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Tarabas. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Tarabas - Йозеф Рот


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höchstwahrscheinlich davon ab.

      Der erste Polizist überholte Tarabas. Es war eigentlich keine Begegnung. Jene, die ihm Angesicht in Angesicht entgegenkamen, waren für Tarabas Begegnungen. Nun kam einer, schlenkernd mit dem Gummiknüppel, morgenmüd und gähnend: der erste also. Um die Begegnung mit dem zweiten so lange wie möglich hinauszuschieben, bog Tarabas in die nächste Seitengasse. Aber hier stieß er auf einen andern, der munter und jugendlich aussah, als hätte er soeben erst den Dienst angetreten. Tarabas lächelte ihm zu und kehrte sofort um. Nicht vor dem Gesetz, das ihn bereits verfolgen mochte, fürchtete er sich, sondern davor, daß die Prophezeiung schneller erfüllt werden könnte, als er gedacht hatte. Nun bleibt mir noch der letzte, dachte Tarabas, und dann ist alles in Gottes Hand!

      Auf der Hauptstraße aber, in die er zurückgekehrt war, zeigte sich wohl eine halbe Stunde lang kein Polizist mehr. Schon begann Tarabas, sich geradezu nach einem dritten zu sehnen. In dem Augenblick aber, in dem einer auftauchte, am äußersten Ende der breiten Straße und in deren Mitte – und der schwarze Helm ragte gegen das tiefe Grün des Parks, der die Straße abschloß –, in diesem Augenblick erscholl die helle Stimme eines der ersten Zeitungsjungen von New York.

      »Krieg zwischen Österreich und Rußland!«, schmetterte die Stimme des Jungen. – »Krieg zwischen Österreich und Rußland!« – »Krieg zwischen Österreich und Rußland!«

      Der Polizist kam heran und blickte in die morgenfrische Zeitung, Tarabas über die Schulter.

      »Es ist Krieg«, sagte Tarabas zum Polizisten, »und ich werde in diesen Krieg gehn!«

      »Dann kommen Sie auch lebendig zurück!«, sagte der Polizist, hob die Hand an den Helm und entfernte sich.

      Tarabas lief ihm nach und fragte, wie man am raschesten zur russischen Botschaft komme. Hierauf, nachdem ihm Auskunft zuteil geworden, rannte er, mit langen Schritten, der Botschaft entgegen, dem Krieg entgegen. Und Katharina, der Wirt und seine Missetat waren ausgelöscht und vergessen.

      4

      Angesichts des gewaltigen Hafens von New York, der großen, bräutlich-weißen Schiffe, vor dem ewigen Anschlag eintöniger, dunkelgrüner Wellen an Planke und Stein, dem Gewoge der Träger, der Matrosen, der Beamten, der Zuschauer, der Händler, verlor Nikolaus Tarabas vollends die Erinnerung an den vorhergegangenen Tag. Die Herzen kühner, törichter und leicht berauschter Menschen sind unergründlich; nächtliche Brunnen sind es, in denen die Gedanken, die Gefühle, die Erinnerungen, die Ängste, die Hoffnungen, ja die Reue selbst versinken können und zeitweise auch die Furcht vor Gott. Tief und dunkel, ein wahrer Brunnen, war Nikolaus Tarabas' Herz. In seinen großen, hellen Augen aber leuchtete die Unschuld.

      Immerhin: als er das Schiff bestieg, kaufte er alle Zeitungen, die in der letzten Stunde erreichbar waren, um nachzulesen, ob sich nicht doch irgendeine Nachricht von dem Mord eines gewissen Tarabas an einem gewissen Wirt einer bestimmten Bar fände. Es war, als suchte Tarabas nach dem Bericht eines Vorgangs, dessen Zeuge lediglich er gewesen wäre. Wichtiger schien ihm das Schiff, die Kabine, die er bewohnen sollte, schienen ihm die merkwürdigen Passagiere, die es führen mochte, der Krieg und die Heimat, denen er entgegenfuhr. Den heimatlichen Feldern fuhr er entgegen, dem Geschmetter der Lerchen, dem Gewisper der Grillen, dem süßlichen Duft bratender Kartoffeln auf den Äckern, dem silbernen Staketenzaun, ringsum geschlungen um das väterliche Gehöft wie ein geflochtener Ring aus Birkenholz, dem Vater, der Nikolaus früher grausam erschienen war und nach dem er sich jetzt wieder sehnte. In zwei mächtigen, schwarzgrauen Hälften lag der Schnurrbart des Vaters über dem Mund, eine gewaltige Kette aus struppigem Haar, oft im Laufe des Tages gebürstet und gekämmt, natürliches Abzeichen häuslicher Allgewalt. Sanft und blond war Tarabas' Mutter. Liebling des Vaters waren die zwölfjährige Lusia gewesen und die Cousine, Tochter des frühverstorbenen, sehr reichen Onkels Maria. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, oft im Streit mit Nikolaus Tarabas, zanksüchtig und hübsch. Alles lag weit, unsichtbar noch, aber schon fühlbar, hinter den dunkelgrünen Wogenkämmen des Ozeans und weiter, dort, wo er sich dem Himmel entgegenwölbte, um sich mit ihm zu vereinigen.

