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Die Äbtissin von Castro. StendhalЧитать онлайн книгу.

Die Äbtissin von Castro - Stendhal


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weit zurück.

      Der Fürstin gegenüber und fast zu ihren Füßen zeigte der junge Sénecé auf einem kleinen Stuhl aus Ebenholz, mit Ornamenten aus massivem Gold verziert, seine elegante Person. Die Fürstin hatte den Blick auf ihn gerichtet; sie war ihm nicht entgegengeeilt, als er eintrat, hatte sich nicht in seine Arme gestürzt und nicht ein Wort an ihn gerichtet.

      Im Jahre 1726 war Paris schon Königin des reichen und eleganten Lebens. Sénecé ließ durch Kuriere regelmäßig alles kommen, was die Reize eines der hübschesten Männer Frankreichs hervorheben konnte. Trotz der für einen Mann seines Ranges natürlichen Sicherheit, noch dadurch verstärkt, daß er seine ersten Waffengänge mit den Schönheiten am Hof des Regenten unter der Leitung des berühmten Canillac, seines Oheims, eines der Roués dieses Fürsten gehabt hatte, konnte man eine leichte Verlegenheit in Sénecés Zügen bemerken. Das schöne blonde Haar der Fürstin war etwas in Unordnung; die großen schwarzblauen Augen sahen den Mann starr an; ihr Ausdruck war schwer zu deuten. Dachte sie an tödliche Rache? War es nur der tiefe Ernst leidenschaftlicher Liebe?

      „Also Sie lieben mich nicht mehr?“ sagte sie endlich leise. Ein langes Schweigen folgte dieser Kriegserklärung.

      Es wurde der Fürstin schwer, sich der reizenden Anmut Sénecés zu entziehen, der ihr, machte sie ihm keine Szene, tausend Torheiten sagen würde; aber sie besaß zu großen Stolz, um die Auseinandersetzung hinauszuschieben. Eine Kokette ist aus Eigenliebe eifersüchtig, eine galante Frau aus Gewohnheit; aber eine Frau, die wahr und leidenschaftlich liebt, hat das ganze Bewußtsein ihres Rechtes. Diese Art, der römischen Leidenschaft eigen, amüsierte Sénecé sehr; er sah darin Tiefe und Unbestimmtheit; man glaubte, die unverhüllte Seele zu schauen. Der Orsini fehlte dieser Reiz der Campobasso.

      Aber da diesmal das Schweigen so lange anhielt, sah der junge Franzose, der nicht die Kunst verstand, in die verborgenen Gefühle eines italienischen Herzens einzudringen, darin einen Schein von Ruhe und Vernunft, und das machte ihn arglos. Zudem drückte ihn gerade in diesem Augenblick ein Kummer. Als er das unterirdische Gewölbe durchschritt, das von einem benachbarten Haus in diesen Saal des Palastes Campobasso führte, hatten sich einiges Spinngewebe auf die ganz frische Stickerei seines entzückenden, gestern aus Paris gekommenen Anzugs gelegt. Das verursachte ihm Unbehagen und außerdem waren ihm Spinnen schrecklich.

      Da er im Auge der Fürstin Ruhe zu lesen glaubte, dachte er, ob es nicht besser sei, eine Aussprache zu vermeiden und den Vorwurf sanft abzubiegen, statt ihm zu entgegnen; aber durch die Mißstimmung, die er fühlte, mehr zum Ernst geneigt, sagte er sich: ‚Wäre dies nicht günstigste Gelegenheit, die Wahrheit durchblicken zu lassen? Sie selber hat die Frage gestellt, also ist die halbe Peinlichkeit schon erledigt. Ich bin ja sicher nicht für die Liebe geschaffen. Ich habe zwar nie etwas so Schönes wie diese Frau mit ihren sonderbaren Augen gesehen, aber sie hat schlechte Gewohnheiten. Sie läßt mich durch widerliche, unterirdische Gewölbe kommen. Immerhin ist sie die Nichte des Herrschers, zu dem mich mein König geschickt hat. Und mehr noch, sie ist blond in einem Land, wo alle Frauen dunkel sind; das ist eine große Seltenheit. Täglich höre ich ihre Schönheit von Leuten in den Himmel heben, deren Zeugnis unverdächtig ist und die nicht im Entferntesten ahnen, mit dem glücklichen Besitzer dieser Reize zu sprechen. Was die Macht betrifft, die ein Mann über seine Geliebte haben soll, brauche ich nicht beunruhigt zu sein. Wollte ich mir die Mühe nehmen, ein Wort zu sagen, so verließe sie ihr Haus, ihre Goldmöbel, ihren königlichen Oheim, und all das würde sie tun, um sich in Frankreich in die tiefste Provinz zu vergraben und auf einem meiner Güter kümmerlich und kläglich zu leben… Morbleu, die Aussicht auf solches Opfer begeistert mich nur zu dem festen Beschluß, es niemals von ihr zu verlangen. Die Orsini ist ja viel weniger hübsch; sie liebt mich, wenn sie mich überhaupt liebt, grade ein wenig mehr als den Kastraten Butafoco, den ich sie gestern wegschicken hieß; aber sie hat Lebensart, sie versteht zu leben, man kann im Wagen bei ihr vorfahren. Und ich bin sicher, daß sie mir nie eine Szene machen wird; sie liebt mich dazu nicht genug.‘

      Während des langen Schweigens hatte der starre Blick der Fürstin die hübsche Stirn des jungen Franzosen nicht verlassen.

