Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.
ein Gesicht schön machen kann.
»Nein, wirklich, meine Liebste, Beste, dieses Kleid taugt nichts«, sagte Lisa, indem sie aus einiger Entfernung von der Seite her die Prinzessin betrachtete. »Du hast ja ein dunkelrotes, das laß dir geben. Wirklich! Wer weiß, vielleicht entscheidet sich dadurch das Schicksal deines Lebens. Aber dieses ist zu hell, das taugt nichts, nein, das taugt nichts!«
Der Fehler lag nicht an dem Kleid, sondern an dem Gesicht und der ganzen Gestalt der Prinzessin; aber dafür hatten Mademoiselle Bourienne und die kleine Fürstin kein Verständnis; sie meinten, wenn sie zu dem hinaufgekämmten Haar ein blaues Band hinzutäten und eine blaue Schärpe über das dunkelrote Kleid herabfallen ließen und mehr dergleichen, dann werde alles gut sein. Sie vergaßen, daß das ängstliche Gesicht und die ganze Gestalt sich eben nicht ändern ließen; und daher blieb, mochten sie auch in der Umrahmung und dem Schmuck dieses Gesichtes noch so viele Änderungen vornehmen, doch das Gesicht selbst kläglich und unschön. Nach zwei oder drei Umänderungen, denen Prinzessin Marja sich gehorsam fügte, war man fertig: das Haar war nach oben gekämmt (eine Frisur, die das Gesicht der Prinzessin völlig veränderte und entstellte) und um das elegante, dunkelrote Kleid eine blaue Schärpe geschlungen. Die kleine Fürstin ging ein paarmal im Kreis um die Prinzessin herum, legte mit ihrer kleinen Hand hier eine Falte am Kleid in Ordnung, zupfte dort an der Schärpe und betrachtete mit schiefgehaltenem Kopf das Werk bald von der einen, bald von der andern Seite.
»Nein, es geht nicht!« sagte sie in entschiedenem Ton und schlug die Hände zusammen. »Nein, Marja, das steht dir entschieden nicht. Du gefällst mir weit besser in deinem einfachen grauen Alltagskleid. Bitte, tue es mir zuliebe! Katja«, sagte sie zu dem Stubenmädchen, »bringe der Prinzessin das graue Kleid! Und dann sollen Sie sehen, Mademoiselle Bourienne, wie ich es zurechtstutzen werde«, sagte sie lächelnd, im Vorgeschmack der Künstlerfreude.
Aber als Katja das verlangte Kleid brachte, saß Prinzessin Marja, ohne sich zu rühren, vor dem Spiegel und blickte ihr Gesicht an, und Katja sah im Spiegel, daß der Prinzessin die Tränen in den Augen standen, und daß ihr Mund zitterte und sie nahe daran war, loszuschluchzen.
»Bitte schön, Prinzessin«, sagte Mademoiselle Bourienne, »jetzt nur noch eine kleine Anstrengung.«
Die kleine Fürstin nahm das Kleid dem Stubenmädchen aus den Händen und trat damit zur Prinzessin Marja.
»Jetzt wollen wir aber die Sache ganz einfach und doch allerliebst machen«, sagte sie.
Die Stimmen der Fürstin, der Gesellschafterin und des Stubenmädchens, die über etwas lachte, flossen zu einem munteren Gezwitscher zusammen, ähnlich dem Durcheinander von Vogelstimmen.
»Nein, laßt mich!« antwortete die Prinzessin.
Ihre Stimme klang so ernst und leidvoll, daß das Vogelgezwitscher sofort verstummte. Die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne blickten in diese großen, schönen, mit Tränen angefüllten Augen, welche die Gedanken der Prinzessin erkennen ließen und mit dem deutlichen Ausdruck flehender Bitte auf sie gerichtet waren, und sie sahen ein, daß alles weitere Zureden nutzlos, ja grausam sein würde.
»Ändere wenigstens die Frisur«, sagte die kleine Fürstin. »Ich habe es Ihnen ja gesagt«, fügte sie, zu Mademoiselle Bourienne gewendet, vorwurfsvoll hinzu. »Marja hat eine Figur, zu der diese Art von Frisur absolut nicht paßt. Absolut nicht, absolut nicht. Bitte, bitte, ändere die Frisur, ja?«
»Laßt mich, laßt mich, mir ist das alles ganz gleichgültig«, antwortete Prinzessin Marja, und es war ihrer Stimme anzuhören, daß sie nur mit Mühe die Tränen zurückhielt.
Mademoiselle Bourienne und die kleine Fürstin mußten sich im stillen bekennen, daß Prinzessin Marja in dieser Toilette sehr häßlich war, häßlicher als sonst; aber es war nun schon zu spät. Sie blickte die beiden mit einem Ausdruck an, den diese auf ihrem Gesicht recht wohl kannten: dieser Ausdruck sprach von vielem Denken und von tiefer Traurigkeit. Dieser Gesichtsausdruck flößte ihnen zwar keine Furcht vor Prinzessin Marja ein (dieses Gefühl erweckte sie überhaupt bei niemandem); aber sie wußten, daß, sobald sich auf ihrem Gesicht dieser Ausdruck zeigte, sie ganz schweigsam wurde und sich in ihren Entschlüssen nicht wankend machen ließ.
