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Der Golem / Голем. Густав МайринкЧитать онлайн книгу.

Der Golem / Голем - Густав Майринк


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tanzten vorüber, lachten und kümmerten sich nicht um mich.

      Nur ein Pierrot sieht sich nachdenklich um nach mir und kehrt zurück. Pflanzt sich vor mich hin und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein Spiegel.

      Er schneidet so seltsame Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald zögernd, bald blitzschnell, daß sich meiner ein gespenstiger Trieb bemächtigt ihn nachzuahmen, mit den Augen zu zwinkern, mit den Achseln zu zucken und die Mundwinkel zu verziehen.

      Da stoßen ihn ungeduldig nachdrängende Gestalten zur Seite, die alle vor meine Blicke wollen.

      Doch keines der Wesen hat Bestand.

      Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen Töne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Mund entströmen.

      Das war kein Buch mehr, das zu mir sprach. Das war eine Stimme. Eine Stimme, die etwas von mir wollte, was ich nicht begriff; wie sehr ich mich auch abmühte. Die mich quälte mit brennenden, unverständlichen Fragen.

      Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und ohne Widerhall.

      Jeder Laut, der in der Welt der Gegenwart erklingt, hat viele Echos, wie jegliches Ding einen großen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch diese Stimme hatte keine Echos mehr, – lange, lange schon sind sie wohl verweht und verklungen. —

      Und bis zu Ende hatte ich das Buch gelesen und hielt es noch in den Händen, da war mir, als hätte ich suchend in meinem Gehirn geblättert und nicht in einem Buche! —

      Alles, was mir die Stimme gesagt, hatte ich, seit ich lebte, in mir getragen, nur verdeckt war es gewesen und vergessen und hatte sich vor meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag. —

      Ich blickte auf.

      Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte?

      Fortgegangen!?

      Wird er es holen, wenn es fertig ist?

      Oder sollte ich es ihm bringen? -

      Aber ich konnte mich nicht erinnern, daß er gesagt hätte, wo er wohne.

      Ich wollte mir seine Erscheinung ins Gedächtnis zurückrufen, doch es mißlang.

      Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? – Und welche Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt?

      Nichts, gar nichts mehr konnte ich mir vorstellen. – Alle Bilder, die ich mir von ihm schuf, zerrannen haltlos, noch ehe ich sie im Geiste zusammenzusetzen vermochte.

      Ich schloß die Augen und preßte die Hand auf die Lider, um einen winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen.

      Nichts, nichts.

      Ich stellte mich hin, mitten ins Zimmer, und blickte auf die Tür, wie ich es getan – vorhin, als er gekommen war, und malte mir aus: jetzt biegt er um die Ecke, jetzt schreitet er über den Ziegelsteinboden, liest jetzt draußen mein Türschild «Athanasius Pernath» und jetzt tritt er herein.

      Vergebens.

      Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen, wollte in mir erwachen.

      Ich sah das Buch auf dem Tische liegen und wünschte mir im Geiste die Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte.

      Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblößt gewesen, ob jung oder runzlig, mit Ringen geschmückt oder nicht, konnte ich mich entsinnen.

      Da kam mir ein seltsamer Einfall.

      Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf.

      Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den Gang und die Treppen hinab. Dann kam ich langsam wieder zurück in mein Zimmer.

      Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als ich die Tür öffnete, da sah ich, daß meine Kammer voll Dämmerung lag. War es denn nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging?

      Wie lange mußte ich da gegrübelt haben, daß ich nicht bemerkte, wie spät es ist!

      Und ich versuchte den Unbekannten nachzuahmen in Gang und Mienen und konnte mich an sie doch gar nicht erinnern. —

      Wie sollte es mir auch glücken, ihn nachzuahmen, wenn ich keinen Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte.

      Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte.

      Meine Haut, meine Muskeln, mein Körper erinnerten sich plötzlich, ohne es dem Gehirn zu verraten. Sie machten Bewegungen, die ich nicht wünschte und nicht beabsichtigte.

      Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehörten!

      Mit einem Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als ich ein paar Schritte im Zimmer machte.

      Das ist der Gang eines Menschen, der beständig im Begriffe ist, vornüber zu fallen, sagte ich mir.

      Ja, ja, ja, so war sein Gang!

      Ganz deutlich wußte ich: so ist er.

      Ich trug ein fremdes, bartloses Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen und schaute aus schrägstehenden Augen.

      Ich fühlte es und konnte mich doch nicht sehen.

      Das ist nicht mein Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich in die Tasche und holte ein Buch hervor.

      Ganz so, wie er es vorhin getan hatte. —

      Da plötzlich sitze ich wieder ohne Hut, ohne Mantel, am Tische und bin ich. Ich, ich.

      Athanasius Pernath.

      Grausen und Entsetzen schüttelten mich, mein Herz raste zum Zerspringen, und ich fühlte: gespenstische Finger, die soeben noch in meinem Gehirn herumgetastet, haben von mir abgelassen.

      Noch spürte ich im Hinterkopf die kalten Spuren ihrer Berührung. —

      Nun wußte ich, wie der Fremde war, und ich hätte ihn wieder in mir fühlen können, – jeden Augenblick – wenn ich nur gewollt hätte; aber sein Bild mir vorzustellen, daß ich es vor mir sehen würde Auge in Auge – das vermochte ich noch immer nicht und werde es auch nie können.

      Es ist wie ein Negativ, eine unsichtbare Hohlform, erkannte ich, deren Linien ich nicht erfassen kann – in die ich selber hineinschlüpfen muß, wenn ich mir ihrer Gestalt und ihres Ausdrucks im eigenen Ich bewußt werden will —

      In der Schublade meines Tisches stand eine eiserne Kassette; – in diese wollte ich das Buch sperren und erst, wenn der Zustand der geistigen Krankheit von mir gewichen sein würde, wollte ich es wieder hervorholen und an die Ausbesserung des zerbrochenen Initialen «I» gehen.

      Und ich nahm das Buch vom Tisch.

      Da war mir, als hätte ich es gar nicht angefaßt; ich griff die Kassette an: dasselbe Gefühl. Als müßte das Tastempfinden eine lange, lange Strecke voll tiefer Dunkelheit durchlaufen, ehe es in meinem Bewußtsein mündete, als seien die Dinge durch eine jahresgroße Zeitschicht von mir entfernt und gehörten einer Vergangenheit an, die längst an mir vorübergezogen!

      Die Stimme, die nach mir suchend in der Finsternis kreist, um mich mit dem fettigen Stein zu quälen, ist an mir vorbeigekommen und hat mich nicht gesehen. Und ich weiß, daß sie aus dem Reiche des Schlafes stammt. Aber was ich erlebt, das war wirkliches Leben, – darum konnte sie mich nicht sehen und sucht vergeblich nach mir, fühle ich.

      Prag

      Neben mir stand der Student Charousek, den Kragen seines dünnen, fadenscheinigen Überziehers aufgeschlagen, und ich hörte, wie ihm vor Kälte die Zähne aufeinanderschlugen.

      Er kann sich den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen, sagte ich mir, und ich forderte ihn auf, mit hinüber in meine Wohnung zu kommen.

      Er aber lehnte ab.

      «Ich danke Ihnen, Meister Pernath», murmelte er fröstelnd, «leider habe ich nicht mehr so viel Zeit übrig; – ich muß eilends in die Stadt. – Auch würden wir bis auf die Haut naß, wenn wir


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