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Der Golem / Голем. Густав МайринкЧитать онлайн книгу.

Der Golem / Голем - Густав Майринк


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an den Gesichtern der Häuser herunter wie ein Tränenstrom.

      Wenn ich den Kopf ein wenig vorbog, konnte ich da drüben im vierten Stock mein Fenster sehen, das, vom Regen überrieselt, aussah, als seien seine Scheiben aufgeweicht, – undurchsichtig und höckerig geworden wie Hausenblase.

      Ein gelber Schmutzbach floß die Gasse herab, und der Torbogen füllte sich mit Vorübergehenden, die alle das Nachlassen des Unwetters abwarten wollten.

      «Dort schwimmt ein Brautbukett», sagte plötzlich Charousek und deutete auf einen Strauß aus welken Myrten, der in dem Schmutzwasser vorbeigetrieben kam.

      Darüber lachte jemand hinter uns laut auf.

      Als ich mich umdrehte, sah ich, daß es ein alter, vornehm gekleideter Herr mit weißem Haar und einem aufgedunsenen, krötenartigen Gesicht gewesen war.

      Charousek blickte ebenfalls einen Augenblick zurück und brummte etwas vor sich hin.

      Unangenehmes ging von dem Alten aus; – ich wandte meine Aufmerksamkeit von ihm ab und musterte die mißfarbigen Häuser, die da vor meinen Augen wie verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinander hockten.

      Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen!

      Ohne Überlegung hingebaut standen sie da, wie Unkraut, das aus dem Boden dringt.

      An eine niedrige, gelbe Steinmauer, den einzigen standhaltenden Überrest eines früheren, langgestreckten Gebäudes, hat man sie angelehnt – vor zwei, drei Jahrhunderten, wie es eben kam, ohne Rücksicht auf die übrigen zu nehmen. Dort ein halbes, schiefwinkliges Haus mit zurückspringender Stirn; – ein andres daneben: vorstehend wie ein Eckzahn.

      Unter dem trüben Himmel sahen sie aus, als lägen sie im Schlaf, und man spülte nichts von dem tückischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen ausstrahlt, wenn der Nebel der Herbstabende in den Gassen liegt und ihr leises, kaum merkliches Mienenspiel verbergen hilft.

      In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck in mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des Nachts und im frühesten Morgengrauen für sie gäbe, wo sie erregt eine lautlose, geheimnisvolle Beratung pflegen. Und manchmal fährt da ein schwaches Beben durch ihre Mauern, das sich nicht erklären läßt, Geräusche laufen über ihre Dächer und fallen in den Regenrinnen nieder, – und wir nehmen sie mit stumpfen Sinnen achtlos hin, ohne nach ihrer Ursache zu forschen.

      Oft träumte mir, ich hätte diese Häuser belauscht in ihrem spukhaften Treiben und mit angstvollem Staunen erfahren, daß sie die heimlichen, eigentlichen Herren der Gasse seien, sich ihres Lebens und Fühlens entäußern und es wieder an sich ziehen können, – es tagsüber den Bewohnern, die hier hausen, borgen, um es in kommender Nacht mit Wucherzinsen wieder zurückzufordern.

      Und lasse ich die seltsamen Menschen, die in ihnen wohnen wie Schemen, wie Wesen – nicht von Müttern geboren, – die in ihrem Denken und Tun wie aus Stücken wahllos zusammengefügt scheinen, im Geiste an mir vorüberziehen, so bin ich mehr denn je geneigt zu glauben, daß solche Träume in sich dunkle Wahrheiten bergen, die mir im Wachsein nur noch wie Eindrücke von farbigen Märchen in der Seele fortglimmen.

      Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem künstlichen Menschen, wieder auf, den einst hier im Getto ein kabbalakundiger Rabbiner aus dem Elemente formte und ihn zu einem gedankenlosen automatischen Dasein berief, indem er ihm ein magisches Zahlenwort hinter die Zähne schob.

      Und wie jener Golem zu einem Lehmbild in derselben Sekunde erstarrte, in der die geheime Silbe des Lebens aus seinem Munde genommen ward, so müßten auch, dünkt mich, alle diese Menschen entseelt in einem Augenblick zusammenfallen, löschte man irgendeinen winzigen Begriff, ein nebensächliches Streben, vielleicht eine zwecklose Gewohnheit bei dem einen, bei einem andern gar nur ein dumpfes Warten auf etwas gänzlich Unbestimmtes, Haltloses – in ihrem Hirn aus.

