Im Reiche des silbernen Löwen IV. Karl MayЧитать онлайн книгу.
hier in der »Gruft«, in diesem Grabe deines Jugendmutes, und hinter einem fremden Namen zu verstecken! Vor wem? Etwa vor dem Leben, welches dich gar nicht angegriffen hat? Nein, sondern vor jenem Nichtse, das für dich bald ein »Erdengott« und bald ein nichtiges Phantasma ist!«
Ich hatte in wohl ernstem Tone gesprochen. Da griff er sich mit den Händen nach dem Kopfe, schaute vor sich nieder, ließ die Arme wieder sinken, holte tief, tief Atem und sagte:
»Effendi, du schonst mich wahrlich nicht! Ich sehe und ich höre, du bist mein Freund, mein wirklicher! Solche Klarheit, wie du mir giebst, ist mir noch nie geworden! Willst du mich vernichten, um mich als einen anderen wieder aufzurichten? Wohlan, thue es! Doch erlaube mir, mich in deine Klarheit hineinzufinden! Sie kommt zu plötzlich über mich! Ein Nichts und doch ein »Erdengott«! Ja, ich habe Beides gesagt und mit Beidem dieselbe Person gemeint. Konnte sie beides sein, beides?«
»Ja; sie konnte es. Aber ich bitte dich: Denke nicht an konkrete Personen, niemals, nie! Sondern abstrahiere! Der Bauer reißt die Giftpflanzen aus der Erde und wirft sie auf den Dünger. Der Chemiker aber zieht auch aus ihnen wohlthätige Extrakte. Auch ich kenne sogenannte »Erdengötter«. Ich meine da nicht etwa die wirklich großen Menschen, sondern eben die »Götter« der Denkfaulheit und Urteilslosigkeit. Für mich aber sind sie nur wie jene Pflanzen: Ich koche ihre Seelen für mich aus, damit die meinige an diesem Trank sich stärke. Andere Gründe ihrer Existenz kenne ich nicht. Sie gedeihen nie im geistigen Sonnenscheine, sondern immer nur da, wo das Reich der Schatten eine seiner Provinzen errichtet hat. Dort sind sie Herr und Meister! Dort giebt es keine Persönlichkeit, kein Wollen und kein Dürfen. Die kleinen Schattlein haben ja alle in den großen zu fallen, um zu huschen und zu schleichen, so, wie er schleicht und huscht. Und wenn er einmal den Mund öffnet, weil dort im Sonnenscheine eine wirkliche Existenz den Mund geöffnet hat, so schau nur hin, was da erscheinen wird! Was dort der lebendige Odem des Geistes war, das ist hier nur der Dunst des lichtlos dunklen Bodens, auf dem der Schatten liegt und kriecht. – Ich spreche im allgemeinen, denn geistige Personen giebt es hier ja nicht. Wie ich auf die Schatten anderer sehr ruhig meine Füße setze, so mögen die andern auch ganz getrost auf den meinigen treten. Sie verletzen damit keinen wirklichen Menschen. Wer ihn aber mit Fußtritten strafen wollte, der wäre ein Thor, weil bei diesen Schemen ja überhaupt kein Stapfen haftet! So lange die Erde steht, haben diese Zerrgebilde sich unter den Füßen des menschlichen Verstandes und der denkenden Vernunft herumgetrieben, aber ich habe noch nicht gehört, daß ein Schatten durch diese Fußtritte nicht Schatten geblieben, sondern Mensch geworden sei. Darum begreife ich, o Ustad, nicht, daß die deinen eine so große Macht über dich besessen haben und heut noch zu besitzen scheinen!«
»Effendi, es waren die mythologischen Schatten, die Furien!« rief er aus.
»Wenn zehnmal und wenn tausendmal! Wer sind die Furien? Giebt es welche, oder leben sie nur in unserer Einbildung? Im letzteren Falle sind sie Geschöpfe meiner Phantasie, und ich kann sie vernichten, wann, wo und wie es mir beliebt. Im ersteren Falle aber frage ich: Wer steht höher, sie oder ich? Sie, die von meinen Fehlern und Sünden leben, oder ich, der ich sie ihnen hinwerfe, um rein oder gut zu werden? Welche Furie darf sich an mich wagen eines Fehlers wegen, den ich nicht mehr habe, weil nun sie ihn zwischen ihren Krallen hält, um sich an ihm zu mästen? Sie lebt von dem, was mir widerlich geworden ist. Sie steht so unendlich tief unter mir, daß ich es gar nicht hören oder sehen kann, wenn die Knochen meiner Sünden unter ihrem Raubgebisse krachen!«
»Aber andere hören es!« warf er ein.
