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Die Äbtissin von Castro. StendhalЧитать онлайн книгу.

Die Äbtissin von Castro - Stendhal


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geht er nur zu ihr, weil ein Fremder die Gesellschaft des Landes, in dem er sich befindet, sehen muß und besonders die Familie des Herrschers. Wenn ich mir Sénecé offiziell vorstellen lasse, und er frei und offen zu mir kommen kann, vielleicht wird er ebensogern ganze Stunden bei mir, wie bei der Orsini verbringen.‘

      Aber wieder kam der wildeste Zorn über sie. ‚Nein, ich würde mich erniedrigen, wenn ich ihn spreche; er wird mich nur verachten, und das wird mein ganzer Gewinn sein. Das leichtfertige Wesen der Orsini, das ich Närrin so verachtet habe, ist ja wirklich angenehmer als mein Charakter, gar in den Augen eines Franzosen! Ich bin bestimmt nur dazu geschaffen, mich mit einem Spanier zu langweilen. Was gibt es auch Sinnloseres als immer nur schwer und ernst zu sein! Als ob, was das Leben mit sich bringt, dies nicht selber schon genügend wäre! Gott, was wird aus mir, wenn ich nicht mehr den Chevalier habe, der mir das Leben gibt, und das Feuer mir ins Herz senkt, das mir fehlt!‘

      Sie hatte Befehl gegeben, niemanden vorzulassen, aber dieser Befehl galt nicht für den Monsignore Ferraterra, der ihr zu berichten kam, was man bis ein Uhr morgens bei der Orsini getrieben habe. Dieser Prälat hatte bisher aus besten Kräften den Abenteuern der Fürstin gedient; aber seit diesem Abend zweifelte er nicht daran, daß Sénecé der Geliebte der Gräfin Orsini werden würde, wenn er es nicht schon war.

      ‚Die fromme Fürstin wird mir mehr nützen‘, dachte er bei dieser Beobachtung, ‚als die galante. Immer wird es sonst einen geben, den sie mir vorzieht, nämlich ihren Liebhaber; und ist eines Tages dieser Liebhaber ein Römer, so kann er einen Onkel haben, den man zum Kardinal machen muß. Wenn ich sie bekehre, muß sie vor allem und mit dem ganzen Feuer ihres Wesens an den denken, der ihre Seele lenkt, was kann ich nicht alles durch sie von ihrem Oheim erhoffen!‘ Und der ehrgeizige Prälat verlor sich in köstliche Zukunftsträume; er sah die Fürstin, wie sie sich ihrem Oheim zu Füßen warf, um für ihn den Kardinalshut zu erbitten. Der Papst würde ihm für das, was er eben zu unternehmen im Begriff war, sehr dankbar sein müssen. Sobald die Fürstin bekehrt wäre, würde er Benedikt XIII. die unwiderleglichen Beweise ihrer Liebschaft mit dem jungen Sénecé vorlegen. Religiös, aufrichtig und die Franzosen verabscheuend, wird der Papst ewige Dankbarkeit für den tatkräftigen Prälaten haben, der einer Intrige, die Seiner Heiligkeit so mißliebig, ein Ende bereitet hat. Dieser Ferraterra gehörte dem Hochadel Ferraras an, war reich und über fünfzig Jahre alt. Durch die so deutliche Vision des Kardinalshutes angeregt, wagte er seine Rolle bei der Fürstin jäh zu ändern. Vorher, während der zwei Monate, da Sénecé sie vernachlässigte, war es dem Prälaten zu gefährlich erschienen, den Franzosen anzugreifen; denn er hielt Sénecé, den er schlecht verstand, für ehrgeizig.

      Der Leser würde die genaue Wiedergabe der Zwiesprache, welche die junge Fürstin, toll vor Liebe und Eifersucht, mit dem ehrgeizigen Prälaten hatte, sehr lang finden. Ferraterra hatte mit einer vollen Eröffnung der traurigen Wahrheit begonnen; und nach solchem heftigen Anfang wurde es ihm nicht schwer, alle Gefühle der Religion und der leidenschaftlichen Frömmigkeit wiederzuerwecken, die im Herzen der jungen Römerin nur eingeschlummert waren; sie besaß den wahren Glauben. „Jede gottlose Leidenschaft muß mit Unglück und Schande enden“, sagte nun der Prälat.

      Es war heller Tag, als er den Palast Campobasso verließ. Er hatte der neu Bekehrten das Versprechen abgefordert, an diesem Tag Sénecé nicht zu empfangen. Dieses Versprechen war der Fürstin nicht schwer gefallen: sie glaubte, daß sie fromm sei und fürchtete zugleich, in den Augen des Chevaliers durch eine Schwäche verächtlich zu erscheinen. Ihr Entschluß hielt bis vier Uhr stand: das war die Zeit der Besuche des Chevaliers. Er ging durch die Gasse hinter dem Garten des Palastes Campobasso und sah das Signal, das die Unmöglichkeit einer Zusammenkunft bekanntgab; er eilte, sehr zufrieden damit, zur Gräfin Orsini.

      Die Campobasso fühlte den Wahnsinn fast über sich Herr werden. Die sonderbarsten Gedanken und Entschlüsse hetzten sie. Plötzlich lief sie die breite Treppe wie im Irrsinn hinunter, stieg in den Wagen und rief dem Kutscher zu: „Palazzo Orsini“.

