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Die Geschichte von der 1002. Nacht. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Die Geschichte von der 1002. Nacht - Йозеф Рот


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halber irgendwohin fahren sollte?«

      »Ja, Herr«, sagte Patominos, »um sich zu überzeugen, daß es keine gibt.«

      »Und dies allein würde mich gesund machen?«

      »Nicht die Überzeugung, Herr«, sagte der Eunuch, »aber die Erlebnisse, die man braucht, um zu dieser Überzeugung zu gelangen!«

      »Wie kommst du zu diesen Erkenntnissen, Patominos?«

      »Dadurch, daß ich verschnitten bin, Herr!«, erwiderte der Eunuch und verneigte sich wieder.

      Er riet dem Schah-in-Schah zu einer weiten Reise. Er schlug Wien vor. Der Herrscher erinnerte sich: »Mohammedaner waren dort schon vor vielen Jahren gewesen.«

      »Herr, es gelang ihnen damals leider nicht, in die Stadt zu kommen. Auf dem Stephansturm stünde sonst heute nicht das Kreuz, sondern unser Halbmond!«

      »Alte Zeiten, alte Geschichten. Wir leben in Frieden mit dem Kaiser von Österreich.«

      »Jawohl, Herr!«

      »Wir fahren!«, befahl der Schah. »Die Minister verständigen!«

      Und es geschah, wie er befohlen hatte.

      Im Waggon erster Klasse zuerst, später im rückwärtigen Teil des Schiffes, herrschend über den Frauen, saß der Obereunuch Kalo Patominos. Er blickte auf die rotglühende untergehende Sonne. Er breitete den Teppich aus, warf sich auf den Boden und begann, das Abendgebet zu murmeln. Man erreichte unerkannt Konstantinopel.

      Das Meer war sanft wie ein Kind. Das Schiff schwamm sacht und lieblich, es selbst ein Kind, in die blaue Nacht hinein.

      2

      Ein paar Tage kreuzte das bräutliche Schiff des Schahs im blauen Meer. Denn man getraute sich nicht, dem großen Herrn zu sagen, daß man auf eine Antwort des persischen Botschafters in Wien warten müsse. Nach anderthalb Tagen schon wurde der Schah ungeduldig. Obwohl er sich um den Kurs des Schiffes nicht kümmerte, konnte er doch nicht umhin, zu bemerken, daß immer wider das gleiche Stück der Küste auftauchte, die er eben verlassen hatte. Auch ihm schien es allmählich sonderbar, daß ein so starkes Schiff so viel Zeit brauchte, um ein so kleines Meer zu durchqueren. Er ließ den Großwesir kommen und deutete ihm an, daß er unzufrieden sei mit der Langsamkeit der Überfahrt. Er deutete es nur an, er sagte es nicht genau. Denn, traute er schon keinem seiner Diener, solange er sich auf fester Erde befand, so traute er ihnen noch weniger, wenn er auf dem Wasser umherschwamm. Gewiß war man auch zur See in Gottes Hand, aber auch ein wenig in der des Kapitäns. Überhaupt, sooft er an den Kapitän dachte, wurde der Schah unruhig. Ihm gefiel der Kapitän gar nicht, besonders, weil er sich nicht erinnern konnte, ihn schon jemals gesehen zu haben. Er war nämlich äußerst mißtrauisch. Selbst die Männer, die ihm heimisch und wohlvertraut waren, verdächtigte er leicht und gerne; wie erst diejenigen, die er nicht kannte oder an die er sich nicht erinnerte? Ja, er war dermaßen mißtrauisch, daß er nicht einmal sein Mißtrauen zu erkennen zu geben wagte – in der kindischen und mächtigen Herrn oft eigenen Überzeugung, sie seien noch schlauer als ihre Diener. Deshalb deutete er jetzt dem Großwesir auch nur vorsichtig an, daß ihm dies lange Herumreisen nicht ganz geheuer vorkomme. Der Großwesir aber, der wohl erkannte, daß der Schah sein Mißtrauen nicht ausdrücken wolle, gab keineswegs zu erkennen, daß er Mißtrauen spüre.

      »Herr«, sagte der Großwesir, »auch mir erscheint es unverständlich, daß wir so lange Zeit brauchen, um das Meer zu überqueren.«

      »Ja«, bestätigte der Schah, als ob er selbst erst durch diese Bemerkung des Großwesirs auf die allzu langsame Fahrt aufmerksam gemacht worden wäre, »ja, du hast recht: warum fahren wir so langsam?«

      »Man müßte, Herr, den Kapitän befragen!«, sagte der Großwesir.

