Im Lande des Mahdi I. Karl MayЧитать онлайн книгу.
Ich wünschte wohl, die Reise mit ihm machen zu können.
»Du bist ein Offizier,« antwortete ich.
»Hm!« brummte er lächelnd. »Nicht eigentlich, und doch hast du nicht übel geraten. Mein Name ist Achmed Abd el Insaf.«
Das heißt: Achmed, Diener der Gerechtigkeit. Hatte er diesen Namen stets getragen oder ihn infolge seines jetzigen Berufes erhalten? Ich nannte ihm den meinigen, und darauf erklärte er mir:
»Ich bin nämlich auch Reïs, und du sollst zu mir auf mein Schiff kommen.«
ich konnte nicht anders, ich mußte ihn ungläubig anblikken. Dieser Mann, der Kapitän einer Dahabijeh, welche Sennesblätter und Gummi vom obern Nile holt? Nein!
»Du bezweifelst es?« fragte er. »So will ich dir sagen, das ich den Titel Reïs Effendina [Kapitän]unseres Herrn führe und der einzige bin, dem es gestattet ist, denselben zu tragen.«
»Der Kapitän des Vizekönigs? Das muß eine ganz besondere Bewandtnis haben!«
»Allerdings. Und diese Bewandtnis hängt sehr eng mit dem Buche, welches ich schreiben will, zusammen. Ich will es dir erklären. Ich liebe die Deutschen, und du gefällst mir ganz besonders. Der Sklavenhandel ist verboten, wird aber noch immer betrieben. Du hast gar keine Ahnung, wie viel Menschen jährlich an demselben zu Grunde gehen!«
»Ob ich es weiß, das sollst du sogleich erfahren. Sprechen wir nur von Ägypten, wo doch der Sklavenhandel aufgehoben ist. Vom obern Nil werden jährlich 40 000 Sklaven über das rote Meer geführt. Davon gehen 16 000 in andere Gegenden, 24 000 aber nach Ägypten. Dazu kommen 46 000, welche auf dem Nile und auf Landwegen nach Nubien und Ägypten geführt werden. Dieses Land erhält also über 4 Hafenplätze und auf 14 Landrouten jährlich 70 000 Sklaven. Nun muß man rechnen, daß auf einen verkauften Sklaven vier andere kommen, welche während der Sklavenjagd getötet werden oder während des Transportes umkommen. Das ergiebt den fürchterlichen Schluß, daß die Sudanländer allein für Ägypten jährlich 350 000 Menschen einbüßen. Soll ich weiter sprechen, nicht bloß von Ägypten allein?«
Er sah mich mit weit geöffneten Augen an und antwortete nicht.
»Soll ich dir sagen, daß die Harems von Konstantinopel von zehn- bis vierzehnjährigen tscherkessischen Sklavinnen wimmeln, für welche man pro Stück zwanzig Thaler zahlt, während sie noch vor kurzem achtmal teurer waren? Wie viele Neger und Negerinnen wird es da erst geben? Und dabei versichern uns die Gesandtschaften der hohen Pforte, daß der Sklavenhandel nicht mehr existiere!«
»Effendi, du weißt es, du weißt es sogar noch viel, viel besser und genauer als ich!« gestand er. »Ihr Deutschen wißt wirklich alles!«
»Nun, wenigstens wissen wir, daß es noch viel zu niedrig gegriffen ist, wenn man annimmt, daß in den Sudanländern jährlich über eine Million Menschen an den Sklavenjagden zu Grunde gehen. Solche Zahlen mußt du in deinem Buche bringen!«
»Ich bringe sie; bei Allah, ich bringe sie! Vergiß diese Ziffern nicht, denn du sollst sie mir bei Gelegenheit diktieren. Aber ich habe mich vorhin selbst unterbrochen, als ich sagte, daß der Sklavenhandel noch fortbestehe. Es kommen viele Schiffe mit Sklaven den Nil herab. Wir haben Polizeischiffe, welche aufpassen sollen; aber die Kapitäne sind nicht ehrlich; die Hunde machen mit den Sklavenjägern gemeinschaftliche Sache. Nun muß es also einen gerechten und ehrlichen Mann geben, der da Achtung giebt, und der bin ich. Abd, el Insaf, Diener der Gerechtigkeit, heiße ich, verstanden? Und Reïs Effendina bin ich, der Kapitän unsers Herrn, des Khedive. Ich bin es noch nicht lange; aber alle Schurken kennen mich bereits, weil ich keinen durchlasse, keinen einzigen, und wenn er mir noch so viel Gold bietet. Mein Schiff heißt Esch Schahin [Der Falke]; es ist so schnell wie ein Falke und stößt auch wie ein Falke. Es fliegt wirklich wie ein Falke, und keine Dahabijeh, kein Sandal, kein Noqer kann ihm entgehen. Willst du es sehen?«
»Ich bin sogar sehr begierig darauf.«
»Es liegt gar nicht weit von hier am Ufer. Ich mußte heute in Giseh anlegen, weil ich mit dem Mudir zu sprechen hatte. Als es Abend war, suchte ich das Ufer ab, weil solche Gänge oft zu einem guten Fange führen. Und ich habe ihn gemacht, diesen Fang.«
»Wo?«
»Hier, diese Dahabijeh.«
»Ist‘s möglich? Sie ist doch heute erst in Bulak ausgelaufen!«
»Ja, Sklaven hat sie nicht an Bord; aber ich bin schon seit langer Zeit hinter ihr und ihrem Reïs her. Ihr Inneres ist zur Aufnahme von Sklaven eingerichtet. Ich habe es gesehen.«
»Du warst ja noch nicht unten im Raume!«
»Das nicht. Aber warum erschrak der Reïs so, als ich kam? Warum verschwand der Steuermann sofort durch die Luke? Doch nur, um unten irgend etwas zu verändern oder zu verbergen. Du wirst bald sehen, daß ich mich nicht irre. Aber das Pech wird alle. Der Reïs soll die Schüsseln wieder füllen, und wenn er sich nicht beeilt, giebst du ihm die Peitsche.«
Dieser Befehl war an seinen zweiten Begleiter gerichtet, welcher sich entfernte, um ihn auszuführen.
