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Hotel Amerika. Maria LeitnerЧитать онлайн книгу.

Hotel Amerika - Maria Leitner


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kamen doch Diskussionen in Gang. Bei einer solchen Gelegenheit machte Fritz die Bekanntschaft Heinrich Klüters.

      Aber der Geschäftsführer von ›Onkel Sams Hütte‹ machte solchen Gesprächen ein baldiges Ende. Hier werden keine aufrührerischen Reden gehalten. Im ›Gesellschaftsraum‹ wird eine große Tafel angebracht mit der Aufschrift: »In diesem Raum ist das Reden verboten.« Fritz war empört.

      »Wie, sogar dann, wenn wir zahlen, wenn wir nicht arbeiten, bindet man uns den Maulkorb um?« Heinrich Klüter nahm die Sache gelassener auf. »Solche Aufschriften findest du in allen diesen Hotels. In den ›Gesellschaftsräumen‹ soll man Karten spielen, alte Zeitungen lesen und das Maul halten.

      Heinrich Klüter wohnt schon drei Jahre in ›Onkel Sams Hütte‹, seitdem er seinen Dienst im Hotel Amerika verrichtet. Die Hochbahn fährt an seinem Fenster vorbei. Anfangs hatte er immer das Gefühl, als sause sie jedes Mal über seinen Körper. Doch dann gehörte auch sie zu seinem Schlaf, genau wie das Halbdunkel des Zimmers und aller Lärm des Tages.

      Die enge Freundschaft zwischen Heinrich und Fritz nahm ihren Anfang in einer der freien Nächte, als Heinrich wieder seiner Gewohnheit gemäß ›Onkel Sams Hütte‹ durchwanderte. Er konnte nicht anders, er musste Nachtwache halten, aber sie war anders, als die im Hotel Amerika. In ›Onkel Sams Hütte‹ gibt es wenige Geheimnisse, vor allem ist jede ›Unsittlichkeit‹ ausgeschlossen. Vor den Eingängen dieser ›Onkel Sams Hütten‹ stehen Tafeln: »Hier ist der Eintritt für Frauen streng verboten.« Trotzdem konnte der Nachtwächter Klüter auch hier viel Merkwürdiges bei seinen Nachtwanderungen entdecken. Er hörte die Schreie und Seufzer der Schlafenden, sah, wie gerade die Armseligsten ihr wertloses Hab und Gut sogar im Schlaf krampfhaft umklammerten. Am misstrauischsten sind die sehr Armen und sehr Reichen, dachte der Nachtwächter Klüter.

      Viele schrieen im Traum nach den Ihren, die in der alten Heimat lebten; er hörte aber auch wilde Wutschreie und Verwünschungen, die tagsüber unterdrückt werden mussten.

      In jener Nacht fand der Nachtwächter Klüter Fritz unter der Treppe schlafend. Er konnte die Schlafstelle nicht bezahlen; schon seit Tagen blieb er die fünfundzwanzig Cents für ein Bett schuldig. Der Geschäftsführer machte nicht viel Federlesens mit ihm; er behielt Fritz' Mantel und wies ihm die Tür.

      »Mach, dass du hinauskommst«, schrie er ihn an. »Aber wohin soll ich denn gehen, was soll ich machen?« Fritz war richtig verzweifelt, so dass er schon den Geschäftsführer um Rat bat. Der war kurz angebunden.

      »Geh auf die Bowery, da gehört ihr Strolche alle hin.« Diesen Rat aber wollte Fritz nicht befolgen; er wartete ab, bis der Geschäftsführer sich verzog, dann machte er es sich unter dem Treppenabsatz unbequem. Er ist sonst nicht ängstlich, aber vor der Bowery hat er doch Angst. Sicherlich ist sie die fantastischste Straße der ganzen Welt, denkt Fritz, man soll lieber nichts mit ihr zu tun bekommen.

      An die Bowery denkt er auch jetzt, im Vorzimmer des ›Zeithalters‹. Sie flößt ihm wahres Entsetzen ein. Er ist noch von Berlin allerlei Elend gewöhnt, aber das hier ist doch etwas anderes, diese wildwuchernde Unordnung. Fritz kennt eine behördlich registrierte, gestempelte, statistisch und amtlich festgestellte Armut, mit Anstellen und Aufschreiben, mit Zetteln und Ämtern, mit eingezogenen Erkundigungen und alphabetischem Verzeichnis.

      Auf der Bowery kann man sich höchstens um eine verdächtig aussehende Suppe anstellen, die in einem Blechtopf zusammen mit Gebeten und Predigten serviert wird. Es gibt Nachtasyle in Kirchen, in denen man auf Zeitungspapier schläft und wo man von Neugierigen, die in Touristenautos angefahren kommen, gegen Eintrittsgeld, das aber nicht ihnen, sondern der Kirche zugute kommt, bestaunt wird. Heilsarmeesänger vermischen sich mit Betrunkenen und schweren Jungens; Stellenvermittelungsbüros, die Sklavenmärkte genannt werden, sind Gebethäusern und Juwelengeschäften, in denen beste ›Sore‹ feilgeboten wird, benachbart. Fritz hat vor allem vor den Stellenvermittelungsbüros Angst. Sie vermitteln nur Stellen nach auswärts. Transporte gehen von dort ab in menschenleere Gegenden, um Wege zu bauen, oder nach einem primitiven Bergwerk, in dem alle Sicherungen fehlen, die das Leben der Arbeiter schützen. Noch schlimmer. Hier werden Streikbrecherkolonnen organisiert, ohne dass die Beteiligten etwas davon ahnen. Erst wenn sie die Reise hinter sich haben und keinen Cent mehr besitzen, um zurückfahren zu können, erfahren sie den Zweck ihrer Fahrt.

