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Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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seiner Schönheit überrascht. Anatol hatte den Daumen der rechten Hand hinter einen zugeknöpften Knopf seiner Uniform gesteckt, drückte die Brust heraus, zog den Rücken ein, wiegte sich auf dem einen seitwärts gestellten Bein und hielt den Kopf ein wenig geneigt: in dieser Stellung hielt er schweigend und heiter die Augen auf die Prinzessin gerichtet, aber es machte den Eindruck, als ob er überhaupt nicht an sie denke. Anatol besaß nicht die Gabe der Geistesgegenwart, hatte keine schnelle Fassungskraft und bei der Unterhaltung keine gewandte Zunge; aber dafür besaß er die im gesellschaftlichen Leben sehr wertvolle Eigenschaft der Ruhe und ein durch nichts zu erschütterndes Selbstvertrauen. Wenn jemand, der des Selbstvertrauens ermangelt, bei der ersten Bekanntschaft verstummt und merken läßt, daß er sich der Unschicklichkeit dieses Schweigens bewußt ist und angestrengt nach einem Gesprächsthema sucht, so wirkt das ungünstig; Anatol aber wiegte sich, während er schwieg, auf einem Bein und betrachtete mit vergnügter Miene die Frisur der Prinzessin. Es war deutlich, daß er imstande war, so noch sehr lange in Seelenruhe zu schweigen. »Wenn euch dieses Stillschweigen unbehaglich ist, nun, dann redet; ich für meine Person habe keine Lust dazu«, schien seine Miene zu sagen. Außerdem hatte Anatol im Verkehr mit Frauen eine Manier an sich, die in ganz besonderem Grad geeignet ist, bei diesen Neugier, Furcht und sogar Liebe zu erwecken: er brachte seine Geringschätzung der Frauen und das Bewußtsein seiner eigenen Überlegenheit stark zum Ausdruck. Er sagte gleichsam durch sein Benehmen zu ihnen: »Ich kenne euch, kenne euch genau; aber wozu soll ich mich mit euch abgeben? Ja, das würde euch freuen, wenn ich's täte!« Möglich, daß er das gar nicht dachte, wenn er mit Frauen zusammen war (und es war sogar wahrscheinlich, daß er es nicht tat, da er überhaupt nur sehr wenig dachte); aber sein Äußeres und sein Benehmen machten diesen Eindruck. Die Prinzessin fühlte das heraus, und wie um ihm zu zeigen, daß sie es nicht im entferntesten darauf anlege, sein Interesse zu erwecken, wandte sie sich zum Fürsten Wasili. Es kam ein lebhaftes, gemeinsames Gespräch in Gang, namentlich durch das Verdienst der kleinen Fürstin mit dem munteren Stimmchen und der Oberlippe mit dem Schnurrbärtchen, die sich hinaufzog, so daß die weißen Zähne sichtbar wurden. Sie brachte dem Fürsten Wasili gegenüber jene scherzhafte Gesprächsart zur Anwendung, deren sich vergnügte, plauderlustige Leute häufig bedienen, und welche darin besteht, daß man so tut, als beständen zwischen einem selbst und dem andern, mit dem man in dieser Weise verkehrt, schon längst scherzhafte Beziehungen und amüsante, den anderen Zuhörern zum Teil unbekannte, gemeinsame Erinnerungen, während doch in Wirklichkeit dergleichen Beziehungen und Erinnerungen gar nicht existieren, wie denn auch zwischen der kleinen Fürstin und dem Fürsten Wasili keine vorhanden waren. Fürst Wasili ging gern auf diesen Ton ein; die kleine Fürstin zog in diese Erinnerungen komische Vorgänge hinein, die sich niemals ereignet hatten, sowie auch die Person Anatols, den sie fast gar nicht kannte. Auch Mademoiselle Bourienne beteiligte sich an diesen gemeinsamen Erinnerungen, und sogar Prinzessin Marja fühlte sich mit Vergnügen in dieses lustige Geplauder hineingezogen.

      »Jetzt werden wir Sie wenigstens voll und ganz genießen können, lieber Fürst«, sagte die kleine Fürstin, natürlich auf französisch, zu dem Fürsten Wasili. »Hier ist es anders als auf unsern Abendgesellschaften bei Annette, wo Sie immer sehr bald weglaufen; denken Sie wohl noch an unsere liebe Annette?«

      »Gewiß! Aber reden Sie nur nicht mit mir über Politik, wie Annette!«

      »Und denken Sie noch an unsern Teetisch?«

      »O ja!«

      »Warum haben Sie denn nie bei Annette verkehrt?« fragte die kleine Fürstin Anatol. »Ah, ich weiß, ich weiß«, fuhr sie, mit den Augen zwinkernd, fort. »Ihr Bruder Ippolit hat mir von Ihnen Geschichten erzählt, Geschichten! Oh!« Sie drohte ihm mit dem Finger. »Ich weiß von den Streichen, die Sie noch zuletzt in Paris verübt haben.«

      »Hat dir Ippolit nicht erzählt, wie es ihm ergangen ist?« sagte Fürst Wasili, zu seinem Sohn gewendet, und ergriff dabei die Fürstin an der Hand, als ob sie ihm hätte weglaufen wollen und es ihm noch gerade gelungen wäre, sie festzuhalten. »Hat er dir nicht erzählt, wie er, Ippolit, vor Leidenschaft für die liebenswürdige Fürstin ganz krank war, und wie sie ihn aus dem Haus wies?«

      »Oh! Sie ist die Perle der Frauen, Prinzessin!« wandte er sich an Prinzessin Marja.

