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Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi


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will nicht sagen, daß es sich ohne Ehrgeiz überhaupt nicht verlohnte zu leben; aber es wäre dann doch eine langweilige Sache. Natürlich kann ich mich darin vielleicht irren, aber ich möchte doch meinen, daß ich eine gewisse Befähigung für den Wirkungskreis besitze, den ich mir ausgewählt habe, und daß die Macht zu wirken – wieviel auch immer mir davon zufallen mag, wenn mir überhaupt etwas davon zufällt – besser in meinen Händen ruhen wird als in den Händen vieler anderer Leute, die ich kenne«, sagte Serpuchowskoi, strahlend im Bewußtsein seines Erfolges. »Und darum bin ich um so zufriedener, je näher ich einem Platze komme, der mir eine größere Wirksamkeit gestattet.«

      »Das ist vielleicht für dich zutreffend, aber nicht für alle. Ich habe früher ebenso gedacht; aber nun lebe ich so ganz einfach dahin und finde, daß es nicht lohnt, lediglich für den Ehrgeiz zu leben«, entgegnete Wronski.

      »Du haben wir's, da haben wir's!« antwortete Serpuchowskoi lachend. »Ich habe bereits gehört, was du getan hast, daß du eine Stelle abgelehnt hast ... Selbstverständlich hattest du dabei meinen Beifall. Aber es hat doch alles so seine besondere Art, in der es getan sein will. Und da glaube ich, daß der Schritt, den du getan hast, an sich gut war, daß du ihn aber nicht in zweckmäßiger Weise getan hast.«

      »Was getan ist, ist getan, und du weißt, ich verleugne nie etwas, was ich einmal getan habe. Und dann befinde ich mich ja auch durchaus wohl dabei.«

      »Durchaus wohl – eine Zeitlang. Aber lebenslänglich wird dir das keine Befriedigung gewähren. Deinem Bruder würde ich das nicht sagen. Der ist ein artiges Kind, so wie unser Wirt hier. Da muß er sein!« fügte er hinzu, auf das Hurrarufen horchend. »Er fühlt sich dabei wohl; aber dich kann das nicht befriedigen.«

      »Das sage ich ja auch nicht, daß mich das befriedigt.«

      »Ja, und das ist noch nicht alles. Solche Leute wie dich haben wir nötig.«

      »Wer hat sie nötig?«

      »Wer sie nötig hat? Der Staat, Rußland. Rußland hat solche Leute nötig, eine Partei von solchen Leuten; sonst geht bei uns alles in die Brüche.«

      »Was meinst du damit? Die Bertenewsche Partei zur Bekämpfung der russischen Kommunisten?«

      »Nein«, antwortete Serpuchowskoi und runzelte die Stirn vor Ärger darüber, daß ihm jemand eine solche Dummheit zutraute. »Tout ça est une blague. Das war immer so und wird immer so bleiben. Kommunisten gibt es gar nicht. Aber ränkesüchtige Leute müssen sich immer eine schädliche, gefährliche Partei erfinden, um sie zu bekämpfen. Das ist ein alter Kunstgriff. Nein, wir brauchen eine obrigkeitliche Partei von unabhängigen Männern wie dich und mich.«

      »Aber warum sind denn ...«, hier nannte Wronski einige Männer in hohen obrigkeitlichen Stellungen, »warum sind die denn keine unabhängigen Leute?«

      »Nur deswegen, weil sie die Unabhängigkeit, die man eigenem Vermögen verdankt, entweder nicht besitzen oder wenigstens nicht von ihrer Geburt an besessen haben, namentlich nicht besessen haben, nicht wie wir in der Nähe der Sonne geboren sind. Sie lassen sich entweder durch Geld oder durch Schmeichelei erkaufen. Und um sich behaupten zu können, müssen sie sich irgendeine Tendenz ersinnen. Und so suchen sie denn irgendeine Ansicht, eine Tendenz durchzuführen, an deren Richtigkeit sie selbst nicht glauben und die nur Unheil stiftet. Und diese ganze Tendenz ist ihnen nur ein Mittel dazu, eine Dienstwohnung und soundso viel Gehalt zu bekommen. Cela n'est pas plus fin que ça, wenn man ihnen in die Karten blickt. Vielleicht bin ich minderwertiger, dümmer als sie, wiewohl ich eigentlich nicht absehen kann, warum ich minderwertiger als sie sein sollte. Aber ich und du, wir haben jedenfalls von vornherein einen wesentlichen Vorzug vor ihnen: daß wir schwerer zu kaufen sind. Und solche Männer sind heutzutage mehr als sonst in Rußland nötig.«

      Wronski hörte aufmerksam zu; aber was ihn interessierte, war nicht sowohl der Inhalt dieser Worte als vielmehr die Stellung, die Serpuchowskoi den bestehenden Zuständen gegenüber einnahm: daß er bereits an einen Kampf mit den Inhabern der Regierungsgewalt dachte und auf diesem hochwichtigen Gebiete schon seine Sympathien und Antipathien hatte, während für ihn selbst in seiner dienstlichen Tätigkeit nur die Interessen seiner Schwadron vorhanden waren. Wronski war sich auch darüber klar, welche persönliche Macht Serpuchowskoi besaß durch seine zweifellose Befähigung, die Sachen zu durchdenken und zu erfassen, durch seinen Verstand und durch eine rednerische Begabung, wie sie in dem Kreise, in dem er lebte, nur selten vorkommt. Und wie sehr Wronski sich auch dieses Gefühles schämte, er beneidete ihn.

