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Hotel Amerika. Maria LeitnerЧитать онлайн книгу.

Hotel Amerika - Maria Leitner


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um sie abzubitten. Ihr seid ja nur neidisch, weil euch keiner mehr will.«

      Celestina versucht, Shirley an sich zu ziehen: »Shirley, du weißt, was ich von dem Geschwätz der Patrizia halte, aber wozu brauchst du mit Gästen auszugehen? Du lernst nichts Gutes von ihnen, sie lachen dich nur aus, ohne dass du was davon merkst. Du hast dir sicher was Dummes in den Kopf gesetzt.«

      Shirley verstopft sich mit den Fingern die Ohren. »Alle Mädchen gehen aus, wenn man sie einladet, – wir wollen doch auch etwas vom Leben haben. Wie konnte ich es nur solange zwischen euch vier alten Frauen aushalten? Überlass nur mir, was ich tue! Ich will heraus aus diesem Dreck, ich will, und es wird auch gelingen.« Celestina ist hartnäckig. »Ich will nur wissen, was du vorhast.«

      Aber Shirley bearbeitet schon ihr Gesicht mit Creme, pudert sich und zeichnet ihre Lippen nach, während sie einen halberblindeten Spiegel vor das Gesicht hält. Sie ist froh, als Ingrid, das kleine schwedische Stubenmädchen, das mit Celestina auf der gleichen Etage arbeitet, ins Zimmer tritt.

      »Heute arbeitest du in meiner Sektion, Celestina.« Ingrid ist noch nicht lange in Amerika. Sie sucht Wärme wie ein kleines verlassenes Tier. »Komm her, Ingrid, ich zeige dir, wie man sich schminken muss«, ruft Shirley. »Hast du dich noch nie geschminkt? Willst du, dass alle Leute gleich sehen, dass du eine Eingewanderte bist? Ich werde dich hübsch machen. Gleich siehst du besser aus. Wirst du oft eingeladen von den Gästen? Die alten Damen hier ärgern sich, wenn wir Mädchen mal tanzen gehen. Was sagen dir die Herren?«

      »Ich verstehe sie oft nicht, sie sprechen so schnell, dann komme ich mir immer sehr dumm vor. Aber jetzt gehe ich in die Abendschule und lerne Englisch.«

      Die Glocke in dem Trakt des weiblichen Personals schrillt laut auf. Es ist das Zeichen, dass es an der Zeit sei, jeden Gedanken an das Privatleben auszulöschen. Shirley zieht Ingrid schnell aus dem Zimmer. Sie will den fragenden Blicken ihrer Mutter entfliehen. Alle Türen im Trakt des weiblichen Personals sind geöffnet. Man versucht, auf diese Weise Luft in die überfüllten Räume zu bekommen. Die Türen können offen stehen; niemand hat Geheimnisse zu hüten, und es ist auch vollkommen gleichgültig, ob ein halbes Dutzend oder einige tausend Fremde zusehen, wie man sich an- und auskleidet. In allen Zimmern ist ein abenteuerliches Durcheinander. Alle sind zwar mit den gleichen Betten voll gestopft, in allen stehen die gleichen Blechschränke, doch auf den Kommoden und auf den Betten häuft sich der weggeworfene Tand aus den glänzenden Räumen des Wolkenkratzerhotels. Man sieht großartige, aber schon völlig verwelkte Blumenarrangements, Pfauenfedern, die irgendeiner Modedame als Schreibfeder dienten, zerbrochene Kristallvasen, zerrissene Abendkleider in großartiger Aufmachung, ebenso zerrissene Brokatschuhe mit Strassabsätzen, fantastische Sofakissen mit großen Brandflecken, zerdrückte, zerbrochene Bonbonnieren. Dieses farbige Gerümpel sticht komisch ab von den ärmlichen Habseligkeiten des Personals, den billigen Kleidern, den Heiligenbildern und den alten Postkarten. Die Korridore sind erfüllt von beängstigendem Lärm, von emsiger Geschäftigkeit, von Schreien und Lachen. Tausende schwirren herum. Bunte Farben flimmern durcheinander. Die Wäscherinnen tragen blaue, die Laufmädchen aus der Wäscherei rosa, die Scheuerfrauen gestreifte, die Stubenmädchen weiße, die Kellnerinnen in der Sodaquelle ockergelbe, die in dem Teeraum fliederfarbene Arbeitskleider.

      Die Frauen und Mädchen kommen aus allen Teilen der Stadt, aus ihren dunklen, trostlosen Quartieren, aus der Negerstadt Harlem, aus Chinatown, aus den italienischen und spanischen, aus den deutschen und irischen Vierteln. Alle Nationen der Welt sind vertreten. Man hört die gutturalen Laute der Negerinnen, den singenden Tonfall der Italienerinnen, die weichen Zischlaute der Spanierinnen. Ein Sprachforscher könnte hier alle Dialekte der Slawen entdecken, aber auch hindostanische und armenische, griechische und japanische Sprachen vernehmen.