Welch ein Zusammentreffen! Mein neuer Bekannter war also, so zu sagen, Marineoffizier; er jagte Sklavenjäger. Das versprach etwas; ja, das versprach sogar viel, sehr viel!
Der alte Reïs brachte Pech geschleppt; er wagte nicht, aufzublicken. Als er wieder fort war, knüpfte der Reïs Effendina die unterbrochene Unterhaltung wieder an:
»Nun weißt du, wer ich bin und welchen Beruf ich habe. Meinst du noch immer, daß es geraten ist, mir zu verschweigen, warum du diese Dahabijeh verlassen willst?«
»Nun vielleicht erst recht. Ich würde hier festgehalten werden und muß doch nach Siut, um dort meinen Freund zu erwarten.«
»So verspreche ich dir hiermit, daß deine Reise keine Verzögerung erleiden wird. Ich gehe nach dem oberen Nil, nach Chartum und noch weiter hinauf, und lege in Siut an. Übermorgen segle ich ab, und da kommst du zu mir an Bord, natürlich als mein Gast, denn zahlende Passagiere giebt es bei mir nicht. Willst du?«
Als ich nur einige Augenblicke mit der Zusage zögerte, hielt er mir die Hand hin und rief.
»Schlag‘ ein; ich bitte dich! Nicht ich thue dir einen Gefallen, sondern du sollst ihn mir thun.«
»Dann gut; hier meine Hand. Ich fahre mit dir nach Siut.«
»Wie gern würde ich dich weiter mitnehmen; aber wenn du jemanden erwartest, so mußt du dein Wort halten. Und nun erzähle, was hier geschehen ist!«
»Das reicht nicht aus; ich muß noch mehr erzählen, auch das, was vorher geschehen ist. Und du wirst keine Zeit haben, mich anzuhören.«
»Ich habe genug Zeit, denn ich muß warten, bis die Matrosen kommen. Ich möchte wissen, warum dieser Kerl alle seine Leute von Bord geschickt hat.«
»Nur meinetwegen.«
»So? Wirklich? Das macht mich doppelt neugierig. Also, zum Beginn! Du brauchst dich nicht zu genieren. Mein Nachbar hier ist mein Steuermann, und der Mann da mit der Peitsche mein Liebling, meine rechte Hand, welche alles thut, was ich befehle. Schon mancher Sklavenhändler und Sklavenbesitzer hat es auf seinem Rücken gefühlt, daß diese meine Hand schnell, willig und stark genug ist, meinen Wahlspruch auszuführen: Wehe dem, der wehe thut!«
Nun konnte ich nicht anders; ich mußte erzählen, und ich begann meinen Bericht von dem Augenblicke an, in welchem der Türke mich in das Kaffeehaus gewinkt hatte. Es war interessant, zu beobachten, wie das Gesicht des Reïs Effendina zeigte, daß seine Aufmerksamkeit von Minute zu Minute immer gespannter wurde. Er unterbrach mich mit keinem Worte, mit keinem noch so kurzen Ausrufe; aber als ich bis dahin gekommen war, daß ich den Reïs, den Steuermann und den Kajütendiener belauschte und nun berichtete, was sie gesprochen und beschlossen hatten, da legte er mir die Hand auf den Arm und bat:
»Entschuldige einen Augenblick!« Und sich zu seiner »rechten Hand« wendend, gebot er: »Eile rasch auf unsern Falken, und hole zehn Mann herbei, um die Dahabijeh zu besetzen! Ich werde die Bande zwingen, an Allah und alle seine neunundneunzig erhabenen Eigenschaften zu denken. – Und nun, Effendi, fahre fort!«
»So bist du nicht auch