Der Minnesänger. Hendrik ConscienceЧитать онлайн книгу.
Und ein schreckliches Schicksal drohte ihm und ihnen! was konnte es sein?«
Inzwischen betrachtete er voll innerer Erregung, den weinenden Greis bis dieser endlich gewaltsam seine Thränen zurückdrängte, und auf eine hölzerne Bank weisend, folgendermaßen begann:
»Nehmt Platz, Herr Ritter; was ich Euch mitzutheilen habe, ist so furchtbar und unwahrscheinlich zugleich, daß ich zittre bei dem Gedanken, Ihr möchtet meinen Worten mißtrauen . . . und dennoch sollt und müßt Ihr mir glauben, wollt, wollt Ihr nicht Euren Vater und Eure Mutter des schrecklichen Todes sterben sehn, und, wahnsinnig vor Scham Verzweiflung, Euer eigenes Herz durchbohren . . . Nur eine Hoffnung bleibt mir: die, daß der oberste Lenker des Schicksals das Gebet Eurer Mutter erhören werde . . . Seht, dort knieet sie in der Kapelle zu Iserstein und erhebt flehend die Hände zum Himmel.«
Der junge Gras folgte mit den Augen der Richtung, nach welcher der Finger des Greises deutete, doch sein Blick wurde gehemmt durch die graue alte Mauer der Thurmstube.
»Ich verstehe, was Ihr sagen wollt,« murmelte er, »Ihr seht im Geiste meine Mutter.«
»Nein, Herr, nicht im Geist, in der Wirklichkeit.«
,Weiß denn meine Mutter, welche Gefahr mir droht?« fragte Wilfried wieder, vom höchsten Staunen durchdrungen.
»Sie weis; es nicht; eine Ahnung, ein unbestimmtes Gefühl, das ich in ihr weckte, um mir den Beistand ihres mächtigen Gebetes zu Eurer Rettung zu sichern, trieb sie in die Kapelle. Waren nicht heut Morgen beim Abschied ihre letzten Worte: »Ich werde für Dich beten?«
»Ihr vernehmt hier, was auf der Burg zu Iserstein gesprochen wird?« rief der junge Graf wer seid Ihr denn?«
»Euer Vater hat Euch heute meinen Namen genannt,« versetzte der Alte, sagte er nicht, als Ihr ihn verließt, sich nachdenklich vor die Stirn schlagend: Der bunte Hirsch! »Das ist das Thier des Zauberers Nyctos! Bleib zu Haus, Wilfried, Niemand holt es ein! Ihr seid dem Rathe Eures Vaters nicht gefolgt, im Gegentheil, die Worte waren Euch ein Sporn, der Euch zu blindem Eifer antrieb und hierher führte, um aus meinem Munde die verhängnisvolle Offenbarung zu vernehmen.«
»Ihr seid Nyctos?« seufzte Wilfried, »und Ihr nehmt Antheil an meinem Geschick? Warum? Welche Gemeinschaft sollte Zwischen uns bestehn?«
»Auch ich möchte Euch retten, Euch und Eure Eltern, die Ihr die schuldlosen Opfer eines fluchwürdigen Zaubers seid; außerdem aber hängt von Eurem Verhalten die ewige Seeligkeit oder Verdammniß einer Seele ab, die mir theuer ist wie die Seele meiner Mutter . . . Heute bin ich noch Nyctos, der Zauberer, morgen, falls Ihr meiner Weisung gehorcht habt, breche ich mit den geheimen Wissenschaften und meinem strafbaren Leben . . . und wenn ich auch den Rest meiner Tage unter schrecklichen Qualen hinbringen muß, ich werde die Buße willig tragen, um Dem nahen zu können, Dessen Namen mein Mund nicht auszusprechen wagt.«
»Wohlan denn, so last hören,« sagte der Jüngling von peinlicher Ungeduld erfüllt, »erklärt mir deutlich, was ich zu fürchten habe.«
»Und werdet Ihr mir glauben, Herr Ritter?«
»Ich bin dazu nicht abgeneigt, wißt Ihr doch die verborgensten Dinge . . . «
»O, ich beschwöre Euch, bannt jeden Zweifel, sonst sonst verfallt Ihr sammt Euren Eltern dem grauenhaftesten Tode.«
»So sprecht, ich glaube Euch.«
Der Alte schwieg eine Weile, als sammle er seine Gedanken und begann dann wie folgt:
»Etwa vier Stunden von hier, der Küste zu, liegt eine stolze Burg, die vor etwa dreißig Jahren vom Ritter Ingelram von Blumenfeld, bewohnt war. Dieser tapfere Herr hatte eine Tochter, schön wie der Tag, sanft wie eine Taube, und vom allmächtigen Schöpfer mit allen Gaben des Leibes und der Seele reichlich geziert.
»Judith von Blumenfeld ist jetzt Eure Mutter, Herr; damals aber war sie noch unverheiratet und alle jungen Ritter der Umgegend huldigten ihr um die Wette. Einer der eifrigsten Bewerber um ihre Hand war ein gewisser Evermar Wolfsstolz, ein Mann von kleinem Wuchs, schwachem Muth und falschem, hinterlistigem Wesen, in dessen Herzen die Leidenschaft wie ein verzehrendes Feuer brannte. Die schöne Judith, die ihn nicht liebte, wies seine Huldigungen zurück und wählte den kühnen Folkard von Iserstein Euren Vater, zu ihrem Gemahl.