      Mademoiselle Bourienne ihrerseits ließ bei dem Wort Paris die Gelegenheit nicht unbenutzt, sich an dem gemeinsamen Gespräch über Erinnerungen auch zu beteiligen.

      Sie erlaubte sich die Frage, ob es schon länger her sei, daß Anatol Paris verlassen habe, und wie ihm diese Stadt gefalle. Anatol antwortete der Französin mit großem Vergnügen und unterhielt sich, indem er sie lächelnd ansah, mit ihr von ihrem Vaterland. Anatol hatte sich gleich, sowie er dieses hübsche Fräulein erblickt hatte, gesagt, daß es auch hier in Lysyje-Gory nicht langweilig sein werde. »Sehr nett«, dachte er jetzt, während er sie betrachtete; »diese Gesellschafterin ist wirklich sehr nett. Ich hoffe, daß die Prinzessin sie mitnimmt, wenn sie meine Frau wird; die Kleine ist allerliebst.«

      Der alte Fürst kleidete sich in seinem Zimmer an, ohne sich zu beeilen, und überlegte mit finsterer Miene, was er zu tun habe. Die Ankunft dieser Gäste ärgerte ihn. »Was habe ich mit dem Fürsten Wasili und seinem Söhnchen zu schaffen? Fürst Wasili ist ein hohler Prahlhans; na, und sein Sohn wird wohl auch ein nettes Bürschchen sein«, brummte er vor sich hin. Er ärgerte sich darüber, daß die Ankunft dieser Gäste in seiner Seele eine Frage wiederaufleben ließ, die er nie hatte entscheiden mögen, sondern, sooft sie in ihm laut wurde, beständig übertäubt hatte, eine Frage, in betreff deren der alte Fürst sich immer einer Selbsttäuschung hingab. Diese Frage bestand darin, ob er sich jemals entschließen werde, sich von Prinzessin Marja zu trennen und sie einem Mann zur Frau zu geben. Der Fürst hatte sich diese Frage noch nie geradezu vorlegen mögen, da er vorherwußte, daß er eine gerechte Antwort darauf geben würde; diese gerechte Antwort aber widerstritt nicht nur seiner Empfindung, sondern in noch höherem Grad seiner gesamten Lebenseinrichtung. Ein Leben ohne Prinzessin Marja, das konnte Fürst Nikolai Andrejewitsch, so wenig er auch seine Tochter anscheinend schätzte, sich gar nicht vorstellen. »Und wozu soll sie heiraten?« dachte er. »Wohl um unglücklich zu werden. Da hat Lisa nun Andrei geheiratet (ein besserer Mann dürfte jetzt schwer zu finden sein), und ist sie etwa mit ihrem Schicksal zufrieden? Und wer wird Marja aus Liebe nehmen? Sie ist häßlich und unbeholfen. Wer sie heiratet, nimmt sie nur um der Konnexionen und des Geldes willen. Und es leben doch so viele als alte Jungfern und sind dadurch eher noch glücklicher.« So überlegte Fürst Nikolai Andrejewitsch, während er sich ankleidete; aber dabei verlangte die immer beiseite geschobene Frage nun unverzügliche Entscheidung. Fürst Wasili hatte seinen Sohn offenbar in der Absicht mitgebracht, um Marjas Hand anzuhalten, und es war zu erwarten, daß er heute oder morgen eine klare Antwort verlangen werde. Name und gesellschaftliche Stellung waren anständig. »Meinetwegen, ich habe nichts dagegen«, sagte der Fürst zu sich selbst; »aber er muß ihrer würdig sein. Und daraufhin müssen wir ihn uns erst einmal ansehen.«

      »Daraufhin müssen wir ihn uns erst einmal ansehen!« sagte er laut vor sich hin. »Daraufhin müssen wir ihn uns erst einmal ansehen!«

      Er ging wie immer mit energischen Schritten in den Salon, musterte rasch mit einem Blick alle Anwesenden, bemerkte den Kleiderwechsel der kleinen Fürstin und das Haarband der Mademoiselle Bourienne und die häßliche Frisur der Prinzessin Marja und das Lächeln der Mademoiselle Bourienne und Anatols und die Vereinsamung seiner Tochter bei dem allgemeinen Gespräch. »Sie hat sich wie eine Närrin aufgeputzt«, dachte er und sah seine Tochter zornig an. »Schämt sich nicht; und er will gar nichts von ihr wissen!«

      Er trat zum Fürsten Wasili.

      »Nun, willkommen, willkommen; ich freue mich, dich zu sehen.«

      »Für einen lieben Freund kommt's einem auf einen Umweg von ein paar Werst nicht an«, sagte Fürst Wasili in seiner gewöhnlichen Weise: schnell, selbstbewußt und in familiärem Ton. »Das hier ist mein Zweiter; wenden Sie ihm, bitte, Ihr freundliches Wohlwollen zu.«

      Fürst Nikolai Andrejewitsch musterte Anatol aufmerksam.

      »Ein hübscher Bursche, ein hübscher Bursche!« sagte er. »Na, komm her und küsse mich.« Er hielt ihm die Wange hin.

      Anatol


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