      Der Kapitän kam, und der Schah fragte: »Wann erreichen wir endlich die Küste?«

      »Großmächtiger Herr«, erwiderte der Kapitän, »das Leben Eurer Majestät ist uns allen heilig! Heiliger ist es uns als unsere Kinder, heiliger als unsere Mütter, heiliger als die Pupillen unserer Augen. Unsere Instrumente kündigen einen Sturm an, so friedselig das Meer auch im Augenblick erscheinen mag. Wenn Eure Majestät an Bord sind, müssen wir tausendfach achtgeben. Was gibt es Wichtigeres für unser Leben, für unser Land, für die Welt als das geheiligte Leben Eurer Majestät? – Und unsere Instrumente kündigen leider Sturm an, Majestät!«

      Der Schah sah nach dem Himmel. Er war blau, straff gewölbt, strahlend. Der Schah dachte, daß ihn der Kapitän belüge. Er sagte es aber nicht. Er sagte nur: »Mir scheint, Kapitän, daß deine Instrumente gar nichts taugen!«

      »Gewiß, Majestät«, antwortete der Kapitän, »auch Instrumente sind nicht immer zuverlässig!«

      »Ebenso wie du, Kapitän«, sagte der Schah.

      Auf einmal bemerkte er ein winziges, weißes Wölkchen am Rande des Horizonts. Die Wahrheit zu sagen: es war kaum ein Wölkchen, es war ein Schleierchen, eigentlich nur der Hauch von einem Wölkchen. Auch der Kapitän hatte es im gleichen Augenblick erspäht – und schon hoffte er, ein Wunder sei ihm zu Hilfe gekommen und er und seine Lüge und seine verlogenen, umgelogenen Instrumente würden in den Augen des Herrn aller Gläubigen plötzlich gerechtfertigt sein.

      Aber gerade das Gegenteil war der Fall. Denn: so winzig und hauchdünn das Wölkchen auch war, so verstärkte es doch den Zorn des Schahs. Er hatte sich schon so daran gefreut, daß er Großwesir und Kapitän auf einer niederträchtigen Lüge ertappt hatte – und jetzt kam die Natur selbst – gebar ein Wölkchen (und wie leicht konnten richtige Wolken daraus werden!) und gab am Ende noch den lügenden Instrumenten recht! Mit grimmer Aufmerksamkeit beobachtete der Schah die unaufhörlich wechselnden Formen des Wölkleins. Bald lockerte es sich. Der Wind zerfranste es ein bißchen. Dann aber ballte es sich noch fester als vorher zusammen. Nun sah es aus wie ein Schleier, in einen Knäuel verdichtet. Dann dehnte es sich in die Länge. Dann schließlich wurde es dunkler und fester. Der Kapitän stand immer noch hinter dem Rücken des Schahs. Auch er betrachtete die wechselnden Formen der kleinen Wolke, aber keineswegs grimmig, sondern mit tröstlichem Herzen. Ach, aber: wie trog ihn sein Sinn! Jäh und wütend wandte sich der Schah um, und sein Angesicht erschien dem Kapitän wie eine Art gefährlicher violetter Hagelwolke. »Ihr täuscht euch alle«, begann der mächtige Herr ganz leise, mit einer Stimme, die, beinahe tonlos, aus unbekannten Gründen der Seele kam. »Ihr täuscht euch alle, wenn ihr glaubt, daß ich eure Manöver nicht durchschaue. Die Wahrheit sagst du mir nicht! Was erzählst du mir von deinen Instrumenten? Was für einen Sturm verkünden sie? Mein Auge ist noch lange so sicher wie deine Instrumente. Ringsum ist der Himmel klar und blau, selten noch habe ich einen so klaren und blauen Himmel gesehen. Mach deine Augen auf, Kapitän! Sag selbst, siehst du auch ein einziges, noch so geringes Wölkchen am Horizont?«

      Der Schrecken des Kapitäns war groß, aber gewaltiger noch war sein Erstaunen. Und noch größer als sein Schrecken und sein Staunen war seine Ratlosigkeit. War der Zorn des Herrn echt oder gespielt? Stellte ihn der Herr auf die Probe? Wer konnte es wissen? Er hatte niemals in der Nähe des Schahs gelebt, er kannte nicht seine Gewohnheiten. Der und jener hatte dem Kapitän gelegentlich erzählt, daß der Schah manchmal den Erzürnten spielte, um den Grad der Aufrichtigkeit zu erkennen, dessen seine Diener fähig sein konnten. Unglücklicherweise dachte der arme Kapitän gerade jetzt an diesen einen, im allgemeinen durchaus nicht kennzeichnenden Charakterzug des Herrn, und er entschloß sich, aufrichtig zu sein. »Herr«, sagte er, »die Augen Eurer Majestät haben soeben die Wolke dort am Horizont gesehen.« Und er trieb, der unselige Kapitän, seine Kühnheit so weit, daß er sogar den Finger ausstreckte und nach dem Wölkchen wies, das inzwischen eine richtige schwarzblaue Wolke geworden war, die mit unheimlicher Eile dem Schiffe näher trieb.

      »Kapitän!«, donnerte der Schah, »willst du mich lehren, den Himmel anzusehn? Nennst du jenes lichte Nebelchen dort eine Wolke? Spürst du nicht die Strahlen der Sonne?«

      In diesem Augenblick aber ereignete sich etwas Unerwartetes. Die Wolke, sie war in einigen Sekunden eine tiefe, regenträchtige blauschwarze Gewitterwolke geworden, hatte


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