Der beiden Quitzows letzte Fahrten. Karl MayЧитать онлайн книгу.
ihm zu finden war. Die Strauchdiebe hatten den großen Fehler begangen, sich zu theilen. Die eine Hälfte von ihnen hatte den zweiten Reiter erwarten müssen, während die Anderen mit Hans davongegangen waren, damit er nicht etwa auf irgend eine Weise zur Unzeit ihre Gegenwart verrathe. So schien es zu sein, und Karl überlegte eben, was er am besten zu thun habe, um dem Bruder Hilfe zu bringen, als ein halblautes Seufzen an sein Ohr tönte, welches von der Mitte des Weges her erschallte.
Er trat dem Orte näher und erkannte, sich zu ihm niederbückend, in dem Daliegenden einen Schwerverwundeten, dem ein Stoß seines Schwertes durch den Unterleib gegangen war. Der Mann war in Folge der Wunde dem Tode nahe und brachte nur mit Mühe einige Worte hervor.
»Wasser!« stöhnte er. »Ich verbrenne!«
Es schien kein fließendes Wasser in der Nähe zu geben, deshalb brach Karl einige Stückchen Eis von einem Zapfen, welcher von einer nahen Föhre gefallen war, und schob sie dem Bittenden in den halbgeöffneten Mund.
»Gott – — ver – — gelte es Euch!« röchelte dieser.
»Sag,« fragte Uchtenhagen, »wo habt Ihr meinen Bruder? Lebt er noch?«
»Bruder? – — der – — Andere? – — Der lebt.«
»Ist er verwundet?«
»Nein – — gleich – — über ihn – — hergefallen – — hat – — gar nicht – — kämpfen – — können – — gebunden – — in die – —Ruine.«
»Wo ist die Ruine?«
»Darf – — nicht. – — Mein Schwur – — Gott, vergieb – — mir! – — Ihr auch, – — Herr! – — Ruine – — – links – — grad – — Spitze – — oh – — oh – — lebt – — wohl!«
Ein Strom dunklen Blutes quoll ihm aus dem Munde und der Kopf sank hintenüber: er war todt. Was hatte er mit den Worten: »links – grad – Spitze« gemeint? Jedenfalls: zur linken Seite gradaus gehen; aber was mit der Spitze gemeint war, das blieb Uchtenhagen ein Räthsel. Aber er besann sich nicht lange, denn wenn überhaupt Hilfe möglich war, so mußte sie rasch, schleunig gebracht werden. Sein Pferd am Zügel führend, schritt er links in die Büsche hinein und gab sich Mühe, die grade Richtung einzuhalten.
Erst wurde ihm des Thieres wegen, welches er doch unmöglich im Stiche lassen konnte, das Fortkommen schwer, da sich ihm das Unterholz hindernd in den Weg legte, bald aber hörte dasselbe auf, und durch den hochstämmigen Wald war nun die Passage verhältnißmäßig leicht. Zuweilen blickte ein Theil des Himmels durch die Baumkronen, und so konnte er die einzuschlagende Richtung wenigstens einigermaßen nach dem Stande der Sterne bestimmen. Mit Hast drängte er vorwärts, immer vorwärts, die Zügel in der einen, das blanke Schwert in der andern Hand; Zeit auf Zeit verging; seine Ungeduld wurde immer größer und größer, und ebenso wuchs die Sorge um den Bruder, dessen Schicksal ein verhängnißvolles werden konnte.
So war weit über eine Stunde vergangen, als sich nach und nach wieder niedriges Buschwerk einstellte, ein Zeichen, daß eine Blöße oder sonst irgend eine Unterbrechung des Hochwaldes zu erwarten sei. Sodann löste das Buschwerk seine feste, dichte Masse und gab hartem, scharfkantigem Schilfe Platz, welches unter der schweren Kruste von Schnee und Eis zusammengebrochen war, und endlich öffnete sich dem Blicke eine weite, glatte Fläche, deren ebener Spiegel in den Strahlen des zuweilen durch das Gewölk brechenden Mondes hell erglänzte. Es war die seeartige Erweiterung der Havel, welche in der Nähe von Ketzin beginnt und einen Flächeninhalt von mehreren Quadratstunden in Anspruch nimmt.
Bei dem Anblicke des Sees wollte sich das Gefühl der Enttäuschung in seinem Innern Platz machen, doch währte dies nicht lange, denn bald bemerkte er in einiger Entfernung rechts von sich eine Landzunge sich in das Wasser erstrecken, welche sich durch Baum— und Strauchwerk deutlich von der weißen Fläche abzeichnete. Sollte das die »Spitze« sein, von welcher der Sterbende gesprochen hatte? Es mußte wenigstens untersucht werden, und neue Hoffnung tauchte in ihm auf.
