Schulmeisters Marie. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.
dem jungen Mann vorteilhaft auffallen. Derselbe hieß Joseph, war der Stiefbruder des Bräutigams und der einzige Sohn der Frau Sanner – ihr Abgott und Erbe all ihrer Besitztümer.
Gegen so viele Vollkommenheiten waren natürlich die Herzen der Dorfschönen nicht gestählt. Das sah man hauptsächlich an ihrem Bestreben, den schönen Tänzer, der unbegreiflicherweise für den herrlichen Walzer plötzlich taub geworden zu sein schien, wieder in ihre Reihen zu ziehen – allein vergebens. Er trat endlich zu einer Gruppe alter Frauen, die in seiner Nähe saß; mehrere derselben entwickelten eine staunenswerte Zungenfertigkeit.
»Eine jede von euch weiß, wie es scheint, Hunderte von Fehlern an der Schulmeisterin«, sagte er fast ungeduldig. »Was hat sie denn aber getan, daß sie gefänglich eingezogen worden ist?«
»Das kann Euch Mamsell Dore am allerbesten erzählen«, sagte der Wirt, der eben hinzutrat; über seinen buschigen, strohfarbenen Augenbrauen und auf den Wangen flammten noch blutrote Flecken des Zornes.
Mamsell Dore jedoch sah scheel nach dem Sprechenden auf und entgegnete mürrisch: »Laßt mich zufrieden. Mir steht die Sache bis an den Hals. Ich habe so viel Ärger und widerwärtige Gänge wegen dieser Dieberei gehabt, daß ich froh bin, wenn ich nicht daran denke!«
Damit stand sie auf und rauschte von dannen.
»Wie, gestohlen hätte diese Frau?« fragte ungläubig der junge Mann.
»Na – und ob!« entgegnete der Wirt. »Seht«, fuhr er fort, und ein Blick des Hasses und Ingrimms streifte das Häuschen der Schulmeisterin, »das Weib da oben hatte ihr Lebtag einen Dünkel, daß es kaum zu sagen ist… Glaubt Ihr denn, daß die je in eine Spinnstube gegangen wäre? Ja, da kommt Ihr schön an, die war ihr lange nicht gut genug. Zur Kirmse saß sie an ihrem Fenster und guckte auf die Gäste runter, als sei die Nußschale da droben ein Rittergut und sie die gnädige Frau… Ihr Mann war nicht um ein Haar besser. Er nannte seine Frau – ha, ha, ich muß noch lachen, wenn ich daran denke – seine Rose, seine Krone und Gott weiß was alles. Der ist gestorben, ohne zu wissen, wie die grüne Tanne inwendig aussieht; er hielt sich für viel vornehmer als der Pfarrer, der gar oft auf ein Spielchen bei mir einspricht… In seinem Garten, nicht größer als meine Hand, steckte er den lieben langen Tag und vertat seine paar Groschen in teurem Blumensamen. Wenn nun das nichtsnutzige Zeug wuchs und blühte, hatte Euch der alte Narr eine Freude, als ob er eine unverhoffte Erbschaft getan hätte… Auf einmal starb er und hinterließ seiner Frau nichts als das Häuschen und zwei Kinder. Da hat sie denn bald gemerkt, daß der Hunger vor den grün angestrichenen Fensterläden und den weißen Vorhangslappen so wenig Respekt hat als vor den elenden Baracken draußen am Ende des Dorfes, und so ist es gekommen, daß sie« – er machte eine unzweideutige Gebärde, die das bezeichnet, was man »lange Finger« zu nennen pflegt.
Der junge Mann mußte zu dieser Anschuldigung abermals ein zweifelhaftes Gesicht machen, denn der Wirt fuhr ihn heftig und polternd an: »Na, na, spielt Euch nur nicht gar so auf den ungläubigen Thomas!… Hat Euch die Alte etwa auch behext mit ihrem scheinheiligen Getue?… Na, wartet nur, Ihr werdet schon klein beigeben… Vor ein paar Monaten sitzt Mamsell Dore spätabends allein in der Pfarre. Sie hatte alle Türen fest verschlossen, weil sie sich fürchtete; denn der Herr Pfarrer war verreist, und es lag viel Geld im Hause… Da hört sie auf einmal ein Hin- und Hertappen draußen auf dem Gang. Sie kriegt eine Gänsehaut und traut sich natürlich nicht von der Stelle. Weil aber der Spektakel gar nicht aufhört, so faßt sie sich endlich ein Herz, macht schnell auf und leuchtet hinaus. Da steht denn unten am äußersten Ende des Ganges, vor der weit offenen Stubentür des Herrn Pfarrers, die Schulmeisterin, leichenblaß vor Schrecken. Mamsell Dore fragt ganz erstaunt, wie sie denn durch die fest verschlossene Haustür hereingekommen sei? Darauf sagte die Schulmeisterin, aber stotternd und bebend – Mamsell Dore hat gehört, wie ihr die Zähne klapperten —, sie habe die Haustür offen gefunden. Als sie aber den Gang betreten habe, da sei etwas rasch an ihr vorbeigesprungen – an dem heftigen Stoß, den sie dabei erhalten, und an den starken Schritten habe sie gemerkt, daß es eine Mannsperson gewesen sein müsse. Der Schrecken und die Dunkelheit seien schuld, daß sie an das falsche Ende des Ganges getappt sei; denn sie habe nicht zu dem Herrn Pfarrer, sondern zu Mamsell Dore gewollt, um Brustsirup für ihr krankes Kind von ihr zu holen.«
