Aufzeichnungen eines Jägers. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
Mosjö! und hast den Schwanz eingezogen. Es geschieht dir ganz recht . . . Filjka, fahr zu!«
Die Pferde zogen an. »Übrigens, halt!« fügte der Gutsbesitzer hinzu. »He, du, Mosjö, verstehst du Musik zu machen?«
»Sauvez-moi, sauvez-moi, mon bon monsieur!« jammerte Lejeune.
»Ist das ein Volk! Keiner von ihnen versteht auch nur ein Wort Russisch! Mjusik, Mjusik, saweh mjusik wu? Saweh? Sprich doch! Kompreneh? Saweh mjusik wu? Auf dem Piano schue saweh?«
Lejeune begriff endlich, was der Gutsbesitzer von ihm wollte, und begann bejahend mit dem Kopf zu nicken.
»Oui, monsieur, oui, oui, je suis musicien; je joue tous les instruments possibles! Oui, monsieur . . . Sauvez-moi, monsieur!«
»Du kannst deinem Gott danken«, entgegnete der Gutsbesitzer. »Kinder, laßt ihn los . . . da habt ihr zwanzig Kopeken für Schnaps.«
»Danke, Väterchen, danke. Nehmen Sie ihn nur!«
Man setzte Lejeune in den Schlitten. Er konnte vor Freude kaum atmen, er weinte, zitterte, verbeugte sich, dankte dem Gutsbesitzer, dem Kutscher, den Bauern. Er hatte nur eine grüne Unterjacke mit rosa Bändern an, der Frost war aber grimmig. Der Gutsbesitzer sah schweigend seine blau angelaufenen und erstarrten Glieder an, hüllte den Unglücklichen in seinen eigenen Pelz und brachte ihn nach Hause. Das Gesinde lief zusammen. Man beeilte sich, den Franzosen zu wärmen, zu füttern und anzukleiden. Der Gutsbesitzer führte ihn zu seinen Töchtern.
»Hier, Kinder«, sagte er, »da habe ich euch einen Lehrer gefunden. Ihr habt mir keine Ruhe gelassen: ›Laß uns in Musik und in der französischen Sprache unterrichten;‹ da habt ihr einen: Er ist Franzose und versteht auch Piano zu spielen . . . Nun, Mosjö«, fuhr er fort, auf ein elendes Piano zeigend, das er vor fünf Jahren einem Juden abgekauft hatte, der sonst übrigens mit Eau de Cologne handelte, »zeig uns deine Kunst. Schue!«
Lejeune setzte sich mehr tot als lebendig auf den Stuhl: Er hatte in seinem Leben noch nie eine Taste angerührt.
»Schue, schue doch!« wiederholte der Gutsbesitzer.
Der Ärmste schlug verzweifelt in die Tasten wie auf eine Trommel und spielte aufs Geratewohl . . . »Ich hatte erwartet«, erzählte er später, »daß mein Retter mich am Kragen packen und aus dem Haus werfen würde.« Aber zum äußersten Erstaunen des unwillkürlichen Improvisators klopfte ihm der Gutsbesitzer nach einer Weile ermunternd auf die Schulter. »Gut, gut«, sagte er, »ich sehe, daß du es kannst; geh jetzt und ruh dich aus.«
Nach etwa zwei Wochen zog Lejeune von diesem Gutsbesitzer zu einem anderen, einem reichen und gebildeten Menschen. Dieser gewann ihn wegen seines lustigen und sanften Charakters lieb. Lejeune heiratete dessen Pflegetochter, trat in den Staatsdienst, erhielt den Adel, verheiratete seine Tochter mit dem Orjolschen Gutsbesitzer Lobysanjew, einem ehemaligen Dragoner und Dichter, und siedelte nach Orjol über.
Dieser selbe Lejeune oder Franz Iwanytsch, wie man ihn jetzt nennt, kam während meiner Anwesenheit zu Owsjanikow, mit dem er freundschaftliche Beziehungen unterhielt.
Dem Leser ist es vielleicht schon langweilig geworden, mit mir beim Einhöfer Owsjanikow zu sitzen, und darum verstumme ich.
Lgow
»Wollen wir doch mal nach Lgow fahren«, sagte mir einmal Jermolai, den meine Leser schon kennen, »wir können dort nach Herzenslust Enten schießen.«
Für den echten Jäger hat die Wildente zwar nichts besonders Anziehendes, aber in Ermangelung anderen Wildes (es war Anfang September; die Waldschnepfen waren noch nicht da, und den Rebhühnern auf den Feldern nachzulaufen, war mir zu dumm geworden) folgte ich dem Vorschlag meines Jägers und begab mich mit ihm nach Lgow.
