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Die Geschichte von der 1002. Nacht. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Die Geschichte von der 1002. Nacht - Йозеф Рот


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sah aus, als wollte er sagen: Herr, zu meinem Bedauern bin ich gezwungen, den Himmel sprechen zu lassen. Er schickt sich eben an, statt meiner Eurer Majestät zu antworten.

      Zwar hatte auch der Schah selbstverständlich gesehn, wie sich die Sonne verfinsterte. Noch wußte er nicht genau, ob er sich freuen sollte über die Ehrlichkeit seiner Diener, die ihm in der Tat genauen und wahrheitlichen Bericht über den nahenden Sturm gegeben hatten, oder ob er sich ärgern sollte darüber, daß er seinem eigenen Mißtrauen erlegen war. Er fühlte, daß er in Gefahr war, seine Verwirrung zu verraten. Dies durfte auf keinen Fall geschehen – und deshalb befahl er: »Zeig mir deine Instrumente, Kapitän!«

      Während sie das Deck entlanggingen, der Schah voran, der Kapitän hinterdrein, verfinsterte sich der Himmel noch mehr, soweit man sehen konnte, mit Ausnahme eines schmalen blauen Streifens im Nordosten. Im Westen waren die Wolken ganz böse und violett, im Zenit des Himmels wurden sie etwas milder und heller, im Osten lichteten sie sich zu einer geradezu als gütig zu empfindenden Blässe. Der Kapitän, drei Schritte hinter dem Schah, geriet in eine wahrhaftige, ehrliche Furcht. Diesmal war es nicht wie vorher Angst vor dem Herrscher und vor der eigenen Lüge, sondern Furcht vor Allah, dem Herrn der Welt, und vor dem Sturm, den er so leichtsinnig vorausgesagt hatte. Zum erstenmal hatte der Kapitän die Ehre, den Schah-in-Schah auf seinem Schiff zu beherbergen. Was wußte er von den Gesetzen der Diplomatie, der brave Kapitän? Seit zwanzig Jahren kreuzte er die Meere, immer auf diesem kaiserlichen Dampfer Achmed Akbar. Viele Stürme hatte er erlebt, in seiner Jugend war er noch auf Segelschiffen gefahren, und auf Segelschiffen hatte er die Seefahrt zuerst kennengelernt. Niemals seit seinem Regierungsantritt hatte dieser Schah das Bedürfnis empfunden, ein Meer zu überqueren. Ihn, den armen Kapitän, traf die gefährliche Auszeichnung, den mächtigen Herrn zum erstenmal über Wasser zu führen. »Wir dürfen nicht in der vorgeschriebenen Zeit Europas Küste erreichen«, hatte ihm der Großwesir gesagt. – »Seine Majestät haben einen höchst ungeduldigen Charakter und wollen ihre Wünsche erfüllt haben, kaum sind sie ausgesprochen. Aber es gibt, verstehn Sie, Kapitän, diplomatische Hindernisse. Wir müssen erst die Antwort Seiner Exzellenz unseres Botschafters abwarten. So lange müssen wir trachten, nahe der Küste herumzukreuzen. Wenn es Seiner Majestät einfallen sollte, Sie zu fragen, so sagen Sie, daß Sie Sturm befürchten.«

      So hatte der Großwesir gesprochen. Und siehe da: der Sturm war wirklich im Anzug. Und die Instrumente hatten ihn doch gar nicht angekündigt. Einfach die Lüge hatte ihn angekündigt, einfach die Lüge! Gläubig war der Kapitän, und Allah fürchtete er.

      Sie kamen in die Kabine des Kapitäns. Es gab da wenig Instrumente, insbesondere aber keine, die etwas vom nahenden Sturm aussagen konnten. Es gab nur eine große Bussole, englisches Fabrikat, festgeschraubt auf einer runden Tischplatte. Der Schah beugte sich darüber. »Was ist das, Kapitän?«, fragte er. »Majestät, eine Bussole!«, sagte der Kapitän. »Aha«, sagte der Schah. »Andere Instrumente hast du nicht?« – »Hier nicht, Majestät, sie sind daneben, im Zimmer des Ingenieurs!« – »Also Sturm?«, fragte der Schah. Er hatte keine Lust mehr, andere Instrumente zu sehn, und außerdem wünschte er sich ehrlich einen Sturm herbei. »Wann wird endlich dieser Sturm kommen?«, fragte er gütig. »Ich schätze, nach Sonnenuntergang!«, sagte der Kapitän.

      Der Schah ging, hinter ihm der Kapitän. Als sie auf das Verdeck traten, war der Tag bereits fast so finster wie eine richtige Nacht. Der Offizier vom Dienst kam eilig heran, er lief, er galoppierte. Er meldete dem Kapitän irgend etwas, in Ausdrücken, die der Schah noch niemals gehört hatte. Er ging auch weiter, ohne sich um die beiden zu kümmern. Er trat an die Reling und betrachtete mit aufrichtigem Vergnügen den wütenden Gischt der anstürmenden, zurückweichenden und immer wieder anstürmenden Wogen. Das Schiff begann zu schwanken. Die Welt begann zu schwanken. Die Wogen waren grüne, schwarze, blaue und graue Zungen mit schneeweißen Rändern. Ein gewaltiges Unbehagen ergriff plötzlich den Schah. Ein unbekanntes Ungeheuer wühlte und wand sich in seinen Eingeweiden. Einmal, er erinnerte sich, er war noch ein Knabe gewesen und krank, sehr krank, hatte er ein ähnliches Übel verspürt.