»Das war alles erlogen«, fiel hier eine Frau dem Erzähler eifrig ins Wort, »denn Ihr müßt wissen«, wandte sie sich an Joseph, »daß der Wirt auch gerade am Pfarrhause vorüberging, als die Schulmeisterin hineinschlich, und da ihm dies auffiel, so blieb er ein Weilchen stehen. Der hat nun ganz gesunde Augen im Kopfe, wie Ihr seht; aber von einem Kerl, der herausgesprungen sein soll, hat er nichts gesehen – das hat er auch vor Gericht ausgesagt – gelt, Tannenwirt?«
»Nu ja«, entgegnete dieser, indem sein Gesicht dunkelrot wurde – ob vor Zorn oder Verlegenheit, wer konnte es wissen? —, »unterbrich mich nicht, du bist und bleibst ein altes Plappermaul. – Am andern Morgen«, fuhr er fort, »gab‘s einen höllischen Lärm im Dorfe. Der Herr Pfarrer war wieder da und hatte eine hübsche Bescherung an seinem Schreibpult gefunden. Die Klappe war zwar ganz manierlich angelehnt, so daß Mamsell Dore am Abend vorher, als sie nach dem Weggang der Schulmeisterin noch einmal so oberflächlich hinsah, nichts merken konnte; aber das Schloß war erbrochen, und 700 Reichstaler, ein Kapital, das dem Herrn Pfarrer vor einigen Tagen heimgezahlt worden war, hatten Reißaus genommen.«
»Und das soll die Frau Lindner getan haben?« fragte Joseph.
»Ei freilich!« schrie der ganze Weiberchor, wie aus einem Munde. »Wer denn sonst?«
»Ihr ganzes Haus«, fuhr eine derselben fort, »wurde durchsucht; das half freilich nichts. Die wird doch nicht so dumm gewesen sein, das Geld im Hause zu behalten – das liegt irgendwo gut aufgehoben, bis die Leute nicht mehr so viel davon sprechen; dann geht die Reise nach Amerika; denn das war immer der Schulmeisterin ihr Plan… Gut also, es fand sich nichts weiter als fünfzig blanke Taler – Pflegegeld für das Kind, sagte sie, das sie ein Jahr vorher mit heimgebracht hatte; woher? – das kann Euch niemand sagen. Ob der Bastel mit seiner Vermutung so gar unrecht hat, weiß ich doch nicht – die Marie war gerade dazumal in der Stadt, um Nähen zu lernen – ich will aber nichts gesagt haben… Die Schulmeisterin wurde nun nach A. zur Untersuchung gebracht. Da hat sie aber einen Advokaten genommen, der hat die Sache so fein gedreht, daß man ihr nicht an den Kragen konnte – du lieber Gott, man weiß ja auch nicht, was der vielleicht dabei gehabt hat? Na, kurz und gut, sie ist heute entlassen worden; aber wenn auch alle Rechtsverdreher der Welt sagen, sie habe das Geld nicht – das ganze Dorf wird doch mit Fingern auf sie zeigen, denn hier glaubt‘s jedes Kind!«
»Ich aber nicht!« rief Joseph. »Die Frau ist keine Diebin, da wollt‘ ich gleich Hab und Gut verwetten!«
Der Wirt kehrte ihm zornig den Rücken; die Zunächstsitzenden konnten hören, wie er etwas von »naseweisen Gelbschnäbeln« und dergleichen in den Bart brummte. Er packte klirrend einige leere Krüge zusammen und trat in die Schenke. Auch in den Augen der Weiber hatte der unbefugte junge Anwalt der Verfemten bedeutend verloren. Er achtete indes ganz und gar nicht auf die giftigen Blicke, die ihm zuteil wurden, und begrüßte mit einer höflichen Verbeugung den Schullehrer des Dorfes, der stillschweigend einen Teil der Anklagen mit angehört hatte und nun, nachdem sich der Kreis der Zuhörer verlief, auf den jungen Mann zuschritt.
»Kommen Sie ein wenig mit mir!« sagte er. »Ich muß Ihnen danken für die gute Meinung, die Sie von der armen Witwe haben.«
Er faßte zutraulich und herzlich Josephs Hand und führte ihn nach einer entfernten Bank.
»Da haben Sie wieder einmal«, begann er, sich niedersetzend, »den starren, unbeugsamen Bauerneigensinn! – Ich weiß, ich kann mit Ihnen frisch von der Leber weg sprechen; denn Sie haben drei Jahre lang eine tüchtige, städtische Schule besucht und stehen so hoch, daß Sie Ihren Stand mit seinen Fehlern und Vorzügen überblicken können… Man mag einen Engel vom Himmel herunterholen, diese Leute eines Besseren zu überzeugen – wenn er nicht den Sack mit dem gestohlenen Geld in der einen und den wirklichen Dieb in der anderen Hand hält, so wird er so wenig ausrichten als alle Vernünftigdenkenden. Denn einmal wird es ihnen vermöge ihrer schwerfälligen Auffassungsweise wirklich schwer, zweierlei Vermutungen aufzunehmen, und dann glauben sie manchmal, wie zum Beispiel in diesem Fall, das