Lgow ist ein großes Steppendorf mit einer sehr alten steinernen, einkuppeligen Kirche und zwei Mühlen an dem sumpfigen Flüßchen Rossota. Dieses Flüßchen verwandelte sich etwa fünf Werst von Lgow in einen breiten Teich, der an den Ufern und auch hier und da in der Mitte mit dichtem Schilf, das man im Orjolschen Gouvernement Maier nennt, bewachsen ist. Auf diesem Teiche, in den Buchten und den windstillen Verstecken zwischen dem Schilf brüteten und lebten zahllose Enten aller möglichen Gattungen: Krick-, Spieß-, Kriech-, Tauchenten usw. Kleine Ketten flogen jeden Augenblick über dem Wasser, bei einem Schuß aber erhoben sie sich in solchen Schwärmen, daß der Jäger unwillkürlich mit der Hand nach der Mütze griff und ›Ah!‹ ausrief. Ich ging mit Jermolai zuerst am Ufer entlang, aber die Enten sind erstens vorsichtige Vögel und halten sich niemals nahe am Ufer; zweitens, wenn schon eine zurückgebliebene und unerfahrene junge Kriechente getroffen wurde, so waren unsere Hunde gar nicht imstande, sie aus dem dichten Schilf zu holen: Trotz ihrer edlen Selbstaufopferung verstanden sie weder zu schwimmen noch zu waten und zerschnitten sich nur unnütz ihre kostbaren Nasen an den scharfen Rändern des Schilfes.
»Nein«, sagte endlich Jermolai, »so ist es nicht gut; wir müssen uns ein Boot verschaffen . . . Wollen wir nach Lgow zurückgehen.«
Wir kehrten auch um. Kaum hatten wir aber einige Schritte gemacht, als uns aus dem dichten Weidengebüsch ein ziemlich wertloser Hühnerhund entgegenlief; diesem folgte ein Mann von mittlerem Wuchs, in einem ziemlich abgeriebenen Rock, einer gelblichen Weste, einer Hose von Gris-de-laine- oder Bleu-d’amour-Farbe, die nachlässig in die zerrissenen Stiefel gesteckt war, mit einem roten Tuch um den Hals und einem einläufigen Gewehr hinter den Schultern. Während unsere Hunde mit dem ihrer Art eigenen chinesischen Zeremoniell die für sie neue Persönlichkeit beschnupperten, welche offenbar Angst hatte, den Schwanz einzog, die Ohren zurückwarf und, ohne die Knie zu biegen, sich zähnefletschend mit dem ganzen Körper herumdrehte, kam der Unbekannte auf uns zu und grüßte uns außerordentlich höflich. Dem Aussehen nach mochte er fünfundzwanzig Jahre alt sein; seine langen, dunkelblonden, stark mit Kwaß befeuchteten Haare bildeten unbewegliche Strähnen; die kleinen braunen Augen blinzelten freundlich; das ganze, mit einem schwarzen Tuch wie bei Zahnweh umbundene Gesicht lächelte süß.
»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle«, begann er mit weicher, einschmeichelnder Stimme; »ich bin der hiesige Jagdgehilfe Wladimir . . . Als ich von Ihrer Ankunft hörte und erfuhr, daß Sie an das Ufer unseres Teiches sich zu begeben geruhten, entschloß ich mich, wenn es Ihnen nicht unangenehm wäre, Ihnen meine Dienste anzubieten.«
Der Jagdgehilfe Wladimir sprach ganz wie ein junger Provinzschauspieler, der die Rollen der ersten Liebhaber spielt. Ich ging auf seinen Vorschlag ein und erfuhr, noch ehe wir Lgow erreichten, seine ganze Lebensgeschichte. Er war ein freigelassener Leibeigener, in seiner zartesten Jugend wurde er in Musik unterrichtet, war dann Kammerdiener gewesen, war des Lesens kundig, hatte, soviel ich bemerken konnte, einige Bücher gelesen und lebte jetzt, wie in Rußland viele Menschen leben, ohne einen Pfennig bares Geld, ohne eine ständige Beschäftigung, beinahe ausschließlich vom himmlischen Manna. Er drückte sich ungemein elegant aus und bildete sich nicht wenig auf seine Manieren ein; er war wohl auch ein schlimmer Schürzenjäger und hatte sicher Erfolg: Die russischen Mädchen lieben die Beredsamkeit. Unter anderem gab er mir zu verstehen, daß er zuweilen die Gutsbesitzer in der Nachbarschaft und auch die Bürger in der Stadt besuche, Préférence spiele und mit Personen aus den Residenzstädten verkehre. Er lächelte meisterhaft und mit großer Abwechslung; besonders gut stand ihm das bescheidene, reservierte Lächeln, das auf seinen Lippen spielte, wenn er fremden Reden lauschte. Er hörte einen an, stimmte vollkommen bei, verlor aber dabei doch nicht das Gefühl der eigenen Würde und gab einem gleichsam zu verstehen, daß auch er bei Gelegenheit seine eigene Ansicht aussprechen könne. Jermolai, der keinen übermäßigen Schliff hatte und durchaus nicht zart besaitet war, fing schon an, ihn zu duzen. Man muß das Lächeln gesehen haben, mit dem Wladimir ihm ›Sie‹ sagte.
»Warum haben Sie Ihr Gesicht mit einem Tuch umbunden« fragte ich ihn. »Haben Sie Zahnweh?«
»Nein«, antwortete er, »das ist eher eine verderbliche Folge der Unvorsichtigkeit. Ich hatte einen Freund, einen ganz guten Menschen, der aber durchaus kein Jäger war, wie es oft vorkommt. Eines Tages sagte er zu mir: ›Lieber Freund, nimm mich mal mit auf die Jagd; ich möchte gerne erfahren, worin dieses Vergnügen besteht.‹ Ich wollte es dem Freunde natürlich nicht abschlagen; ich verschaffte ihm meinerseits ein Gewehr und nahm ihn mit auf