Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3. Karl MayЧитать онлайн книгу.
seht es ja.« – »Und niemand kann uns belauschen?« – »Kein Mensch.« – »Nun gut, so sage mir, ob du weißt, weshalb dein Oheim nach der Hauptstadt gereist ist!« – »Er hat es mir gesagt« – »Alle Wetter! So scheint er also doch Vertrauen zu dir zu haben. Und da sehe ich, daß auch ich aufrichtig mit dir reden kann. Sage mir also, welchen Zweck der Pater in Mexiko verfolgt.« – »Er soll dahin wirken, daß der Kaiser nicht mit den Franzosen abzieht.« – »Und warum?« – »Damit Max von Juarez gerichtet und verurteilt werde.« – »Gut. Juarez steht dann als Mörder da und wird allen Kredit verlieren. Auf diese Weise werden wir den Kaiser und auch den Präsidenten los und bekommen die Macht in unsere Hände. Dein Oheim hat die Verhaltungsvorschriften. Er wird diesen Max nicht in Mexiko, sondern in Queretaro treffen. So weit scheint alles gelungen. Aber der Teufel könnte doch sein Spiel haben. Irgendein Zufall kann den Kaiser bestimmen, das Land schleunigst zu verlassen. Man kann ihm sagen, daß er keinen Rückhalt, keinen Beistand und keine Anhänger mehr habe. Da gilt es dann, ihn glauben zu machen, daß man noch in Massen zu ihm hält.« – »Das wird nicht leicht sein.« – »Leicht und schwer, wie man es nimmt. Ich habe die Veranstaltung getroffen, daß der Kaiser erfährt, seine Anhänger hätten sich im Rücken seines ärgsten Feindes, dieses Juarez erhoben, um die kaiserliche Fahne zum Sieg zu führen. Hört Max dies, so bleibt er sicher im Land und ist ebenso sicher verloren. Es werden morgen an einigen Orten Krawalle vorkommen, den Hauptkrawall aber soll es hier in Santa Jaga geben.« – »Hier?« fragte der Neffe überrascht. »Wieso? Hier gibt es ja nur Anhänger des Juarez.« – »Pah! Laß nur mich machen«, meinte der Dicke in überlegenem Ton. »Wir haben eine Schar von zweihundert tapferen Kerlen angeworben, die noch in dieser Nacht nach Santa Jaga kommen werden, um die kaiserliche Fahne zu entfalten.« – »Die Einwohnerschaft wird sie fortjagen.« – »Das wird nicht gelingen. Das Kloster ist zu einer Zeit gebaut worden, in der jedes Haus zugleich Festung sein mußte. Es hat starke, hohe Mauern und gleicht einem Fort. Unsere Leute werden sich im Kloster festsetzen. Was wollen da die Bürger tun?« – »Dann allerdings möchte es gehen«, meinte Manfredo nachdenklich. – »Gerade der Umstand, daß diese Schilderhebung hier stattfindet, wird deinem Oheim beim Kaiser die allerbeste Empfehlung sein.« – »Weiß mein Oheim davon?« – »Nein.« – »Warum?« – »Weil ich selbst noch nichts wußte, als ich zum letzten Male mit ihm sprach. Und heute ist er ja nicht da, so daß ich es ihm sagen könnte. Aber wenn er es in Querétaro hört, hat er bereits meine Instruktionen in den Händen und weiß, was er zu tun hat.« – »Sind es Soldaten, die kommen?« – »Hm! Man könnte sie so nennen. Es sind bewaffnete Leute, denen es ganz gleich ist, wem sie dienen.« – »Wann kommen sie?« – »Heute nacht punkt vier Uhr werden sie unten am Klosterweg eintreffen, und du wirst sie in das Kloster führen, aber so, daß unten im Ort kein Mensch etwas merkt. Wenn der Tag anbricht, weht die kaiserliche Fahne von den Mauern herab, und die Bürger dürfen nicht murren.« – »Wird der Anführer mir folgen?« – Ja. Du sagst ihm das Wort ›Miramara‹ dann weiß er, daß du der richtige bist.« – »Werdet Ihr nicht dabeisein?« – »Nein. Ich habe heute nacht noch einen weiten Ritt in einer ähnlichen Angelegenheit. Du hast doch alles ganz genau verstanden?« – »Ganz genau.« – »Gut. Sei so treu wie dein Oheim, dann wird die Belohnung nicht ausbleiben! Ich will gehen. Hier die Instruktion für den Anführer der Truppen. Du gibst sie ihm, sobald du ihn triffst. Gute Nacht.« – »Ich werde Euch hinunterbegleiten«, meinte der Neffe, indem er die empfangenen Papiere zu sich steckte. – »Warum?« – »Das Tor könnte unterdessen verschlossen worden sein.«
Kaum hatten sie das Zimmer verlassen, so trat Kurt in dasselbe. Er eilte an das Fenster, öffnete es und fragte halblaut hinab:
»Seid ihr hier?« – Ja«, antwortete Gerard. »Was gibt es?« – »Der Pater ist verreist. Alles geht gut. Haltet euch ruhig, bis ihr mich wiederseht! Aber tretet zurück! Es wird jemand kommen.«
Er schloß das Fenster und kehrte in die Schlafstube zurück! Er war überzeugt, diesem Neffen des Paters gewachsen zu sein; jedenfalls hatte er es nur mit diesem zu tun, und er beschloß, kurzen Prozeß mit ihm zu machen.
