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Die Äbtissin von Castro. StendhalЧитать онлайн книгу.

Die Äbtissin von Castro - Stendhal


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>Die Äbtissin von Castro

      DIE FÜRSTIN VON CAMPOBASSO

      ÜBERTRAGEN VON M. VON MUSIL

      Ich übersetze aus einem italienischen Chronisten den genauen Bericht über die Liebschaft einer römischen Fürstin mit einem Franzosen. Es war im Jahre 1726, und alle Mißbräuche des Nepotismus blühten damals in Rom; niemals war der Hof glänzender gewesen. Benedikt XIII. Orsini regierte, oder vielmehr: es leitete sein Neffe, der Fürst Campobasso unter seinem Namen alle Geschäfte. Von allen Seiten strömten Fremde nach Rom; italienische Fürsten, spanische Granden, noch reich an Gold der Neuen Welt, kamen in Menge, und wer reich und mächtig war, stand dort über den Gesetzen. Galanterie und Verschwendung schienen die einzige Beschäftigung aller dieser Fremden aller Nationen zu sein.

      Des Papstes beide Nichten, die Gräfin Orsini und die Fürstin Campobasso genossen vor allen die Macht ihres Oheims und die Huldigungen des Hofs. Ihre Schönheit hätte sie aber auch aus den untersten Schichten der Gesellschaft hervorgehoben. Die Orsini, wie man sie familiär in Rom nannte, war heiter und, wie man hier sagt, disinvolta, die Campobasso zärtlich und fromm, aber diese zärtliche Seele war der gewalttätigsten Leidenschaften fähig. Obgleich sie nicht erklärte Feindinnen waren und nicht nur jeden Tag sich am päpstlichen Hof trafen, sondern sich auch oft besuchten, waren diese Damen Rivalinnen in allem: Schönheit, Ansehen und Glücksgütern.

      Gräfin Orsini, weniger hübsch, aber glänzend, ungezwungen, beweglich und für Intrigen begeistert, hatte Liebhaber, die sie wenig kümmerten und nicht länger als einen Tag beherrschten. Ihr Glück war, zweihundert Menschen in ihren Salons zu sehn und unter ihnen als Königin zu glänzen. Sie lachte über ihre Kusine Campobasso, welche die Ausdauer gehabt hatte, sich drei Jahre hindurch mit einem spanischen Herzog zu kompromittieren, um ihm schließlich sagen zu lassen, daß er Rom binnen vierundzwanzig Stunden zu verlassen habe, wenn ihm sein Leben lieb sei. „Seit diesem großen Hinauswurf“, sagte die Orsini, „hat meine erhabene Kusine nicht mehr gelächelt. Seit einigen Monaten ist es klar, daß die arme Frau vor Langweile oder vor Liebe stirbt, aber ihr gewitzter Gatte rühmt dem Papst, unserm Oheim, diese Langweile als hohe Frömmigkeit. Bald aber wird sie diese Frömmigkeit dazu bringen, eine Pilgerfahrt nach Spanien zu unternehmen.“

      Indes war die Campobasso weit davon, ihren spanischen Herzog zu vermissen, der sie während seiner Herrschaft tödlich gelangweilt hatte. Hätte sie ihn vermißt, würde sie ihn zurückgerufen haben, denn sie besaß jenen in Rom nicht seltenen Charakter, ebenso natürlich und unmittelbar in der Gleichgültigkeit wie in der Leidenschaft zu sein. In ihrer exaltierten Frömmigkeit bei ihren kaum dreiundzwanzig Jahren und in der Blüte aller Schönheit widerfuhr es ihr, daß sie sich eines Tags vor ihrem Oheim auf die Knie warf und ihn um den päpstlichen Segen bat, der – was nicht genug bekannt ist – ohne jede vorhergehende Beichte von allen Sünden freispricht, mit Ausnahme zweier oder dreier Todsünden. Der gute Benedikt XIII. aber weinte vor Zärtlichkeit: „Erhebe dich, meine Nichte, du hast meinen Segen nicht notwendig, denn du giltst mehr als ich in den Augen des Herrn.“

      Aber trotz seiner Unfehlbarkeit täuschte sich Seine Heiligkeit hierin, wie übrigens ganz Rom. Die Campobasso war kopflos verliebt und ihr Geliebter teilte ihre Leidenschaft; und dennoch war sie sehr unglücklich. Schon seit mehreren Monaten traf sie fast jeden Tag den Chevalier von Sénecé, den Neffen des Herzogs von Saint-Aignan, welcher damals Botschafter Ludwigs XV. in Rom war.

      Sohn einer der Mätressen Philipps von Orléans, war der junge Sénecé stets Gegenstand der ausgewähltesten Gunstbezeugungen gewesen. Schon lange Oberst, obgleich er kaum zweiundzwanzig Jahre zählte, hatte er einige anmaßende Gewohnheiten, doch ohne Unverschämtheit. Natürliche Fröhlichkeit, das Verlangen, sich immer zu unterhalten und alles unterhaltsam zu finden, Unbesonnenheit, Mut und Güte zeichneten seinen Charakter eigentümlich aus, von dem man freilich damals lobend nur hätte sagen können, daß er in allem ein Musterbeispiel des Charakters seiner Nation war. Diese nationale Eigenart hatte vom ersten Augenblick an die Campobasso berückt. „Ich mißtraue Ihnen, Sie sind Franzose“, hatte sie ihm gesagt, „aber ich sage Ihnen etwas im voraus: Den Tag, wo man in Rom wissen wird, daß ich Sie manchmal im Geheimen empfange, werde ich überzeugt sein, daß Sie selber das verbreitet haben, und ich werde Sie nicht mehr lieben.“