      In den Zeitungen stand nichts von einem Mord an einem Barwirt. Tarabas warf sie, alle auf einmal, ins Meer. Wahrscheinlich war der Wirt nicht gestorben. Eine kleine Schlägerei war es gewesen, nichts mehr. In New York und in aller Welt kamen täglich tausende dergleichen vor. Als Tarabas sah, wie Wind und Wasser die Zeitungen davontrugen, dachte er, nun sei Amerika endgültig erledigt. Eine Weile später fiel ihm Katharina ein. Er war gut zu ihr gewesen, sie hatte ihm die Heimat ersetzt – und ihn nur ein einziges Mal belogen. Glücklich war Tarabas in diesem Augenblick. (Glück allein konnte seine Großmut wecken.) Möge sie sehen, dachte er, was ich für ein Mann bin und was sie an mir verloren hat. Trauern wird sie um mich, vielleicht wird sie auch, wenn es wahr ist, was sie mir erzählt hat, ihren kranken Vater besuchen. Trauern soll sie jedenfalls um mich! Und er ging hin und schrieb ein paar Zeilen an Katharina. Der Krieg riefe ihn. Ausharren möchte Katharina. Treue erwarte er von ihr. Geld schickte er ihr eben. Und er schickte ihr in der Tat fünfzig Rubel, die Hälfte des Reisegeldes, das er von der Botschaft bekommen hatte.

      Erleichtert (und auch ein wenig stolz) betrieb er dann weiter den Müßiggang eines Schiffspassagiers, spielte Karten mit Fremden, führte Gespräche ohne Sinn; sah die hübschen Frauen oft mit begierigen Augen an, und kam es mit einer von ihnen zu einer Unterhaltung, vergaß er nicht, zu erwähnen, daß er als russischer Leutnant der Reserve in den Krieg ziehe. Hie und da glaubte er auch in den Augen der Frauen Bewunderung – und Verheißungen – zu lesen. Aber dabei ließ er es bewenden. Die Seereise behagte ihm. Sein Appetit war mächtig, sein Schlaf ausgezeichnet. Cognac und Whisky trank er viel. Auf dem Meere vertrug man sie weitaus besser als zu Lande.

      Gebräunt, gekräftigt, neugierig auf die Heimat und begierig auf den Krieg, verließ Tarabas eines Morgens im Hafen von Riga das Schiff.

      5

      Er mußte nach Cherson einrücken, zum Kader seines Regiments. Mit ihm verließen zwei junge Männer das Schiff, Soldaten, Offiziere. Er hatte sie während der Seefahrt nicht gesehn. Nun fragte er sie, ob sie auch einrückten. Jawohl, sagten sie, in die Petersburger Garnison; sie seien aber aus Kiew. Wäre man einmal beim Regiment, wer weiß, ob man da noch Urlaub bekäme, die Heimat zu sehn. Also führen sie zuerst nach Hause, und dann erst zum Regiment. Sie rieten ihm, das gleiche zu tun.

      Dies leuchtete Tarabas ein. Der Krieg hatte eine brüderliche Ähnlichkeit mit dem Tode bekommen. Wer weiß, ob man da noch Urlaub erhielt – sagten die beiden. In Tarabas' Zimmer, im Schrank, hing die Uniform, die er liebte, ähnlich liebte wie Vater, Mutter, Schwester und Haus. Dank seinen Beziehungen und seinem Geld war es dem alten Tarabas gelungen, die Gnade des Zaren anzurufen und dem Sohn die Charge eines Leutnants zu erhalten – ein paar Monate schon, nachdem der unselige Prozeß vergessen worden war. Dies erschien Nikolaus Tarabas nur selbstverständlich. Seiner Meinung nach war er es, der dem Zaren die Gnade erwies, im Dreiundneunzigsten Infanterieregiment als Leutnant zu dienen. Es wäre ein schwerer Schaden der russischen Armee widerfahren, wenn man Tarabas degradiert hätte.

      Tarabas stieg also in den Zug, der in seine Heimat fuhr. Er kündigte seine Ankunft nicht an. Überraschungen zu erleben, Überraschungen zu bereiten war seine Lust. Wie ein Befreier wollte er heimkommen! Wie mochten sie sich fürchten, so nahe der Grenze! Sicherheit und Sieg wollte er ihnen bringen!

      Frohgemut ließ sich Tarabas im überfüllten Zug nieder, gab dem Schaffner ein überraschendes Trinkgeld, erklärte, er sei ein »besonderer Kurier« in besonderen Angelegenheiten des Kriegs, schob den Riegel vor und betrachtete mit Wollust die Passagiere, die, trotz ihrem unbestreitbaren Recht, in seinem Kupee Platz zu nehmen, dennoch im Korridor stehen mußten. Eine außergewöhnliche Zeit, die Leute hatten die Pflicht, sich mit ihr abzufinden und einem außergewöhnlichen »Kurier des Zaren« die Bequemlichkeit zu lassen, die für seine besondere Aufgabe unentbehrlich war. Von Zeit zu Zeit ging Tarabas in den Korridor, musterte hochmütig die Armen, die da stehen mußten, zwang die Müden, die auf ihren umgestülpten Koffern saßen, aufzustehn und ihm Platz zu machen, stellte befriedigt fest, daß alle ohne Widerspruch seinem blitzblauen


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