      Sagt einer ›ja‹ in diesen Agenturen, so ist er schon Sklave. »Na, Junge, bleib man da, deine Kolonne geht bald ab.« Und schon sitzt er in der Falle.

      Nein, das ist nichts für Fritz, da will er lieber die Hände von der Bowery lassen.

      Fritz hatte Glück, dass ihn Heinrich fand und, als er das Schicksal Fritz' erfuhr, mit dem Geschäftsführer eine Abmachung traf, wonach Fritz nachts, wenn Heinrich auf Arbeit ging, in dessen Bett schlafen durfte.

      Jetzt werden beide hineingerufen zu dem Mächtigen. Der Nachtwächter Klüter dreht seinen Hut in der Hand und entwirft ein schmeichelhaftes Bild Fritzens. Der ›Zeithalter‹ beugt sich über eine riesige Tabelle mit vielen Zahlen, die das Personal bedeuten. Er macht grafische Zeichnungen wie ein Feldherr. Nein, Nachtwächter kann Fritz nicht werden. Er wird bleich. Sollte auch heute alles vergeblich sein? Aber der Mächtige will doch mal sehen; er setzt eine wichtige Miene auf. Dann stößt er mit dem Bleistift, sagt kurz: ›Küche‹ – und somit kommt Fritz in die größte Kochanstalt der Welt.

      Viertes Kapitel

      Shirley ist unten in der Wäscherei angekommen. Alles hier ist ihr vertraut und alles verhasst.

      Die Luft, diese neblige, weiße, schwere Luft, der Geruch der Lauge, der nassen Linnen, der gebrauchten Wäsche, der frischgewaschenen Wäsche.

      Sie kennt alle Geräusche, das Knarren der elektrischen Rollen, das schnelle, taktmäßige Rattern der Waschmaschinen, ihre gellenden Pfiffe, – die Zeichen, dass sie die ihnen vorgeschriebene Arbeit verrichtet haben, – das Summen der Gasflammen in der endlosen Reihe der Gehäuse, die die Gestelle zum Trocknen bergen.

      Diese Geräusche vermengen sich mit dem gutturalen Lachen, mit dem Gesang und Geschrei der Negerinnen. Sie stehen stark und breit in dem riesigen Raum, dort, wo die Arbeit am schwersten ist, und lachen. Elfenbeinfarbene, kaffeebraune, erdschwarze Negerinnen, eine Farbenskala von gelb, braun und schwarz in allen Tönungen. Aber wenn sie lachen, scheinen sie sich alle mit ihren lebensvollen Lippen, mit ihrem schneeweißen, blendenden Gebiss zu gleichen. Die schwarzen Finger glätten die Laken auf den elektrischen Rollen; die vielen dunklen Hände, die die Bügeleisen führen, bewegen sich gleichzeitig, als hingen sie an ein und demselben Draht. Heute aber ist noch etwas im Raum, eine geheime Erregung, ein Flüstern, das verstummt, wenn die Aufseher vorbeigehen.

      Der Führer eines der Wascheaufzüge, ein schmächtiger, älterer Mann, liegt auf dem Boden, in der Nähe eines Wascheschluckers, durch den die Linnen der täglich frisch bezogenen viertausend Betten in die Wäscherei befördert werden. Wie ein Wasserfall strömt die Wäsche auf ihn herab, sie verbirgt ihn fast ganz, aber es ist ihm recht so. Er will nicht von unberufenen Augen entdeckt werden, und die unberufenen Augen gehören den Vorgesetzten, die nicht sehen dürfen, dass er außer Atem, keuchend auf dem Boden liegt. Ein Neger, der auch sonst öfter die Aufzüge der Wäscherei bedient, fährt jetzt für ihn; vorläufig hat die Aufsicht noch nichts bemerkt.

      Er versucht, den Atem zurückzuhalten, das Keuchen, das immer wieder aus ihm hervorbricht, zu bewältigen, aber es gelingt ihm nicht; im Gegenteil, ein Hustenreiz überfällt ihn, er spürt blutigen Schaum auf den Lippen. »Komm, wir führen dich zum Arzt«, sagen die Wäscherinnen, die mitleidig immer wieder nach ihm sehen, aber nicht weiter helfen können.

      Die Worte kommen nur mühselig aus seinem Mund. »Nein, nein, niemand darf wissen, was geschehen ist, sie würden mich fortschicken.«

      »Aber du bist doch nicht schuld, im Gegenteil, wir werden Lärm schlagen! Man sorgt nicht dafür, dass unsere Aufzüge in Ordnung sind, wir werden unser Leben nicht gefährden lassen.«

      Folgendes war geschehen: Der Aufzugführer fuhr einige Wäschereiwagen in höhere Stockwerke. In seinem Aufzug nahm er auch Personal mit. Bis zum 10. Stockwerk ging alles in Ordnung. Hier stiegen verschiedene Hausmänner mit den Wäschereiwagen aus. Um ihnen Platz zu machen und sie hinaus zu lassen, verließ


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