»Wer?« fragte ich schnell und kurz. »Doch nur solche, die ebenso tief da unten wohnen. Die werden allerdings einen zähnefletschenden Jubel erheben, darüber, daß ihresgleichen sich abermals am Sündenaase laben kann. Aber jeder Brave, dem es bekannt würde, müßte es anerkennen, daß du nichts mehr von deinen Fehlern wissen willst. Dies letztere müßtest du ihm aber dadurch beweisen, daß du sie nicht etwa verteidigst, sondern sie den Furienkrallen schweigend überlässest. Nun sag, wie hast du dich verhalten?!«
Da setzte er sich hin, senkte den Kopf, legte die Hände zusammen und antwortete:
»Effendi, ich habe mich gewehrt, gegen diese Furien gewehrt, fast bis zum letzten Reste meiner Kraft!«
»So wundere dich nicht darüber, daß sie sogar noch heute Macht über dich besitzen! Du hast ihnen nicht erlaubt, reine Arbeit zu machen. Ich sage dir: Diese Eumeniden ruhen nicht. Sie werden nicht ohne Ursache mit kralligen Fingern, gifttriefendem Munde und hervorgestreckter Zunge abgebildet. Ihr Gift wird so lange triefen und ihre Zungen werden so lange heraushängen, bis dir der letzte und auch der allerletzte Rest von dem, was nicht hineingehört, aus dem Leibe und aus der Seele gerissen worden ist!«
Da stand er rasch wieder auf, faßte mich am Arme und sagte:
»Wie richtig Effendi! Oh, du scheinst sie doch zu kennen! Weißt du, was so eine Furie tat? Nein, du kannst es nicht wissen, nicht einmal ahnen! Du wirst es für unmöglich halten, aber es ist die volle Wahrheit; du kannst es mir glauben! Als diese Eumenide meine sogenannten öffentlichen Fehler öffentlich verzehrt hatte, war sie noch nicht satt. Sie begann nun auch nach heimlichen Sünden zu suchen. Sie war so unvorsichtig Briefe zu schreiben, in denen sie fragte, ob man vielleicht etwas gegen mich wisse. Man brachte mir solche Briefe. Wenn ich sie nicht gesehen und gelesen hätte, so würde ich heute wahrscheinlich glauben, daß es gar keine Furien gebe. Du siehst also, daß sie nicht bloß mythologische Gestalten, sondern noch jetzt lebende Wesen sind! Schatten, die unhörbar leise hinter meinem Rücken schleichen, um sogar die verborgensten Bewegungen meines Lebens aufzufangen, damit man sie selbst trotz ihrer Dunkelheit für reine, lichte Wesen halte! Glaubst du, was ich dir da erzählte, Effendi?«
Er wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern fuhr fort:
»Du hast gelächelt, und jetzt lachst du gar! Und zwar so eigentümlich! Warum? Du machst mich aufmerksam! Solltest vielleicht auch du – — du – — – du – — – —? Doch nein! In deinem frommen Christenlande kann es ja niemals solche Furien geben! Denn, würde eine entdeckt, so müßte sich die ganze Christenheit, die volle Priesterschaft an ihrer Spitze, erheben, um entrüstet nachzuweisen, daß ihre Liebes-, Gnaden- und Verzeihungsreligion unmöglich Eumeniden dulden kann! Verzeihe mir! Verzeihe mir im Namen deiner Christenheit, daß mir auch nur der Gedanke hieran kommen konnte! Ich sehe zu meinem Erstaunen, daß ich noch Schatten werfe, sogar auf dein geliebtes Abendland hinüber!«
»Beruhige dich!« bat ich ihn. »Der König des Schattenlandes, von welchem dein Märchen erzählte, hat Unterthanen überall. Auch bei uns! Doch will ein solcher Schatten einmal zur Furie werden, so behandeln wir ihn anders, als du deine Eumeniden behandelt hast. Wir lassen ihn sein trauriges Werk vollenden. Wir stören ihn nicht. Es ist ja doch wohl mehr als Strafe genug für ihn, daß er es thut! Wir sagen ihm sogar noch Dank dafür, jedoch nur öffentlich, selbst wenn er heimlich wirkt. Du siehst, wir haben sogar für die Furien nur Liebe und Verstand! Wir Christen wissen nur zu gut: Es kommt die Zeit, in der die Schatten schwinden. Was dann aus ihnen wird, das wissen wir zwar nicht, doch sagt das heilige Buch: »Ihre Werke folgen ihnen nach!« Und ich, ich möchte dereinst mit solchen Werken nichts zu thun haben. Ich habe mit den Menschen, selbst mit solchen Furien, nachsichtig zu sein, weil ich wünsche, daß Gott dann, wenn es sich um meine Abrechnung handelt, auch gnädig mit mir sein möge!«
Da sagte er in plötzlich ganz anderem Tone:
»Du sprichst von einem »Wir«. Etwa mit Ueberzeugung, Effendi? Spielen wir Komödie miteinander? Denken und handeln wirklich alle Christen so, wie du mit diesem »Wir« mich glauben machen willst?«
»Komödie?« fragte ich. »Wer hat damit begonnen, ich oder du?«
»Wieso ich?«
Jetzt war er es, welcher bei diesen zwei Worten lächelte. Dieses Lächeln verriet mir, daß es ihm ganz lieb sei, von mir verstanden worden zu sein. Doch drängte ich ihn noch weiter, indem ich sprach:
»Wie war deine Bitte um Verzeihung gemeint, Ustad?«
»Ganz so, wie du willst; ganz so, wie du sie betonst. Man kann mit genau denselben Worten Glauben oder Zweifel, Vertrauen oder Mißtrauen, Lob oder Tadel aussprechen. Es kommt auf den Ton an und auf den Willen dessen, zu dem man redet. Du bist kein Kind. Ich weiß, daß ich nicht nötig habe,