      So mit der Liebe spielend verstrickte sich die Campobasso in eine wütende Leidenschaft. Auch Sénecé liebte sie; aber es waren schon acht Monate her, daß dieses Verhältnis dauerte, und die Zeit, welche die Leidenschaft einer Italienerin verdoppelt, tötet die eines Franzosen. Die Eitelkeit des Chevalier tröstete ihn ein wenig über seine Langeweile: er hatte schon zwei oder drei Bildnisse der Campobasso nach Paris geschickt. Er übertrug die Gleichgültigkeit seines Charakters gegen Güter und Vorteile aller Art, mit denen er seit seiner Kindheit überschüttet worden war, auch auf die Interessen der Eitelkeit, die sonst die Herren seiner Nation gewöhnlich sehr besorgt hüten.

      Sénecé verstand nicht im geringsten den Charakter seiner Geliebten; deshalb belästigten ihn öfters ihre Seltsamkeiten. So hatte er jedesmal an allen kirchlichen Feiertagen, wie am Festtag der Heiligen Balbina, deren Namen sie trug, die Verzückungen und die Selbstanklagen einer glühenden und wahren Frömmigkeit auszuhalten. Sénecé hatte seine Geliebte nicht die Religion vergessen lassen, wie dies bei den gewöhnlichen Frauen Italiens vorkommt; er hatte sie nur mit starker Kraft besiegt, und der Kampf erneuerte sich immer wieder.

      Dieses Hindernis, das erste, das dem mit allen Gaben des Glückes überschütteten jungen Mann in seinem Leben begegnet war, hielt die Gewohnheit lebendig, zärtlich und zuvorkommend gegen die Fürstin zu sein; von Zeit zu Zeit erachtete er es für seine Pflicht, sie zu lieben. Sénecé hatte nur einen Vertrauten in seinem Botschafter, dem Herzog von Saint-Aignan, dem er durch die Campobasso manchen Dienst leisten konnte. Außerdem war ihm die Bedeutung, die er durch seine Liebesaffäre in den Augen des Botschafters gewann, außerordentlich schmeichelhaft. Die Campobasso, ganz anders als er, war dagegen von der gesellschaftlichen Stellung ihres Liebhabers gar nicht berührt. Geliebt oder nicht geliebt zu sein war alles für sie. „Ich opfere ihm meine ewige Seligkeit,“ sagte sie, „und er, der ein Häretiker, ein Franzose ist, kann mir nichts, was dem gleicht, opfern.“ Aber sobald der Chevalier erschien, füllte seine gefällige und dabei so ungezwungene Heiterkeit die Seele der Campobasso mit Entzücken und bezauberte sie. Bei seinem Anblick verschwand alles, was sie sich ihm zu sagen vorgenommen hatte, und alle trüben Gedanken. Dieser für diese hochmütige Seele so neue Zustand hielt noch lange an, nachdem Sénecé gegangen war. Und schließlich fand sie, daß sie fern von Sénecé weder denken noch leben könne.

      Während in Rom durch zwei Jahrhunderte die Spanier in Mode gewesen waren, begann man sich damals ein wenig den Franzosen zuzuneigen. Man begann, einen Charakter zu verstehn, der Vergnügen und Heiterkeit überall hinbrachte, wo er sich zeigte, und diesen Charakter gab es damals nur in Frankreich; seit der Revolution von 1789 gibt es ihn nirgends mehr. Denn eine so beständige Frohmütigkeit braucht Unbekümmertsein, Sorglosigkeit, und es gibt für niemand mehr heute eine sichere Zukunft in Frankreich, nicht einmal für geniale Menschen, falls es solche gäbe. Es herrscht erklärter Krieg zwischen Menschen vom Schlage Sénecés und der Masse der Nation. Auch Rom war damals vom heutigen Rom sehr verschieden. Um 1726 hatte man keine Ahnung von dem, was sich siebenundsechzig Jahre später ereignen sollte, als das von einigen Geistlichen aufgehetzte Volk den Jakobiner Basseville umbrachte, der, wie er sagte, die Hauptstadt der christlichen Welt zivilisieren wollte.

      Durch Sénecé hatte die Campobasso zum erstenmal die Vernunft verloren, hatte sich, aus Gründen, die vom gesunden Menschenverstand nicht gebilligt werden, bald im Himmel befunden, bald im fürchterlichen Unglück. Nun hatte Sénecé auch die Religion besiegt; nun mußte sich diese Liebe, welche für diese strenge und wahre Frau weit größere und ganz andere Bedeutung als die Vernunft hatte, schnell in die wildeste Leidenschaft steigern.

      Die Fürstin hatte einen Monsignore Ferraterra begünstigt und seine Laufbahn erleichtert. Wie wurde ihr zumute, als dieser Ferraterra ihr mitteilte, daß Sénecé nicht nur öfter als üblich zur Orsini gehe, sondern daß die Gräfin seinetwegen den berühmten Kastraten fortgeschickt habe, der seit mehreren Wochen ihr offizieller Liebhaber gewesen war!

      Hier beginnt, was wir zu erzählen haben: An dem Abend des Tages, wo die Campobasso diese verhängnisvolle Nachricht erhalten hatte.

      Sie saß reglos in einem hohen Lehnstuhl aus goldfarbenem Leder. Neben ihr, auf einem kleinen schwarzen Marmortisch standen auf hohen Füßen zwei


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