      »Es fehlt mir aber doch dazu ein Haupterfordernis«, antwortete er. »Es fehlt mir das Streben nach Macht. Dieses Streben habe ich früher einmal gehabt; aber es ist vergangen.«

      »Verzeih, aber das ist nicht wahr«, erwiderte Serpuchowskoi lächelnd.

      »Doch, es ist wahr, es ist wahr! Um aufrichtig zu sein, will ich hinzusetzen: jetzt«, fügte Wronski hinzu.

      »Ja, jetzt ist es wahr; das ist eine andere Sache; aber dieses Jetzt wird bei dir nicht lebenslänglich dauern.«

      »Kann sein«, antwortete Wronski.

      »Du sagst ›kann sein‹«, fuhr Serpuchowskoi fort, als wenn er Wronskis Gedanken erraten hätte, »ich aber sage dir: bestimmt. Und ebendeswegen hatte ich gern mit dir sprechen wollen. Du hast so gehandelt, wie du handeln mußtest. Dafür habe ich durchaus Verständnis; aber du darfst nicht eigensinnig sein. Ich bitte dich nur um carte blanche. Ich werde dich nicht begünstigen ... Wiewohl – warum sollte ich dich eigentlich nicht auch begünstigen? Wie oft hast du mich begünstigt! Ich hoffe, unsere Freundschaft ist über solche Bedenklichkeiten erhaben. Ja«, sagte er und lächelte ihm ordentlich zärtlich, wie eine Frau, zu. »Gib mir carte blanche und tritt aus dem Regimente aus; dann werde ich dich schon unvermerkt in das richtige Geleise bringen.«

      »Aber so begreife doch nur, daß ich gar kein Verlangen danach habe«, antwortete Wronski. »Mein einziger Wunsch ist, daß alles bleiben möge, wie es bisher gewesen ist.«

      Serpuchowskoi stand auf und stellte sich gerade vor ihn hin.

      »Du sagst, alles möge bleiben wie bisher. Ich verstehe, was für ein Sinn dahinter steckt. Aber höre: wir sind gleichaltrig; vielleicht hast du der Zahl nach mehr Frauen kennengelernt als ich.« Durch sein Lächeln und seine Handbewegungen gab Serpuchowskoi zu verstehen, Wronski habe nichts zu befürchten; er werde den wunden Punkt nur ganz zart und vorsichtig berühren. »Aber ich bin verheiratet, und glaube mir (ich habe das auch irgendwo gedruckt gelesen), wenn man nur seine eigene Frau, die man liebt, kennengelernt hat, so kennt man dadurch die Frauen in ihrer Gesamtheit besser, als wenn man ihrer Tausende kennengelernt hätte.«

      »Wir kommen sofort!« rief Wronski einem Offizier zu, der in das Zimmer hineinblickte und sie zum Regimentskommandeur rief.

      Wronski wollte jetzt gern zu Ende hören, um zu erfahren, was Serpuchowskoi ihm eigentlich zu sagen beabsichtige.

      »Und siehst du, meine Ansicht ist die. Die Frauen sind der hauptsächlichste Stein des Anstoßes für das Wirken des Mannes. Es ist schwer, ein Weib zu lieben und sich dabei irgendwelcher ernsten Tätigkeit zu widmen. Um wirken und dabei zugleich behaglich und ungestört lieben zu können, dazu gibt es nur ein Mittel: die Ehe. Wenn ich dir nur deutlich ausdrücken könnte, was ich meine«, sagte Serpuchowskoi, der gern Bilder und Vergleiche anwendete, »warte mal, warte mal! Wie man ein fardeau zu tragen und dabei doch etwas mit den Händen zu tun nur dann imstande ist, wenn das fardeau auf dem Rücken festgebunden ist, so ist das auch mit der Ehe. Und das habe ich an mir selbst empfunden, als ich mich verheiratet hatte. Auf einmal waren mir die Hände frei geworden. Aber wenn man ohne Ehe dieses fardeau mit sich umherschleppt, dann hat man beide Hände so voll, daß man nichts anderes tun kann. Sieh nur Masankow und Krupow an. Sie haben sich um der Weiber willen ihre ganze Laufbahn verdorben.«

      »Aber was waren das auch für Weiber!« rief Wronski, da er an die Französin und an die Schauspielerin dachte, mit denen die beiden genannten Männer Verhältnisse hatten.

      »Die Sache ist um so schlimmer, je fester die Stellung einer Frau in der Gesellschaft ist; um so schlimmer. Das


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