Zwei Freunde. Иван ТургеневЧитать онлайн книгу.
hoffe ich! – erwiederte Boris Andrejitsch. – Wie alt wird sie sein?
– Fünf- bis siebenundzwanzig Jahre schätze ich. Jedenfalls nicht älter. Grade in den blühendsten Jahren!
Bis zum Gute von Frau Sadnjeprowskaja waren es nicht 15, sondern gehörige 25 Weist, sodaß Boris Andrejitsch zuletzt tüchtig fror und fortwährend sich abmühte, sein von der Kälte geröthetes Näschen in den Biberkragen seines Mantels zu vergraben. Peter Wassiljewitsch fürchtete sich überhaupt nicht vor der Kälte, besonders aber dann nicht, wenn er sein Festgewand anhatte. In diesem Falle schwitzte er vielmehr. – Die Meierei von Frau Sadnjeprowskaja wurde repräsentirt durch ein neues weißes Hans mit grünem Dache, eine Villa in städtischer Bauart, an die sich ein kleines Gärtchen und ein Hofraum anschlossen. In der Umgegend von Moskau sind solche Häuschen öfter anzutreffen, in der Provinz werden sie jedoch viel seltener. Man bemerkte an Allem, daß die Frau Gutsbesitzerin sich noch nicht lange hier niedergelassen hatte. Unsere Freunde stiegen aus dem Wagen. Auf der Treppe wurden sie von einem Diener empfangen, der in erbsengrüne Beinkleider und einen grauen rund abgestutzten Frack mit Bronceknöpfen gekleidet war. Im Vorzimmer, das recht nett aussah und eine Schlafbank enthielt, kam ihnen ein eben solcher Diener entgegen. Peter Wassiljewitsch ließ sich und seinen Freund bei der Herrin anmelden. Der Diener aber begab sich nicht erst zur Herrin, sondern antwortete auf der Stelle, daß die gnädige Frau bereit sei, die Herren zu empfangen.
Die Gäste schritten vorwärts und traten durch das Eßzimmer, in welchem ein Canarienvogel fast zum Betäuben schmetterte, in das Gastzimmer ein. Es war mit Möbeln nach modernstem russischem Geschmack ausgestattet. Die Stühle waren äußerst gekünstelt und gewunden. Ihre Bauart sollte dem Sitzenden besondere Bequemlichkeit bieten – ein Vorwand, der in Wirklichkeit natürlich keine Bewahrheitung erfuhr. Es verstrichen keine zwei Minuten, als sich im Nebengemach das Rauschen eines seidenen Kleides vernehmen ließ. Die Portière ging auseinander und die Wirthin trat mit lebhaften Schritten in das Zimmer ein. Peter Wassiljewitsch machte ein paar Verbeugungen und führte Boris Andrejitsch auf sie zu.
– Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen – sagte ungezwungen die Wirthin, indem sie ihn rasch mit ihren Blicken musterte. – Ich bin Peter Wassiljewitsch sehr verbunden für die Gelegenheit, eine so angenehme Bekanntschaft anzuknüpfen. Bitte die Herren, Platz zu nehmen!
Die Frau des Hauses setzte sich, mit dem Kleide rauschend, auf ein niederes Sopha, lehnte sich an seine Rückwand streckte die Füßchen, die mit sehr netten Halbstiefeln angethan waren, etwas vor und kreuzte die Hände. Sie trug ein grünseidenes Kleid, das sich, streifenweise wiederkehrend, in lichtere Farben abtönte und mehrreihig besetzt war.
Boris Andrejitsch setzte sich ihr gegenüber in einen Lehnstuhl. Peter Wassiljewitsch nahm in einiger Entfernung Platz. Die Unterhaltung nahm ihren Anfang. Boris Andrejitsch studirte aufmerksam sein vis-à-vis. Sie war eine Frau von schlankem Wachse und äußerst sittlicher Taille, etwas bräunlich von Gesichte, aber sonst wirklich hübsch. Der Ausdruck ihres Gesichtes und besonders der großen, glänzenden Augen, die sich nach außen zu wie bei den Chinesen, ein wenig in die Höhe zogen, zeigte eine eigenthümliche Mischung von Kühnheit und Schüchternheit, und konnte unmöglich auf Natürlichkeit Anspruch machen. Bald kniff sie die Augen zusammen bald öffnete sie dieselben unerwartet weit. Aus ihren Lippen spielte unaufhörlich ein Lächeln, welches sich den Anschein von Gleichgültigkeit zu geben suchte. Alle ihre Bewegungen waren ungezwungen, fast übermüthig. Uebrigens machte ihr Aeußeres auf Basis Andrejitsch einen angenehmen Eindruck. Nur der schiefe Scheitel ihres Haares, der ihren Zügen ein flottes und burschenhaftes Aussehen verlieh, störte ihn. Außerdem drückte sie sich im Russischen nach seiner Meinung zu rein und korrekt aus. Boris Andrejitsch theilte nämlich die Meinung von Puschkin, daß
»Die man schöne, doch scherzlose Lippen nicht küßt,
man Feinheit der Sprache mit den Fehlern vermißt.«
Mit einem Worte, Sofia Kirillowna gehörte zu der Kategorie von Frauen, welche bei galanten Herren als flotte Salon-Damen, bei den Ehegatten als schlagfertig und redegewandt in besonderem Ansehen stehen und von alten Junggesellen als lebenslustige Weibchen sehr geschätzt werden.