      Zwischendurch unterhalten sie sich auch in gebrochenem Englisch und werfen sich gähnend, mit noch schlaftrunkener Stimme, immer die gleichen Sätze zu. »Ein schöner Morgen heute.«

      »Ja, wenn man Spazierengehen könnte … «

      »Huch, die verfluchte Arbeit!«

      »Ach, ich möchte noch schlafen.«

      »Keine Nacht hat man seine richtige Ruhe.«

      »Ich wünschte, ich könnte diesem dreckigen Lausenest adieu sagen.«

      »Habt ihr euch gut amüsiert gestern nacht?«

      »Oh, ich habe getanzt.«

      »Ihr habt es gut, junges Blut, ich bin nach der Arbeit zu müde.«

      Shirley zieht Ingrid mit sich. »Kann man das aushalten, ein ganzes Leben lang?«

      Celestina hat die beiden eingeholt. »Du musst mir jetzt sagen, was du damit gemeint hast: ›heute der letzte Tag, der schöne Alex‹.« Shirley reißt Ingrid mit sich, sie nimmt einfach Reißaus, sie will nicht antworten.

      Aber weil sie sich doch aussprechen möchte, flüstert sie geheimnisvoll Ingrid zu: »Ich will heute fort aus dem Hotel, nur als Gast komme ich wieder; pass auf, ich werde reich werden. Du wirst von mir ein extra schönes Geschenk bekommen. In Ordnung?« Ingrid löst ihre Hand aus Shirleys Arm. »Ich glaub' das nicht, du machst nur Spaß, willst mich nur uzen.«

      Du wirst schon sehen, ich werde wirklich gehen, noch heute, alles dalassen, dies ganze hässliche, schwere Leben. Möchtest du das nicht auch?«

      »Ja, ich möchte auch anders leben, aber nicht so wie du sagst, als Gast hier im Hotel.«

      Auf dem Wege an dem Barbierladen für das männliche Personal des Hotels vorbei begegnen die beiden Mädchen Salvatore Menelli.

      Seine glänzenden schwarzen Haare sind sorgfältig aus der schönen Stirn gekämmt. Die dunklen Augen unter den regelmäßigen Bogen der Brauen lächeln wohlgelaunt. Blitzblank sieht er aus in seiner Pagenuniform.

      Salvatore geht zu den Schuhputzern, mit spitzem Mund vor sich hinpfeifend, und legt den Fuß auf eine Messingplatte. Er stemmt die linke Hand gegen seine schlanke Hüfte, während er mit der rechten Geldstücke in die Luft wirft, die er mit großer Geschicklichkeit immer wieder auffängt. »Er spielt nur Theater«, flüstert Shirley ihrer Kollegin zu. »Er ärgert sich, dass ich mir nichts mehr aus ihm mache.« Ingrid kann sich nicht enthalten, Salvatore einen bewundernden Blick zuzuwerfen.

      »Willst du wirklich fortgehen und auch ihn ganz aufgeben?« Ingrid weiß, dass Salvatore früher Shirleys Freund gewesen ist.

      Shirley macht eine wegwerfende Bewegung. »Ich kann mir ganz andere aussuchen, als diesen kleinen Zuckerbäckersohn aus dem italienischen Viertel. Aber du kannst ihn ja trösten, er gefällt dir, ich habe das schon bemerkt.«

      Ingrid spürt ein Erröten. Diese Shirley ist schrecklich; man weiß nie, ob sie das, was sie sagt, auch ernst meint. Aber sie will hoch hinaus, das ist sicher. Alle im Hotel sagen es von ihr.

      Zum zweiten Mal ertönt die Glocke in allen Abteilungen des Personals. In der Luft schwirren Nummern, man hört das Knarren der Kontrolluhren, das Klirren der Schlüssel. Im Wäscheraum beginnen elektrische Nähmaschinen zu surren, die Hausmänner sind schon dabei, die Wasche für die dreißig Stockwerke in große Rollwagen zu verstauen, die Stubenmädchen binden ihre Schlüssel um die Taille, die Haushälterinnen sehen die Listen mit den Zimmernummern durch. Überall werden Befehle erteilt, das tätige Leben hat schon voll begonnen.

      »Wir kommen zu spät zum Frühstück.« Ingrid blickt in den Speisesaal des weiblichen Personals unterster Stufe, der gleichzeitig auch als Küche und Abwaschraum dient. Er ist von fast unübersichtlicher Ausdehnung. Eingezwängt zwischen Wolkenkratzern, nahe dem Keller, liegt er wie in einem endlos tiefen Schacht und bleibt immer dunkel und luftlos. Man müsste sich platt auf den Boden legen, um ein Stückchen Himmel zu erspähen. Es riecht hier immer unangenehm nach ranzigem Fett und Spülwasser. Im Saal ist schon allgemeiner Aufbruch; die langen, lehnenlosen, nur gehobelten Bänke sind leer, die Holztische abgeräumt. Es stehen nur noch einige Gruppen zusammen. »Ich schenke mein Frühstück der Direktion«, sagt Shirley »Na, ich brauche ja nicht mehr lange diesen Fraß in mich zu zwingen, ich habe ja auch heute nacht gut gegessen. Aber du, hast du Hunger?«

      »Eigentlich nein, ich mache mir nichts daraus, dass ich kein Frühstück habe. Nachts bin ich immer hungrig und kann kaum einschlafen. Aber


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