      Was ist dabei für ein immerwährendes, schreckhaftes Lauern in diesen Geschöpfen!

      Niemals sieht man sie arbeiten, diese Menschen, und dennoch sind sie früh beim ersten Leuchten des Morgens wach und warten mit angehaltenem Atem – wie auf ein Opfer, das doch nie kommt.

      Und hat es wirklich einmal den Anschein, als träte jemand in ihren Bereich, irgendein Wehrloser, an dem sie sich bereichern könnten, dann fällt plötzlich eine lähmende Angst über sie her, scheucht sie in ihre Winkel zurück und läßt sie von jeglichem Vorhaben zitternd abstehen.

      Niemand scheint schwach genug, daß ihnen noch so viel Mut bliebe, sich seiner zu bemächtigen.

      «Entartete, zahnlose Raubtiere, von denen die Kraft und die Waffe genommen ist», sagte Charousek zögernd und sah mich an. —

      Wie konnte er wissen, woran ich dachte? -

      So stark facht man zuweilen seine Gedanken an, daß sie imstande sind, auf das Gehirn des Nebenstehenden überzuspringen wie sprühende Funken, fühlte ich.

      «– wovon sie nur leben mögen?» sagte ich nach einer Weile.

      «Leben? Wovon? Mancher unter ihnen ist ein Millionär!»

      Ich blickte Charousek an. Was konnte er damit meinen!

      Der Student aber schwieg und sah nach den Wolken.

      Für einen Augenblick hatte das Stimmengemurmel in dem Torbogen gestockt, und man hörte bloß das Zischen des Regens.

      Was er nur damit sagen will: «Mancher unter ihnen ist ein Millionär!?»

      Wieder war es, als hätte Charousek meine Gedanken erraten. Er wies nach dem Trödlerladen neben uns, an dem das Wasser den Rost des Eisengerümpels in fließenden, braunroten Pfützen vorbeispülte.

      «Aaron Wassertrum! Er zum Beispiel ist Millionär, – fast ein Drittel der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!»

      Mir blieb förmlich der Atem im Mund stecken. «Aaron Wassertrum! Der Trödler Aaron Wassertrum Millionär?!»

      «Oh, ich kenne ihn genau», fuhr Charousek verbissen fort, und als hätte er nur darauf gewartet, daß ich ihn frage. «Ich kannte auch seinen Sohn, den Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm gehört? Von Dr. Wassory, dem – berühmten – Augenarzt? – Vor einem Jahr noch hat die ganze Stadt begeistert von ihm gesprochen, – von dem großen – Gelehrten. Niemand wußte damals, daß er seinen Namen abgelegt und früher Wassertrum geheißen. – Er spielte sich gerne auf den weitabgewandten Mann der Wissenschaft hinaus, und wenn einmal auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt so mit halben Worten hin, daß sein Vater noch aus dem Getto stamme, – sich aus den niedrigsten Anfängen heraus unter Kummer aller Art und unsäglichen Sorgen empor ans Licht habe arbeiten müssen.

      Ja! Unter Kummer und Sorgen!

      Unter wessen Kummer und unsäglichen Sorgen aber und mit welchen Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt!

      Ich aber weiß, was es mit dem Getto für eine Bewandtnis hat!» Charousek faßte meinen Arm und schüttelte ihn heftig.

      «Meister Pernath, ich bin so arm, daß ich es selbst kaum mehr begreife; ich muß halbnackt gehen wie ein Vagabund, sehen Sie her, und ich bin doch Student der Medizin, – bin doch ein gebildeter Mensch!»

      Er riß seinen Überzieher auf und ich sah zu meinem Entsetzen, daß er weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel über der nackten Haut trug.

      «Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmächtigen, angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte, – und noch heute ahnt keiner, daß ich, ich der eigentliche Urheber war.

      Man meint in der Stadt, ein gewisser Dr. Savioli sei es gewesen, der seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben hat. – Dr. Savioli war nichts als mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein habe den Plan erdacht und das Material zusammengetragen, habe die Beweise geliefert und leise und unmerklich Stein um Stein in dem Gebäude Dr. Wassorys gelockert, bis der Zustand erreicht war, wo kein Geld der Erde, keine List des Gettos mehr vermocht hätten, den Zusammenbruch, zu dem es nur noch eines unmerklichen Anstoßes bedurfte, abzuwenden.

      Wissen


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