Nach wenigen Minuten kehrte Manfredo in die Stube zurück. Er schien nachdenklich zu sein und schritt sinnend im Zimmer auf und ab.
»Hm!« hörte Kurt ihn brummen. »Kaiserliche in Santa Jaga. Räuber und Mörder werden es sein, aber ich muß gehorchen. Zuvor will ich zu meinen Gefangenen. Ah! Bin ich nur erst Graf Alfonzo de Rodriganda, so mögen sie in Mexiko einander erwürgen, wie es ihnen beliebt. Mir soll alles gleich sein!«
Kurt erstaunte gewaltig über den Inhalt dieses Selbstgesprächs. Er stand schon im Begriff, aus der Tür zu treten und den Kerl zu packen und zum Geständnis zu bringen; da sah er, daß derselbe einige Schlüssel ergriff, und das brachte ihn auf andere Gedanken.
Manfredo steckte die Schlüssel ein, brannte eine Blendlaterne an und verließ das Zimmer, ohne die Tür desselben zuzuschieben. Sofort trat Kurt ein, riß ein Licht von einem Leuchter, steckte es ein und zog dann sein Messer. Er öffnete so leise wie möglich die Tür und sah Manfredo eine zweite Treppe hinabsteigen. Er drückte die Tür zu und folgte ihm.
Das Licht der Blendlaterne fiel nur vorwärts, darum ging Kurt im dunkelsten Schatten. Aus diesem Grund konnte er sehr leicht an etwas stoßen und dadurch ein verräterisches Geräusch verursachen. Deshalb blieb er einen Augenblick stehen, um seine Stiefel auszuziehen, deren Sporen ihn ohnedies verraten konnten. Dann ging es wieder weiter.
Da Kurt vom Dunkel eingehüllt war, so konnte er sich nahe genug an seinen Vordermann halten, um diesen nicht aus den Augen zu verlieren. Weil es aber doch möglich war, daß der Mexikaner einmal stehenbleiben und sich umdrehen konnte, so hielt Kurt sich für diesen Fall bereit, sich augenblicklich niederzuwerfen, um nicht bemerkt zu werden.
So ging es durch einige Türen, die Manfredo offenließ. Sie schritten durch mehrere feuchte Felsengänge, ohne daß es dem Mexikaner ein einziges Mal eingefallen wäre, sich umzudrehen. Der Gang, in dem sie sich nun befanden, hatte mehrere Türen. Vor einer derselben blieb Manfredo stehen. Er schob zwei starke, eiserne Riegel zurück und öffnete das Schloß mit einem seiner Schlüssel. Dann trat er ein.
War dort ein neuer Gang, oder gab es hinter dieser Tür ein Gefängnis? So fragte sich Kurt. Im ersteren Fall mußte er rasch folgen, im letzteren aber zurückbleiben.
Er horchte. Ah, er hörte sprechen! Diese Tür hatte also einen Kerker verschlossen. Leise schlich er näher. Niemand hörte ihn. Er wagte es, den Kopf ein wenig vorzustrecken und blickte in ein viereckiges Gefängnis, an dessen Mauern mehrere Personen gefesselt waren. Manfredo stand in der Mitte des Raumes und hatte seine Laterne in eine Ecke gestellt. Sie erhellte das Gefängnis so ungenügend, daß es unmöglich war, die Züge der Gefangenen zu erkennen. Manfredo sprach mit einem derselben.
»Es gibt einen Weg, Euch zu retten«, hörte Kurt ihn sagen. —
»Welchen?« fragte eine Stimme aus dem Hintergrund. – »Könnt Ihr das nicht erraten?« – »Nein.« – »Ich will ihn Euch sagen. Ihr wißt, daß dieser Mariano hier Euer wirklicher Neffe ist?« – »Ja.« – »Und daß der jetzige Graf Alfonzo nur der Sohn von Gasparino Cortejo ist?« – »Ja.« – »Nun, so stelle ich zwei Bedingungen. Erfüllt Ihr diese, so seid Ihr alle frei.« – »Wir wollen sie hören.«
Der alte Graf Ferdinando war es, der sprach. Der Neffe des Paters fuhr fort:
»Zunächst erklärt Ihr diesen Alfonzo für einen Betrüger und laßt ihn und seine Verwandten bestrafen.« – »Dazu bin ich natürlich bereit.« – »Sodann aber muß Mariano entsagen, und Ihr erkennt mich als den Knaben an, der geraubt und verwechselt wurde.«
Ein Schweigen des Erstaunens folgte.
»Nun, Antwort!« gebot der Mexikaner. – »Ah«, sagte Don Ferdinando, »so wollt wohl gar Ihr Graf von Rodriganda werden?« – »Ja«, antwortete der Gefragte im Ton der unverschämtesten Offenheit. »Das ist meine Bedingung.« – »Ich gehe niemals darauf ein.« – »So bleibt Ihr gefangen bis an Euer Ende.« – »Gott wird uns erretten.« – »Pah, das kann er nicht. Ich gebe Euch eine halbe Stunde Bedenkzeit, bis ich Euch Brot und Wasser bringe. Sagt Ihr dann nicht ja, so erhaltet Ihr weder Trank noch Speise und müßt elend verschmachten!« – »Gott wird uns rächen!« – »Don Ferdinando,