Die Unterhaltung begann damit, daß man von der Einförmigkeit des ländlichen Aufenthaltes sprach.
– Hier ist fast kein lebendiges Wesen zu finden; man hat wahrlich Niemand, mit dem man ein Wort wechseln könnte – sagte Sofia Kirillowna immer das »s« scharf betonend. – Ich begreife nicht, wie die Menschen hier existiren können. Dazu – fügte sie mit Coquetterie hinzu – bleiben noch Diejenigen, mit denen man angenehm verkehren könnte, aus; sie besuchen uns so selten und überlassen uns arme Menschen der düsteren Einsamkeit.
Boris Andrejitsch verbeugte sich ein wenig und murmelte eine nicht besonders treffende Entschuldigung vor sich hin, wobei Peter Wassiljewitsch einen Blick auf ihn warf, als ob er sagen wallte: »Nun, was habe ich Ihnen gesagt? Nicht war, sie ist mit den Worten nicht verlegen?«
– Rauchen Sie vielleicht? – fragte Sofia Kirillowna.
– Jawohl. . . jedoch . . .
– Ach, bitte, bitte! . . . Ich rauche ja selbst.
Nach diesen Worten nahm sie ein ziemlich umfangreiches, silbernes Etui vom Tische, holte aus demselben eine Cigarette hervor und bot solche auch den Gästen an. Beide machten Gebrauch von dem also Gereichten. Sofia Kirillowna schellte und befahl einem eintretenden Knaben, der über die ganze Brust in einer rothen Weste steckte, Feuer zu bringen. Der Knabe kam zurück und trug auf einem krystallenen Präsentirteller eine brennende Wachskerze heran. Die Cigaretten wurden angeraucht.
– Da haben Sie’s – zum Beispiel: Sie werden es kaum glauben! – nahm die Wittwe daß Gespräch wieder auf, indem sie den Kopf ein wenig zurückwarf und den Rauch in seinen Strömen nach oben entließ – es giebt hier Leute, welche die Ansicht vertreten, daß es für eine Dame unpassend sei zu rauchen. Vom Reiten – schon gar nicht zu reden; behüte Gott! man würde uns steinigen. So ist es hier – wiederholte sie nach einer kurzen Pause, – Alles, was das alltägliche Niveau übersteigt, was mit den Satzungen eines, Gott weiß von wem ersonnenen Anstandes nicht im Einklange steht, wird dem strengsten Tadel unterworfen.
– Besonders pflegt in dieser Beziehung die Damenwelt boshaft zu sein – bemerkte Peter Wassiljewitsch.
– Das ist wahr! – versetzte die Wittwe. – Behüte Einen der Himmel, mit diesen Zungen zu thun zu haben! Uebrigens, ich verkehre mit dieser Klasse gar nicht. Das Geklätsch ihrer Vertreterinnen gelangt ganz und gar nicht in meine Einöde.
– Und Sie empfinden dabei keine Langeweile? – fragte Boris Andrejitsch.
– Langeweile? Nein! Ich lese . . . und wenn ich die Bücher satt habe, überlasse ich mich meinen Gedanken oder lege mir die Karten aus und stelle Fragen an mein Schicksal.
– Wie ist es denn möglich, daß Sie sich mit Wahrsagereien abgeben? – fragte Peter Wassiljewitsch.
Die Wittwe lächelte nachsichtig.
– Und weshalb denn auch nicht? Ich bin alt genug, um es mir erlauben zu dürfen.
– Aber, verzeihen Sie . . . ! – erwiederte Peter Wassiljewitsch.
Sofia Kirillowna kniff ein wenig die Augen zusammen und fixirte ihn.
– Uebrigens, wir thun wohl gut, dies Gespräch bei Seite zu lassen, – bemerkte sie, und wendete sich mit Lebhaftigkeit an Boris Andrejitsch. – Ich bin überzeugt, Monsieur Wjasownin, daß Sie sich für die russische Litteratur interessiren Nicht?
– Freilich. . . ich. . .
Wjasownin las viel, aber gerade Russisches las er ungern und wenig. Besondere waren ihm die neuesten Erscheinungen auf diesem Gebiete ganz fremd: er blieb bei Puschkin stehen.
– Sagen Sie nun gütigst: wie ist das zu erklären, daß Marlinsky in der letzten Zeit beim Publikum in Ungnade gerathen ist? Das kann nach meiner Meinung, nur eine außerordentliche Ungerechtigkeit sein. Was halten Sie von ihm?
– Marlinsky ist freilich ein Schriftsteller, dem man gewisse Verdienste nicht absprechen