Zunächst aber war es nothwendig, das Pferd zu verbergen, und hier wollte ihm das Glück wohl, denn schon nach kurzem Suchen nach einem geeigneten Orte fand er eine zwar enge, aber desto behaglichere Dorfhütte, welche zur Aufbewahrung von allerlei Fischereigeräthschaften diente und grad’ die richtige Größe hatte, das Pferd in sich aufzunehmen. Er entfernte die Geräthe, so viel als ihm nothwendig erschien, und stellte dann das müde Thier ein, welches hier jedenfalls besser aufgehoben war, als draußen in der nächtlichen Kälte und Feuchtigkeit.
Nachdem er dies versorgt hatte, trat er hinaus, um seine Forschung unbehindert fortzusetzen.
Langsam und vorsichtig schlich er sich dem Ufer entlang, jede Gelegenheit zur Deckung benutzend, um nicht gesehen zu werden, selbst aber Alles zu sehen. Indem er das Auge scharf über die Umgebung schweifen ließ, gewahrte er in einiger Entfernung von der Spitze der Landzunge eine kleine Insel, welche jedenfalls früher zu der ersteren gehört hatte, nachher aber durch Ueberfluthungen von ihr abgetrennt worden war. Und gleich bei diesem ersten Blicke war es ihm, als ob der blitzende Schein eines Lichtes dort aufgetaucht und sofort wieder verschwunden sei. Dieser Umstand erregte seine Aufmerksamkeit natürlich in hohem Grade; er hielt das Auge längere Zeit beobachtend auf die betreffende Stelle gerichtet, und wirklich, nicht lange dauerte es, so leuchtete es drüben wieder hell und blitzartig auf. Frei von dem Aberglauben jener Zeit, nahm Karl natürlich sofort an, daß dieser Schein von Menschen herrühre, und beschloß, seine Ursache näher zu untersuchen.
Statt dem Innern der Landzunge seine Aufmerksamkeit zu widmen, schritt er am Ufer weiter fort und betrat dann der Insel gegenüber das Eis des Sees. Von hieraus gingen Fußspuren sowohl herüber als auch hinüber; es gab hier also Menschen, und zwar auf alle Fälle solche, vor denen es nothwendig war, sich zurückzuziehen; trotzdem aber beschloß der junge Mann, das Wagniß, über den freien Raum nach der Insel zu gehen, zu unternehmen. Die Sorge um den Bruder machte ihn taub gegen die warnende Stimme der Vorsichtigkeit, die ihm sagte, daß er bemerkt werden müsse; er suchte die Leute, welche hier lebten und hausten, er hatte ein Lebenszeichen von ihnen gesehen und wollte es nun nicht unterlassen, demselben nachzustreben.
Raschen Schrittes eilte er vorwärts und hatte in wenigen Augenblicken die Insel erreicht. Dieselbe war von Schilf, Buschwerk und einigem spärlichen Baumgewächse bestanden und war von so geringer Größe, daß sie in ihrem ganzen Umfange leicht überschaut werden konnte. Aber Niemand war zu sehen; es mußte eine Hütte, ein Versteck oder sonst irgend ein Ort vorhanden sein, in welchem der Träger des Lichtes verschwunden war. Das beste Mittel, ihn aufzufinden, war jedenfalls, seinen Spuren nachzugehen. Diese führten nach einem Punkte, welcher ungefähr in der Mitte der Insel lag, und verschwanden da in einem üppigen Dorngestrüpp, welches zur Sommerszeit dem Hindurchkommen ganz bedeutende Hindernisse in den Weg legen mußte.
Er drang hinein und stand nach wenigen Schritten vor einem Loche, welches in senkrechter Richtung hinab in die Erde führte. Er lauschte hinab, aber nichts regte sich da unten, und kein Laut war zu vernehmen. Stak überhaupt Jemand unten? Er untersuchte das Loch und gewahrte eine Leiter, mittelst welcher es ermöglicht wurde, hinab zu steigen. Sollte er dieses wagen? Er begab sich damit jedenfalls in große Gefahr; er konnte ja längst bemerkt worden sein und während des Hinabsteigens angegriffen und überwältigt, wohl gar getödtet werden. Aber das konnte ihn nicht abhalten, die einmal angefangene Forschung weiter fortzusetzen. Er setzte den Fuß auf die oberste Leitersprosse und stieg, mit den Händen immer festen und sichern Halt nehmend, weiter. Die Fahrt führte ihn nicht zu tief, vielmehr berührten seine Füße gar bald den festen Erdboden, wo er sich vollständig im Dunkeln befand, den leisen Schein abgerechnet, welcher von dem Stücklein Himmel, der in das enge Loch hereinschaute, hinunterdrang.
Der kleine, enge Raum, in welchem er sich befand, war vollständig rund und mit Bruchsteinen ausgemauert; aus diesem Umstande und der Nässe, welche in ihm herrschte, ließ sich schließen, daß er ehemals als Brunnen gedient habe und später verschüttet worden sei. Auf einer Seite war ein niedriger und sehr enger Stolln schief abwärts geteuft, aus welchem ein feuchtkalter, moderiger Luftzug drang. In seinem Innern, darüber war kein Zweifel, war das Licht verschwunden, denn noch sah man weit hinten einen matten, dämmernden Schein, welcher sich entfernte und endlich ganz verschwand.
Sollte