      Das Übermaß ihres Unglücks trieb sie wie gegen ihren Willen zu ihrer Kusine. Sie fand sie inmitten einer Gesellschaft von etwa fünfzig Personen. Was Rom an Geist und Ehrgeiz besaß und im Hause Campobasso nicht Zutritt hatte, kam im Hause Orsini zusammen. Das Erscheinen der Fürstin Campobasso wurde ein Ereignis; respektvoll zog man sich zurück; aber sie geruhte, es nicht zu bemerken; sie blickte nur auf ihre Rivalin, bewunderte sie. Jeder Reiz ihrer Kusine war ein Dolchstoß in ihr Herz. Nach den ersten Redensarten der Höflichkeiten nahm die Orsini, welche ihre Kusine schweigsam und zerstreut sah, ihre glänzende und heitere Unterhaltung wieder auf.

      ‚Wie viel besser ihre Heiterkeit zu dem Chevalier paßt, als meine tolle und langweilige Leidenschaft!‘ sagte sich die Campobasso. Und in einer unerklärlichen, aus Haß und Bewunderung gemischten Verzückung fiel sie der Gräfin um den Hals. Sie sah nur die Reize ihrer Kusine; in der Nähe wie aus der Entfernung erschienen sie ihr gleich anbetungswürdig. Sie verglich ihr Haar mit dem eignen, ihre Augen, ihren Teint. Nach dieser seltsamen Prüfung faßte sie Ekel und Abscheu vor sich selbst. Alles an ihrer Rivalin schien ihr anbetungswürdig und ihr überlegen zu sein.

      Unbeweglich und düster saß die Campobasso gleich einer Basaltstatue inmitten dieser gestikulierenden und lärmenden Menge. Man kam, man ging; all dieser Lärm störte und verletzte sie. Aber wie geschah ihr, als sie plötzlich Herrn von Sénecé melden hörte! Sie waren zu Anfang ihres Verhältnisses übereingekommen, daß er in Gesellschaft sehr wenig mit ihr sprechen solle, so wie es einem ausländischen Diplomaten zukommt, der nicht öfter als zwei- oder dreimal im Monat die Nichte des Souveräns trifft, bei dem er beglaubigt ist.

      Sénecé begrüßte sie mit gewohntem Respekt und mit Ernst; dann nahm er, wieder zu der Orsini zurückgekehrt, den heiteren, fast intimen Ton auf, den man im Gespräch mit einer geistvollen Frau anschlägt, von der man gern und fast täglich empfangen wird. Die Campobasso war niedergeschmettert: ‚Die Gräfin zeigt mir, wie ich hätte sein sollen‘, sagte sie sich. ‚Ich sehe, wie man sein muß, und trotzdem werde ich es niemals können!‘ Sie sank auf die letzte Stufe des Unglücks, in die ein menschliches Geschöpf geworfen werden kann; sie war fast entschlossen, Gift zu nehmen. Alle Wonnen aus Sénecés Liebe kamen dem Übermaß des Schmerzes nicht gleich, der sie während einer langen Nacht verzehrte. Man könnte sagen, die römischen Frauen haben eine Fähigkeit und Energie zum Leiden, die andern Frauen unbekannt bleiben.

      Andern Tages kam Sénecé wieder vorbei und sah fortweisende Zeichen. Er ging vergnügt weiter, trotzdem war er leicht verletzt. ‚Also hat sie mir neulich meinen Abschied gegeben? Ich muß sie weinen sehen‘, sagte sich seine Eitelkeit. Er empfand eine leichte Spur von Liebe, da er eine so schöne Frau und Nichte des Papstes für immer verlieren sollte. Er kroch durch den unsauberen Kellergang, der ihm solchen Widerwillen verursachte, und drang gewaltsam in den großen Saal des Erdgeschosses, wo die Fürstin ihn zu empfangen pflegte.

      „Sie wagen es hierher zu kommen?“ rief die Fürstin erstaunt.

      ‚Das Erstaunen ist nicht aufrichtig‘, dachte der junge Franzose. ‚Sie hält sich in diesem Raum nur auf, wenn sie mich erwartet.‘

      Der Chevalier ergriff ihre Hand; sie zitterte. In ihre Augen kamen Tränen; sie erschien dem Chevalier so schön, daß er einen Augenblick lang an Liebe dachte. Und sie vergaß alle Eide, die sie während zweier Tage dem Glauben geschworen hatte, warf sich in seine Arme. ‚Und dieses Glück soll künftig die Orsini genießen!‘… Sénecé, der wie gewöhnlich die römische Seele falsch verstand, glaubte, sie wolle sich in guter Freundschaft von ihm trennen und wünsche den Besuch in guter Form. ‚Es ziemt sich nicht für mich als Attaché der königlichen Gesandtschaft, die Nichte des Souveräns, bei dem ich akkreditiert bin, zur Todfeindin, die sie sein würde, zu haben.‘ Sehr stolz über diese glückliche Lösung begann Sénecé, ihr vernünftig zuzureden. „Sie würden in angenehmster Harmonie leben; warum sollten sie nicht sehr glücklich sein? Was könnte man ihm denn auch vorwerfen? Die Liebe würde einer guten und zärtlichen Freundschaft Platz machen. Er bitte inständig um das Vorrecht, von Zeit zu Zeit an diesen Ort hier zurückkommen zu dürfen; ihre Beziehungen würden immer zarte bleiben…“ Zuerst verstand ihn die Fürstin nicht. Als sie ihn endlich mit Entsetzen begriff, blieb sie unbeweglich stehen, mit starrem Blick. Da unterbrach sie ihn bei der letzten Wendung von den zarten Beziehungen mit einer Stimme,


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