Die Dorf-Plage. Hendrik ConscienceЧитать онлайн книгу.
Beschlußnahme zu erbitten.
Der Greis faßte bewegt das Mädchen bei der Hand und indem er eilig an ihrer Seite nach dem Dorfe zuwanderte, sprach er zu ihr:
– »Clara, ihr seid mir werth und theuer; denn ich habe euch als ein braves Kind erkannt. Seid getrost bei eurem Kummer, Gott im Himmel sucht auch die tugendhaften Menschen heim, aber doch belohnt er am Ende das Beharren auf dem Wege des Guten und die Geduld im Leiden. Kommt nun mit uns, wir wollen zusammen eine Schale Kaffee trinken und mit der guten Mutter von heiteren Dingen plaudern. Habt guten Muth; was euch auch zustoßen mag, ihr sollt stets in uns treue Freunde finden.«
– »So sagt es ihr doch, Vater!« bat der Jüngling; »sagt es ihr! Und mit einmal wird der Verdruß der Freude Platz machen.«
– »Ich werde der Clara erst zu Hause erzählen, was sie wissen darf,« antwortete strenge der Vater. »Wenn du nicht gehorchen willst und heute nicht schweigen kannst, so werde ich zur Strafe von meinem Vorhaben ganz abstehen.«
Sie lenkten in diesem Augenblick um eine Ecke und standen endlich vor der bescheidenen Wohnung des alten Torfs.
Clara deutete mit dem Finger nach dem Haus des Metzgers, vor dessen Thüre man wirklich die blutige Haut eines frisch geschlachteten Thieres hängen sehen konnte.
– »Armes Mütterchen!« schluchzte sie. »Seht dort ihre weißgefleckte Haut mit Blut bespritzt!«
Aber Lukas griff sie beim Arm und schob sie hinter seinem Vater ins Haus hinein.
II
Des andern Tages saß Clara in einem Zimmer des Erdgeschosses des steinernen Hofes, beschäftigt, an einem Kleide ihres Vaters einige Risse auszubessern.
Eine vollkommene Stille herrschte um sie herum, nicht der leiseste Ton war weder draußen noch drinnen vernehmlich. Selbst der Pendel der Schlaguhr ruhte, und schon lange mußte das Räderwerk ins Stocken gerathen sein, denn die beiden Zeiger waren durch ihre eigene Schwere auf die Ziffer Sechs herabgefallen.
– Das Zimmer war nur dürftig mit Hausrath versehen und das, was noch übrig geblieben, bewies zur Genüge, daß Nachlässigkeit und Armuth die Einwohner verhindert habe, das Zerschlitzte oder zerbrochene wieder in Stand zu setzen oder neu anzuschaffen. So standen in der fernen Ecke zwei Stühle, an denen die Binsen sich losgemacht hatten und wie Stacheln eines Igels in die Höhe ragten; daneben zwei andere, denen eine oder zwei Sprossen abgebrochen waren. Ja selbst das Tischblatt und die Ecken des großen Kleiderkastens trugen Spuren gewaltsamer Beschädigung; denn es fehlten Stücke daran, die nur mit Anstrengung von Kräften konnten abgerissen worden sein.
Auf dein Gesimse, auf dem sonst unsere Bauern ihre schönsten Teller und Geräthschaften zur Schau stellen, standen noch zwei oder drei zinnerne Schüsseln, deren verdrehte Ränder ebenfalls von Gewaltthätigkeit zeugten; das übrige Tischgeräthe war ganz zu Scherben zerschlagen; Teller mit lückenhaften Rändern, Schalen, denen der Fuß oder die Handhabe fehlte, Löffel mit verkürztem Stiele, Gabeln mit ausgebrochenen Spitzen . . .
Dessen ungeachtet hatte Alles in diesem Zimmer ein reines und ordentliches Aussehen. Die zinnernen Schüsseln blinkten wie Silber und kein Stäubchen trübte den, Glanz der blankgeputzten Teller; das Holz der Stühle war rein gefegt und auf dem mit rothen Backsteinen ausgelegten Boden – der wohl an einigen Stellen schadhaft war – hatte man halbweißen Sand in artigen Ringellinien gestreut.
Alles bekundete hier das Walten eines Wesens, das sich angelegen sein ließ, so viel als möglich die Spuren der einbrechenden Armuth zu verwischen.
Clara arbeitete ruhig fort, obgleich die vielfachen Gemüthsbewegungen, von denen sie hin und hergezogen war, auf ihrem Gesichte sich abspiegelten. Ein Lächeln fröhlicher Unruhe spielte um« ihren Mund, ihre schwarzen Augen leuchteten mit sanftem Feuer, ihre Brust wogte in schnelleren Wallungen; ja es bewegten sich ihre Lippen, als spräche sie Worte der Ermunterung zu sich selber. – Von Zeit zu Zeit schaute sie nach einer kleinen Thür und horchte, ob sich noch nichts in dieser Richtung hören ließe.