»Du wirst die Frisur noch ändern, nicht wahr?« sagte Lisa und verließ, als Prinzessin Marja keine Antwort gab, das Zimmer.
Prinzessin Marja blieb allein. Lisas Wunsch ließ sie unerfüllt; sie unterließ es nicht nur, ihre Frisur zu ändern, sondern blickte auch überhaupt nicht mehr in den Spiegel. Mit niedergeschlagenen Augen und kraftlos herabhängenden Armen saß sie schweigend da und dachte nach. Sie dachte sich einen Mann, ein starkes, ihr in allem überlegenes Wesen von unbegreiflicher Anziehungskraft, und dieser Mann würde sie dann plötzlich in seine eigene, völlig andersartige, glückselige Welt versetzen. Und sie dachte sich ein eigenes Kind an ihrer eigenen Brust, ein solches Kind, wie sie gestern eines bei der Tochter ihrer Amme gesehen hatte; und der Mann würde daneben stehen und sie und das Kind zärtlich anblicken. »Aber nein, es ist nicht möglich; ich bin zu häßlich«, dachte sie.
»Bitte, zum Tee; Seine Durchlaucht der Fürst werden sogleich in den Salon kommen«, meldete das Stubenmädchen, die Tür ein wenig öffnend.
Sie kam von ihren Träumereien wieder zu sich und erschrak über ihre Gedankengebilde. Sie stand auf, trat, ehe sie nach unten ging, vor den Heiligenschrein, richtete ihre Augen auf das von einem Lämpchen beleuchtete, schwarz gewordene Antlitz eines großen Christusbildes und blieb einige Minuten lang mit gefaltenen Händen vor ihm stehen. Ein qualvoller Zweifel erfüllte schon seit längerer Zeit ihre Seele. War für sie die Freude der Liebe, der irdischen Liebe zu einem Mann, möglich? Bei ihren Gedanken an die Ehe träumte Prinzessin Marja ja auch von Familienglück und Kindern; aber das wesentlichste, wichtigste, geheimste Stück ihrer Träumereien war doch die irdische Liebe. Dieses Gefühl war um so stärker geworden, je mehr sie es vor andern und sogar vor sich selbst zu verbergen gesucht hatte. »Mein Gott«, sagte sie jetzt bei sich, »wie kann ich nur in meinem Herzen diese mir vom Teufel eingegebenen Gedanken ersticken? Wie soll ich es anfangen, mich auf immer von solchen bösen Wünschen freizumachen, um mit ruhiger Seele Deinen Willen zu erfüllen?« Und kaum hatte sie diese Frage gestellt, als ihr auch schon Gott durch ihr eigenes Herz die Antwort darauf gab: »Wünsche nichts für dich selbst; suche nicht, beunruhige dich nicht, sei nicht neidisch. Das zukünftige Schicksal der Menschen und deine eigene Bestimmung müssen dir unbekannt bleiben; aber lebe so, daß du zu allem bereit bist. Wenn es Gott gefallen sollte, dich in den Pflichten des Ehestandes zu prüfen, so sei bereit, Seinen Willen zu erfüllen.« Mit diesem beruhigenden Gedanken (aber doch mit der Hoffnung auf Erfüllung ihres verbotenen irdischen Wunsches) bekreuzte sich Prinzessin Marja seufzend und ging hinunter; sie dachte nun weder an ihr Kleid, noch an ihre Frisur, noch daran, wie sie eintreten und was sie sagen solle. Wie unwichtig war das alles im Vergleich mit der Vorherbestimmung Gottes, ohne dessen Willen kein Haar von dem Kopf eines Menschen fällt!
IV
Als Prinzessin Marja in den Salon trat, waren Fürst Wasili und sein Sohn dort bereits anwesend und in einer Unterhaltung mit der kleinen Fürstin und mit Mademoiselle Bourienne begriffen. Als sie mit ihrem schweren Gang (sie trat mit den Hacken auf) hereinkam, erhoben sich die Herren und Mademoiselle Bourienne, und die kleine Fürstin stellte sie den Herren mit den Worten vor: »Da ist Marja.« Prinzessin Marja blickte sämtliche anwesenden Personen aufmerksam an und beobachtete an ihnen mancherlei Einzelheiten: sie sah das Gesicht des Fürsten Wasili, das bei ihrem Anblick noch einen Augenblick lang ernst blieb und dann sofort lächelte, und das Gesicht der kleinen Fürstin, die neugierig von den Gesichtern der Gäste abzulesen suchte, welchen Eindruck Marja auf sie mache; sie sah auch Mademoiselle Bourienne mit ihrem Band im Haar und mit ihrem hübschen Gesicht und dem ganz ungewöhnlich lebhaften Blick, den sie auf »ihn« richtete; aber »ihn« konnte sie nicht sehen: sie sah nur etwas Großes, Leuchtendes, Schönes, das sich auf sie zubewegte, als sie ins Zimmer trat. Zuerst trat Fürst Wasili zu ihr heran, und sie küßte seinen kahlen Kopf, der sich über ihre Hand beugte, und antwortete auf seine Bemerkung, daß sie sich seiner wohl nicht mehr erinnere, sie erinnere sich seiner im Gegenteil sehr wohl. Dann trat Anatol zu ihr. Sie sah ihn noch immer nicht. Sie fühlte nur