      ‚Ich werde ihn nicht mehr sehen‘, sagte sie sich. Und plötzlich warf sie sich in seine Arme und bedeckte mit Küssen die Stirn und die Augen, die sich nicht mehr mit Glück füllten, wenn sie von ihnen erblickt wurde. Der Chevalier würde es sich nie vergeben haben, hätte er nicht in diesem Augenblick jeden Plan eines Bruchs fallen gelassen. Aber seine Geliebte war zu tief aufgewühlt, um ihre Eifersucht zu vergessen. Wenige Augenblicke nachher betrachtete Sénecé sie mit Verwunderung. Tränen des Zornes liefen ihr über die Wangen. ‚Wie!‘ sagte sie sich, ‚ich erniedrige mich so tief, daß ich von seiner Veränderung spreche; ich werfe sie ihm vor, ich, die ich mir geschworen hatte, es niemals zu bemerken! Und das ist noch nicht genug Niedrigkeit, ich muß auch noch der Leidenschaft nachgeben, die mir dieses entzückende Gesicht einflößt! Ah, verächtlich, verächtlich! Es muß ein Ende nehmen.‘

      Sie trocknete die Tränen und schien wieder beruhigter. „Chevalier, wir müssen ein Ende machen“, begann sie ruhig; „Sie besuchen häufig die Gräfin…“ Da erbleichte sie. Und nach einer Weile: … – „Wenn du sie liebst, geh alle Tage hin, meinetwegen! Aber komm nicht mehr hierher.“ Sie hielt wie gegen ihren Willen an. Sie erwartete ein Wort des Chevaliers; das Wort wurde nicht gesprochen. Mit einem kleinen krampfhaften Zucken preßte sie durch die Zähne: „Das soll mein Todesurteil sein, und das Ihre.“

      Diese Drohung wirkte entscheidend auf die zage Seele des Chevaliers, der bis dahin über die unvorhergesehene Krisis nach solcher Hingabe nur erstaunt war. Er begann zu lachen.

      Ein plötzliches Rot bedeckte die Wangen der Fürstin, die wie Scharlach wurden. ‚Der Zorn wird sie ersticken,‘ dachte der Chevalier, ‚sie wird einen Schlaganfall bekommen.‘ Er näherte sich, um ihr Kleid aufzuschnüren, sie stieß ihn mit einer Festigkeit und Kraft zurück, die er nicht gewohnt war. Sénecé erinnerte sich später, daß er bei diesem Versuch, sie in seine Arme zu schließen, sie mit sich selbst hatte sprechen hören. Er zog sich ein wenig zurück, unnötig, denn sie schien ihn nicht mehr zu sehen. Mit tiefer Stimme sprach sie, als wäre sie hundert Meilen von ihm entfernt: „Er beleidigt mich, er fordert mich heraus. Bei seiner Jugend und mit der seinem Volke eigentümlichen Indiskretion wird er sicher der Orsini alle Unwürdigkeiten, zu denen ich mich erniedrige, erzählen. Ich bin meiner nicht sicher, ich kann nicht dafür einstehen, daß ich diesem Gesicht gegenüber unempfindlich bleibe.“ Hier folgte ein neues Schweigen, das dem Chevalier sehr langweilig vorkam. Die Fürstin erhob sich endlich und sagte in einem klagenden Ton: „Man muß ein Ende machen.“

      Sénecé, der durch die Wiederversöhnung den Glauben an den Ernst der Aussprache verloren hatte, sagte einige scherzhafte Worte über ein Abenteuer, von dem in Rom viel gesprochen wurde.

      „Verlassen Sie mich, Chevalier,“ unterbrach ihn die Fürstin, „ich fühle mich nicht wohl…“

      ‚Diese Frau langweilt sich,‘ dachte Sénecé, indem er sich beeilte, ihr zu gehorchen, ‚und nichts ist so ansteckend wie die Langweile.‘ Die Fürstin war ihm bis zum Ende des Saals mit den Blicken gefolgt. ‚Und ich war im Begriff, unbesonnen das Geschick meines Lebens zu entscheiden!‘ sagte sie mit einem Lächeln. ‚Zum Glück haben mich seine Scherze ernüchtert! Wie dumm ist doch dieser Mensch! Wie kann ich ein Wesen lieben, das mich so wenig versteht? Er will sich und mich mit einem scherzhaften Wort amüsieren, wenn es sich um mein Leben und um das seine handelt!‘ Sie erhob sich. ‚Wie seine Augen schön waren, als er das Wort sagte! Man muß zugeben, die Absicht des armen Chevaliers war liebenswürdig; er hat meinen unglücklichen Charakter erkannt; wollte mich den trüben Schmerz, der mich bewegt, lieber vergessen lassen, statt mich nach seiner Ursache zu fragen. Ach, der liebenswürdige Franzose! Habe ich denn das Glück gekannt, bevor ich ihn liebte?‘

      Und sie gab sich mit Entzücken den Gedanken an die Vorzüge ihres Geliebten hin. Aber allmählich gingen diese ihre Gedanken auf die Reize der Gräfin Orsini über, und ihre Seele stürzte ins Dunkel. Qualen der furchtbaren Eifersucht ergriffen sie. Schon seit zwei Monaten beunruhigte sie eine unheilvolle Vorahnung. Ihre einzigen erträglichen Augenblicke waren jene, welche sie mit dem Chevalier verbrachte und doch sprach sie, wenn sie nicht in seinen Armen lag, fast immer gereizt mit ihm.

      Der


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