Nachdem sie so lange ununterbrochen fortgenäht hatte, hob sie den Kopf und murmelte gedankenvoll vor sich hin:
– »Was wird der Vater für eine Freude haben! Denn ich weiß ja nun, was ihn seit langer Zeit so unglücklich und trübsinnig macht. Aus seinem Hofe sollte er vertrieben werden! Diese Schmach nagte ihm an der Seele und diesen herben Verdruß zu ersticken, geschah es, daß er . . . so verzweiflungsvoll herum schwärmte, vom Morgen bis tief in die Nacht. Jetzt aber, wird Pächter Torfs uns beistehen, uns retten der gute Mann verspricht, meinem Vater aus seiner Armuth heraushelfen und ihm ein stilles, ruhiges Leben verschaffen zu wollen. Gott gebe, daß dem also geschehe! vielleicht wird er noch so von der traurigen Plage, die auf ihm lastet, geheilt werden können . . . Aber was mochte doch Lukas mit seinen sonderbaren Geberden und Anspielungen gestern im Sinne haben; ich werde nicht klug daraus. Jedenfalls muß es gar heiterer Natur sein; denn er kehrte und drehte sich unruhig auf seinem Stuhl, und sprang auf, als wollte er mir etwas sagen, setzte sich wieder und schaute mir dann tief in die Augen . . . Ich vergehe vor Neugierde, was das Alles zu bedeuten habe.«
Heiteren Blickes neigte das Mädchen den Kopf und dachte dem Sinne des von Lukas zurückgehaltenen Geheimnisses weiter nach. Bald wurde sie wieder ernst, und die anfänglichen Gedanken wieder aufnehmend, sagte sie:
– »Wenn aber nur der Vater vernünftig ist! Er hat gestern einen Theil seines rückständigen Pachtzinses bezahlt; dies wird ihm das Herz erleichtert haben und er wird wohl heute mit fröhlicher Laune aufstehen. So wird er doch freundschaftlich mit Vater Torfs sich besprechen und so wird es sich fügen, daß mein armes weißes Mütterchen noch in seinem Tode zu unserer Wohlfahrt behilflich geworden ist. Aber der Vater bleibt doch gar zu lang im Bette. Schon acht Uhr! Freilich, es war wieder recht spät, als er nach Hause kam. Vielleicht ist er krank? Ach, wenn er gerade heute Kopfweh haben sollte und verstört wäre. Dürfte ich doch in seine Kammer—treten; – aber nein, er würde böse werden. – Und Pächter Torfs kann jeden Augenblick kommen . . . Ich weiß nicht, aber es überkommt mich eine Angst. Der Vater kann den alten Torfs nicht wohl leiden; wenn er ihn also mir Scheltworten empfinge oder gar mißhandelte?«
– » Sie richtete die Augen gen Himmel und bewegte die Lippen zu einem stillen aber inbrünstigen Gebet.
In demselben Augenblick zeigte sich der Kopf eines Mannes an einem der Fenster, die nach der Straße zu gingen.
Es war Lukas, der mit gestrecktem Halse und fröhlichem Gesichte von außen ins Zimmer herein guckte.
Sobald er aber das Mädchen ansichtig geworden, das mit gefalteten Händen zum Himmel blickte, verschwand plötzlich der lachende Ausdruck seines Gesichtes und er blieb betroffen und mit stiller Bewunderung, die betende Jungfrau betrachtend, stehen.
– Wie zauberisch mußte ihre Gestalt jetzt auf ihn wirken, da sie, in bewußtloser Erhebung zu Gott, den feuchten Blick gen Himmel richtete; da der Glanz einer brünstigen Andacht und das milde Lächeln inniger Hingabe ihr feines, sanftes Gesicht umstrahlte!
– Lange noch wäre der Jüngling, in dieser Betrachtung versunken, am Fenster stehen geblieben; aber das Gebet des Mädchens war zu Ende und sie hatte den Kopf wieder geneigt, um ihren Gedanken aufs Neue nachzuhängen.
Lukas verschwand vom Fenster und einen Augenblick darauf wurde Clara von einem leichten Klopfen an der Hinterthüre überrascht. Sie wandte sich um und bemerkte ihren Freund Lukas, der sie durch Zeichen bat, doch ja kein Geräusch zu machen.
Sie ging auf ihn zu und er fragte sie mit leiser Stimme:
– »Clara, ist dein Vater schon auf?«
– »Nein, er schläft noch?« antwortete sie.
– »Du hast ihn wirklich noch nicht gehört?«
– »Nein.«
– »Mein Vater hat mich hergeschickt, um zu sehen, ob er ihn sprechen könne.«
Er faßte das Mädchen bei der Hand und indem er sie freundlich nach der Ecke bei der Thüre zog, lispelte er zu ihr:
– »Clara, du glaubst wohl errathen zu haben, was mein Vater