»Wahnsinnig, rasend vor Eifersucht und Wuth beschloß Evermar sich blutig und furchtbar zu rächen.
»Was Da er indessen zu schwach war, um Folkard im offenem Kampfe entgegen in treten, zu feige selbst, um persönlich etwas wider ihn zu unternehmen, so mußte er seinen Rachedurst lange in sich verschließen. Endlich ging er zu einem meiner Freunde, einem Sterndeuter, in der Hoffnung daß dieser ihm die Mittel an die Hand geben würde.
Der Astrolog hatte sich bis dahin nur damit beschäftigt, in den Gestirnen zu lesen und den Stein der Weisen zu suchen; durch Evermars glänzende Versprechungen gereizt ließ er sich endlich verleiten, zur schwarzen Kunst seine Zuflucht zu nehmen. Eine gewöhnliche wenn auch blutige Rache befriedigte das erbitterte Gemüth des Ritters nicht, es war ihm nicht genug, daß Folkard von Iserstein und seine Gattin, ja selbst das Kind, das ihnen geboren werden sollte, dem Tode geweiht würden, der Tod mußte von etwas Grauenhaftem, Entsetzlichem begleitet sein.
»Welche Erwägungen, welche Einflüsterungen des höllischen Geistes endlich für sie maßgebend wurden brauche ich hier nicht zu erörtern; genug sie beschlossen auf Euch, Graf Wilfried, noch bevor Ihr geboren wart, einen furchtbaren Fluch zu wälzen, kraft dessen Ihr verurtheilt sein solltet, Euren Vater und Eure Mutter mit eigener Hand zu ermorden, so bald Euer Arm Kraft genug haben würde, dass Schwert zu führen.«
»Großer Gott, was muß ich hören!« rief der junge Ritter blaß und zitternd, »sie haben ihren schrecklichen Beschluß doch nicht ausgeführt?«
»Sie haben ihn ausgeführt,« erwiderte der Greis mit einem tiefen Seufzer; »seit vielen Jahren suche ich nun nach einem Mittel, ihre abscheuliche Beschwörung aufzuheben und unschädlich zu machen, doch ach, es ist mir nicht gelungen.«
»Ha, so will auch ich mich rächen,« stieß Wilfried hervor, krampfhaft die Faust ballend, »dieser falsche, feige Evermar, wo lebt er?«
»Der höchste Richter hat ihn bereits gestraft,« war die Antwort, er ist auf der Jagt von seinen Hunden zerrissen worden, und die Geier haben ihm das Fleisch stückweise von den Knochen gelöst.«
»Und der elende Zauberer? Meine Degenspitze auf seinem Herzen soll ihn zwingen, den Fluch von meinem Haupte zu nehmen.«
»Er würde es nicht vermögen.«
»Nicht vermögen? Nun, so fühle ich wenigstens meine Rache in seinem verhaßten Blut.«
»Er . . . er ist gleichfalls todt,« brachte der Zauberer zögernd hervor.
Wie vernichtet ließ Wilfried den Kopf auf die Brust sinken.
»Alle Hoffnung ist noch nicht verloren, Herr Ritter,« sagte der Greis, »was ich thue, was eben jetzt geschieht, ist nur ein Versuch, Euch zu retten. Laßt mich ausreden und hört mir aufmerksam zu, es ist nothwendig, damit Ihr verstehen lernt was Ihr thun müßt, um Eurem Schicksal zu entgehen.«
»Der Zauberer hatte nur Gewalt über Euch wahrend der kurzen Zeit, die verlaufen würde vom Augenblicke Eurer Geburt, bis das Wasser der Taufe Euren Scheitel netzte. In einer finstern, stürmischen Nacht suchte Evermar in fieberhafter Eile seinen Bundesgenossen auf um ihm mitzutheilen, daß Ihr geboren wart, doch fand er ihn nicht zu Haus und es vergingen mindestens fünf Stunden, bevor sie ihr unheimliches Werk beginnen konnten. Jede Viertelstunde dieser Zwischenzeit rettete Euch ein Jahr, die ersten zwanzig Jahre Eures Lebens waren mithin der Rache Evermars entzogen, von da ab aber sollte der Fluch bis zum Ende Eurer Tage auf Euch haften, so dachten wenigstens Eure Feinde, sie glaubten ausreichende Zeit für ihrer Beschwörung in haben, da sie wußten, daß man Euch erst am folgenden Tage mit großer Feierlichkeit zur Taufe tragen wollte.
»Darin sollten sie sich jedoch verrechnet haben. Wenige Stunden nach Eurer Geburt befielen Euch schreckliche Krämpfe und ans Furcht, daß Ihr sterben würdet, gab man Euch die Nothtaufe, gerade fünf Viertelstunden nachdem der Zauberer seine Formeln herzusagen begonnen.