl die Güte haben, mir zu sagen, welchem Stande oder Fache Ihr angehört?«
»Ich habe studirt.«
Ich sagte das mit einem gewissen Stolze. Er aber sah mir mit leichtem Lächeln – das bei seinen Todtenkopfzügen wie ein höhnisches Grinsen erschien – in das Gesicht, schüttelte den Kopf und sagte:
»Studirt! O wehe! Darauf bildet Ihr Euch jedenfalls viel ein? Und doch sind grad Leute Eurer Sorte am wenigsten befähigt, ihr Glück zu machen. Ich habe das oft genug erfahren. Habt Ihr eine Anstellung?«
»Ja, in New-York.«
»Was für eine?«
Es war ein so eigener Ton, in welchem er seine Fragen stellte, daß es fast unmöglich war, ihm die Antwort