      Den Kapitän ergriff eine doppelte Aufregung: Erstens war sein Herr unpäßlich; und zweitens näherte sich eben jener Sturm, den er so leichtfertig vorausgelogen hatte. Der Kapitän wußte nicht mehr, um was er sich eifriger kümmern müsse: um den Sturm oder das Unbehagen des Herrn.

      Er entschloß sich, seine Aufmerksamkeit dem Schah zuzuwenden. Dies war um so eher angebracht, als er ohnehin befohlen hatte, sofort möglichst dicht an die Küste zurückzukehren. Ausgestreckt, in mehrere Decken gehüllt, lag der Schah auf dem Verdeck. Der Leibarzt, den er so haßte und der, seiner Meinung nach, der einzige Mensch war, dem er nie mehr in diesem Leben entrinnen konnte, stand gebeugt über dem kranken Herrn. Er tat, was selbstverständlich war: er flößte dem Schah Baldrian ein. Die ersten, schweren Regentropfen fielen auf den weichen Samt des Zelts, das man dem Schah gebaut hatte. Der Wind ließ leise die Ringe erklirren, die des Zeltes Wände mit den drei metallenen Stäben verbanden. Der Schah fühlte sich wohler. Er wußte, daß es draußen blitzte, und den Donner hörte er mit wonnigem Behagen. Seine Übelkeiten verschwanden, kein Wunder! Das Schiff stand still, kaum zwei Seemeilen von der Küste. Nur das Meer klatschte in regelmäßiger Wut gegen die Flanken.

      Dieser Sturm war dem Großwesir als eine besondere Gnade des Himmels geschickt worden. In hurtigen Booten erreichten Sekretäre Konstantinopel, mitten in der Nacht. In den gleichen hurtigen Booten kehrten sie am nächsten Tage, gegen neun Uhr morgens, zurück. Der Schah schlief noch. Sie brachten das Telegramm des Wiener Botschafters: in Wien erwarte man die Majestät. Alles wäre zum Empfang bereit ...

      Auch der Sturm erstarb. Eine neue, gewaschene Sonne leuchtete stark und froh, wie einst, vormals, am ersten Tag ihrer Erschaffung.

      Auch der Kapitän leuchtete. Auch der Großwesir leuchtete. Mit Volldampf glitt das Schiff dahin, Europa entgegen.

      3

      Seine Kaiser- und Königliche Apostolische Majestät empfing die Kunde von dem Besuch des Schahs gegen acht Uhr morgens. Es waren gerade knapp zweihundert Jahre vergangen, seitdem der grausamste aller Mohammedaner gegen Wien herangerückt war. Damals hatte ein wahres Wunder Österreich gerettet. Weit schrecklicher noch als einst die Türken bedrohten jetzt die Preußen das alte Österreich – und obwohl sie fast ungläubiger waren als die Mohammedaner – denn sie waren ja Protestanten –, tat Gott gegen sie keine Wunder. Es gab keinen Grund mehr, die Söhne Mohammeds mehr zu fürchten als die Protestanten. Jetzt brach eine andere, schrecklichere Epoche an, die Zeit der Preußen, die Zeit der Janitscharen Luthers und Bismarcks. Auf ihren schwarzweißen Fahnen – beides Farben der strengen Trauer – war zwar kein Halbmond zu sehn, sondern ein Kreuz; aber es war eben ein eisernes Kreuz. Auch ihre christlichen Symbole noch waren tödliche Waffen.

      All dies dachte der Kaiser von Österreich, als man ihm von dem bevorstehenden Besuch des Schahs berichtete. Ähnliches dachten auch die Minister des Kaisers. Man raunte in Wien, man munkelte in den Kanzleien, vor den Türen, hinter den Türen, in den Kabinetten, in den Korridoren, in den Redaktionsstuben, in den Caféhäusern und sogar in den Chambres séparées. Allenthalben bereitete man sich auf den Besuch des Schahs vor.

      Am Tage, an dem der Zug des Schah-in-Schah im Wiener Franz-Josephs-Bahnhof einlief, sperrten vier Ehrenkompanien und zweihundert Wachleute zu Fuß und zu Pferde die Straßen ab. Die fürsorgliche Gastfreundschaft Seiner Kaiser- und Königlichen Apostolischen Majestät hatte dafür gesorgt, daß alle Wagen des Zuges, der den persischen Herrscher nach Wien brachte, weiß gestrichen waren, in einem bräutlichen Weiß, wie das Schiff, das der Schah in Konstantinopel bestiegen hatte. Auf dem Perron stand eine Kompanie des Regiments der Hoch- und Deutschmeister. Der Kapellmeister Josef Nechwal befahl die persische Nationalhymne. Tschinellen und Kesselpauke und die sogenannten Tschandressen machten mehr Lärm, als die persische Nationalhymne unbedingt erfordert hätte. Die Kesselpauke, aufgebürdet auf dem sonst so geduldigen und musikalischen Maulesel, wollte auch nicht zurückbleiben; und der Maulesel bebte von Zeit zu Zeit, er revoltierte gleichsam; aber weder der Pauker merkte es noch der Kapellmeister Josef Nechwal. Der dachte an die Orden im Schaufenster Tillers.

      Der Kaiser fühlte sich unbehaglich in der fremden Uniform. Es war überdies heiß:


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